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Aus: Ausgabe vom 27.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Viva la Revolución

Eine andere Welt

Reise nach Kuba: Austausch von Studierenden der Sozialen Arbeit aus Berlin
Von Aaron Benjes, Nerea Moratilla Lozano und Sophie Strauß
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Kultur für jeden: Auf Kuba wird Musik und Tanz staatlich gefördert (Havanna, 29.1.2022)

Glänzend bunte Oldtimer, Sozialismus und der Sonnenuntergang am Palmenstrand untermalt von Salsa-Musik: Das sind die Bilder, die die meisten von Kuba im Kopf hatten, bevor es für sie im Februar 2024 zur Studienreise nach Kuba ging. Dabei bereitete sich die Delegation der Alice-Salomon-Hochschule aus Berlin ein ganzes Semester aktiv auf ihren akademischen Austausch mit der neuen Partneruniversität in Sancti Spíritus (Universidad de Sancti Spíritus »José Martí Pérez«, kurz: UNISS) vor: Die Geschichte und politischen Zusammenhänge Kubas wurden ausgiebig erarbeitet, dass diese Reise jedoch am Ende Weltbilder verändern sollte, hätten wir Studierenden vorher nicht geglaubt. Auf der karibischen Insel erkannten wir, wie perfide die USA tatsächlich handeln und wie viel reicher das geschlagene Kuba trotz der imperialistischen Blockadepolitik ist. Kuba ist nun mal kein Staat, in dem man Urlaub macht, sondern eine andere Welt, in die man eintaucht.

Die Studierenden des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit wurden Ende Februar in Sancti Spíritus von Professoren und Studierenden der Studiengänge Trabajo Social y Cultural (Soziale Kulturarbeit) und Gestión Sociocultural para el Desarrollo (­Soziokulturelles Management für Entwicklung) mit einem herzlichen Begrüßungsritual empfangen. »Soziale Arbeit« als Studiengang hat in Kuba eine etwas andere Ausrichtung als in der BRD. Die Förderung des kulturellen Lebens und Schaffens wird in Kuba großgeschrieben und ist seit der Revolution eine der zentralen Säulen des gesellschaftlichen Miteinanders, weswegen soziale Arbeit in Kuba stets mit Kultur verknüpft wird.

Kultureller Reichtum

Bereits in jungen Jahren wird die künstlerische Identitätsfindung gefördert und über die Wichtigkeit einer lebhaften Kultur aufgeklärt. Kulturelle Bildung und die Teilhabe am kulturellen Leben sind essentielle Bestandteile der sozialen Kulturarbeit auf Kuba. Die UNISS unterstützt und fördert in diesem Zusammenhang Gemeinschaften und Projekte in der ganzen Region, die auch als Orte der Vernetzung dienen.

Wie hinlänglich bekannt ist, versuchen die USA Kuba mitsamt seinen Bewohnern vom globalen Handelsmarkt und der Weltwirtschaft abzuschotten. Nicht nur, aber vor allem Benzin ist daher im ganzen Land momentan eine Rarität; der inländische Transport ist zum Luxus geworden, den sich Einheimische kaum noch leisten können. Umso außergewöhnlicher war es, dass den angehenden Sozialarbeitenden vor Ort ein Bus bereitgestellt werden konnte, um der Gruppe Begegnungen und vor allem Einblicke ins Land gewähren zu können: Es wurden zahlreiche Exkursionen in verschiedene Gemeinden weit außerhalb von Sancti Spíritus unternommen, die aufzeigten, wie der Alltag und die Arbeitsweise der kubanischen Sozialarbeitenden aussieht und etliche Aha-Erlebnisse zur sozial-kulturellen Arbeit in Kuba bereithielten.

Einer dieser Besuche führte uns zum Radiosender Radio Sancti Spíritus, dem größten Sender der Region. Vor Ort empfingen uns Rundfunksprecher, Journalisten, Kommunikatoren, Kunstschaffende und Programmdirektoren, die Einblicke in das Schaffen des Senders gaben. Im Programm gibt es vorwiegend an die ländliche Bevölkerung gerichtete Sendungen, Informations- und Nachrichtenrubriken zu Neuigkeiten aus Politik, Landwirtschaft, Umweltschutz und Kultur, sowie eine sorgfältig zusammengestellte »­mezcla« (Mischung) aus Salsa, Guaracha, ­Mambo, Guaguancó, Son und zeitgenössischer Musik, um allen Altersklassen etwas zu bieten.

Eine Führung durch das Tonträgerarchiv unterstrich das breite musikalische Programm des Senders und ließ unsere Herzen höher schlagen: unzählige Schallplatten, Kassetten und Tonbänder – nicht wenige mit der Aufschrift »Hergestellt in der Deutschen Demokratischen Republik« – werden hier sorgfältig aufbewahrt, gepflegt, restauriert und digitalisiert. In verschiedenen Studioräumen finden sich bis heute noch Geräte wie Mixing-­Konsolen aus der DDR an, deren Funktion die Tontechniker seit Jahrzehnten sorgfältig erhalten.

