Welle an tödlichen Arbeitsunfällen in Italien
Von Gerhard FeldbauerDie Welle der Todesfälle am Arbeitsplatz in Italien steigt weiter: Im Juli verzeichnete die Statistik 95 tödliche Unfälle. Mit den 25 weiteren auf dem Arbeitsweg sind es 120, berichtete das linke Magazin Contropiano am 2. August und bezog sich dabei auf einen Bericht des Nationalen Observatoriums für Todesfälle am Arbeitsplatz von Bologna. Seit Jahresbeginn gibt es bereits 620 registrierte Todesfälle. Nicht erfasst sind in dieser Todesstatistik 233 umgekommene Arbeiter, die beim Nationalen Institut für Pflichtversicherungen gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (INAIL) nicht registriert waren, was in der Regel auf Schwarzarbeit schließen lässt. Denn Ausländer unter 60 Jahren stellen die Mehrheit der tödlich verunglückten Arbeiter. Am häufigsten sterben Rumänen, Marokkaner, Tunesier und Albaner, so das Observatorium. 32 Prozent der Toten sind über sechzig Jahre. Die meisten Todesfälle gab es in den nördlichen industriellen Regionen der Lombardei mit 80 und der Emilia-Romagna mit 53, während es im südlichen Kampanien 59 und auf Sizilien 51 waren.
Sie stürzen von Gerüsten und Lagerdächern, werden von Traktoren zerquetscht, fallen unter Maschinen oder Lastwagen, sterben unter der brütend heißen Sommerhitze, wie die Gewerkschaft CGIL auf ihrer Plattform Collettiva schrieb. Auch Übermüdung oder Stress durch Überbelastung spielten demnach eine Rolle. Vor allem aber die Nichteinhaltung elementarster Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz.
Nachdem im April sieben Arbeiter bei einer Explosion in einem Wasserkraftwerk des ENI-Konzerns ums Leben gekommen sind, hatten die Gewerkschaften in einem Generalstreik gefordert, die Tötung am Arbeitsplatz unter Strafe zu stellen. Denn nur so könne auf die Unternehmer eingewirkt werden, Maßnahmen zur Sicherheit am Arbeitsplatz zu ergreifen. Der Abgeordnetenkammer liegt ein von der Mitte-links-Fraktion verfasster Gesetzentwurf vor, der die Einführung eines solchen Tatbestandes vorsieht. Die CGIL sammelt derzeit für ein Referendum zur Durchsetzung die dafür erforderlichen 500.000 Unterschriften.
Ein »Akt der Barbarei«, der dem Szenario eines Horrorfilms glich, war im Juni der Tod des 37jährigen indischen Erntehelfers Satnam Singh, der auf einem Feld bei Borgo Santa Maria, etwa 60 Kilometer südlich von Rom, in eine Maschine geraten war, die seinen rechten Arm abtrennte und mehrere Knochenbrüche an beiden Beinen verursachte. Statt Erste Hilfe zu leisten und den Notarzt zu rufen, ließ der Unternehmer den Verletzten in einen Lieferwagen packen und wie einen Sack Müll nahe seiner Wohnung abladen. Erst nach anderthalb Stunden wurde der Schwerverletzte in einem von den Nachbarn herbeigerufenen Helikopter in ein Krankenhaus nach Rom geflogen, wo er an seinen Verletzungen starb. Der abgetrennte Arm wurde in einer Obstkiste neben der Wohnung entdeckt. Gegen den Patron, einen 37jährigen Italiener, wird wegen fahrlässiger Tötung, unterlassener Hilfeleistung und Verstößen gegen Sicherheitsbestimmungen ermittelt.
Trotz der steigenden Anzahl an Toten wird seitens der Regierung nichts unternommen, den Unfällen vorzubeugen. Dabei waren schon 2020 bei einer Kontrolle von 7.486 Unternehmen in 86 Prozent der Fälle Verstöße gegen Arbeitsschutz oder Arbeitsrecht (Schwarzarbeit) festgestellt worden. Aber statt die zuständige Behörde für Kontrollen zu verstärken, wurde sie von damals 246 Arbeitsinspektorinnen und -inspektoren um