Angekommen im Senderaum konnten die Studierenden einem Rundfunksprecher live zusehen und -hören, ehe eine Studierende sogar zu einem kurzen Interview in dessen Box gebeten wurde. Schließlich wurde die Gruppe in einem der Aufnahmeräume Augenzeuge, wie eine lokale Band einen Song aufnahm. Ein Songwriter trug einen extra für den Berliner Besuch verfassten Song vor, mit rhythmischer Untermalung der Band – und das live auf Sendung! Eine wunderbare Geste, die viele der Studierenden sehr rührte.

Vielseitige Angebote

Eine weitere Exkursion führte die Studierenden in die Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen, ­EMPROVA, in Sancti Spíritus. In dieser Werkstatt werden Textilien und Haushaltswaren von Dutzenden Personen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen hergestellt. Anders als in der BRD ist es in dieser Werkstatt eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen den gesetzlichen Mindestlohn für ihre Arbeit erhalten. Als Dankeschön für ihren Besuch erhielten die Studierenden handgefertigte Topflappen, Kissenbezüge und Tischdecken, die jetzt das eine oder andere Berliner WG-Zimmer schmücken.

Ein weiteres Projekt, dass die Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule besuchten, war die »Cátedra del Adulto Mayor« in der Galería de Arte »Oscar Fernández Morera«, ein mit Unterstützung der UNISS geförderter Lehrstuhl für Senioren. In dieser Einrichtung können sich Menschen fortgeschrittenen Alters nicht nur fortbilden, sondern auch an zahlreichen Gruppenaktivitäten und kreativen Workshops teilnehmen. Von Poesie über kreatives Schreiben bis zum Vortrag eines Frauen­chors bekamen die Studierenden hier berührende Werke geboten, die nicht alle Augen trocken ließen. Neben den facettenreichen Angeboten der Cátedra del Adulto Mayor fungiert diese Einrichtung aber auch als Ort der Vernetzung für ältere Menschen. Denn wenn die besuchten Einrichtungen eine Sache herausstellten, dann, dass in Kuba niemand alleine gelassen wird.

Die Kooperation zwischen der ­Alice-Salomon-Hochschule und der kubanischen UNISS ist eine der besonderen Art: Sie ist auf Langfristigkeit angelegt, dieses war das erste persönliche Treffen, das trotz infrastruktureller Hürden vor allem dank des Organisations- und Improvisationstalents der beiden federführenden Professoren José Ramón Neira und C. Doralquis León González stattfinden konnte. Vorträge von Lehrenden der UNISS über ­Sozialpolitik, Wirtschaft bis hin zu Umweltpolitik und -wissenschaft wurden dabei unermüdlich von Professor C. Felipe Hernández Pentón übersetzt, der einen Austausch über die sprachlichen Barrieren hinaus überhaupt erst ermöglichte.

Ökologisches Vorbild

So gewährte etwa ein Vertreter des Umweltministeriums Einblicke in die ökologischen Katastrophen, mit denen sich Kuba aufgrund des Klimawandels neben der jahrzehntelangen US-­Blockade konfrontiert sehen muss: Wegen seiner geografischen Lage ist Kuba sehr anfällig für Hurrikane und Extremwetter, die oftmals Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen. Der Anstieg des Meeresspiegels führt zur Versalzung von wertvollem Agrar­land, steigende Wassertemperaturen zur Zerstörung der bunten Korallenriffe. Kuba schaffte es trotz dieser Hürden eine globale Vorbildfunktion einzunehmen: Das Land stellte die eigene Agrarproduktion vollständig auf ökologisch-nachhaltig um und wird schon seit langem für seine ausgeklügelte Schutzstrategie bezüglich tropischer Wirbelstürme gelobt, die in Kuba stets weniger Todesopfer fordern als in den Nachbarländern. Laut dem SDI-­Bericht (Sustainable Development Index) von 2019 rangiert Kuba unter den Top fünf der am nachhaltigsten entwickelten Länder der Welt, während Deutschland sich gerade einmal auf Platz 134 wiederfindet.

Auch abseits der akademischen Ebene war Austausch stets ein zentraler Punkt: Die kubanischen Studierenden zeigten ihr Zuhause und brachten den deutschen Studierenden Gastfreundschaft, vor allem aber ebenjene Herz- und Menschlichkeit entgegen, die man in der BRD teils vergeblich sucht. So sagte ein Kubaner zum Thema Rassismus: »Hier sitzen alle am gleichen Tisch und trinken alle aus demselben Glas Rum.« Ein Sinnbild dafür, was dieser Austausch erreichen wollte: einen Überblick, um nicht nur das sozialistische System Kubas kennenzulernen, sondern vielmehr, um den Teilnehmenden auch aufzuzeigen, was Gemeinschaft eigentlich bedeutet. Mit kultureller sozialer Arbeit. Vor allem aber mit Solidarität. Denn Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.

Errungenschaften der Revolution

In Kuba ist am Freitag der 71. Jahrestag des Angriffs einer von dem 26jährigen Anwalt Fidel Castro Ruz angeführten Gruppe auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba und einen Militärposten in der nahe gelegenen Stadt Bayamo gefeiert worden. Die schlecht bewaffneten Rebellen wollten damit einen landesweiten Aufstand zum Sturz des von Washington unterstützten Diktators Fulgencio Batista auslösen. Obwohl der Versuch militärisch scheiterte, gab er das Startsignal für eine Revolution, die fünf Jahre, fünf Monate und fünf Tage später erfolgreich war. Der Angriff auf die Moncada-Kaserne gilt als eines der bedeutendsten revolutionären Ereignisse der kubanischen und amerikanischen Geschichte.

Soziale Ungleichheit, mangelnde Bildungschancen und fehlende Gesundheitsversorgung, Armut, Erwerbslosigkeit und Hunger gleichen in etlichen Ländern der Region dem, was bis zum Sieg der Revolutionäre auch den kubanischen Alltag prägte. In den 1950er Jahren befanden sich über 50 Prozent des bebauten Landes auf der Insel im Besitz von ausländischen Unternehmen, wie zum Beispiel der US-amerikanischen United Fruit Company. Ausbildung und Arbeit waren für die Mehrheit der damals fünfeinhalb Millionen Einwohner unerreichbare Ziele. In den wenigen Landschulen hockten die Schüler oft barfuß, halbnackt und unterernährt im Unterricht. Die Hälfte der schulpflichtigen Kinder besuchte überhaupt keine Schule und rund 90 Prozent der Landkinder hatten unter Parasiten zu leiden. Jedes Jahr starben Tausende von ihnen an den Folgen der Armut, zu der sie verurteilt waren, weil ihre Eltern kein Land besaßen, auf dem sie etwas für ihre hungernden Kinder hätten anbauen können.

Im globalen Süden und vor allem in Lateinamerika gilt der Angriff auf die Moncada-Kaserne als Symbol für den Erfolg eines scheinbar aussichtslosen Widerstands gegen ein korruptes System, das die eigene Bevölkerung auch im Interesse kolonialer und imperialistischer Mächte unterdrückt. 70 Jahre nach dem zunächst gescheiterten Versuch der kubanischen Rebellen und knapp 65 nach dem Sieg ihrer Revolution herrschen in einigen Ländern des Kontinents heute Verhältnisse, die an die Zustände in Kuba unter der Batista-Diktatur erinnern. (vh)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (29. Juli 2024 um 10:30 Uhr)
    »Denn wenn die besuchten Einrichtungen eine Sache herausstellten, dann, dass in Kuba niemand alleine gelassen wird.« – Stimmt das nach all den Wirtschaftsreformen und Privatisierungen immer noch? Zweifel sind angebracht. Welche Folgen die Reformen schon 2017 hatten, schildert Volker Hermsdorf (Vortrag und Diskussion im Buchladen Neuer Weg, Würzburg, Video ab 1:19:45): »Das Problem mit den kleinen Selbständigen, die soziale Schere geht auseinander. Wer heute Zimmer vermietet, verdient an einem Tag das, was ein Universitätsprofessor oder ein Chefarzt eines Krankenhauses, der auf höchstem Niveau arbeitet, im Monat verdient.« Frank Flegel schreibt in offen-siv-10-2020-Cuba: »Der Gewinn wird die (!) ökonomische Kennziffer für die Staatsbetriebe, die Staatsbetriebe dürfen einen Teil (50 %) der erwirtschafteten Gewinne behalten zwecks Selbsterwirtschaftung der Investitionen oder zur Ausschüttung. Damit erlahmt die Investitionstätigkeit, denn erstens sind die bei den Betrieben verbleibenden Gewinnanteile nicht immer ausreichend für innovative Investitionen und zweitens werden die Gewinnanteile auch gern privat angeeignet (was ja ausdrücklich erlaubt ist). Der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft und deren teilweise Privatisierung heben das Außenwirtschaftsmonopol des Staates auf – siehe Mariel in Kuba. Das Ganze wird als ›Vervollkommnung‹ unseres ›sozialistischen Wirtschaftsmodells‹ verkauft und oft und viel von Harmonie und Einheit gesprochen. Aber die Gesellschaft zerfällt Schritt für Schritt in Einzelinteressen, denn es entsteht auf der einen Seite eine neue Klein- und Mittelbourgeoisie, die entsprechend ihres Klasseninteresses weitere ›Liberalisierungen‹, ›Entbürokratisierungen‹ usw. fordern wird, auf der anderen Seite ein Anteil der Arbeiterklasse, der sich in prekärer Beschäftigung oder in Arbeitslosigkeit wiederfindet.«

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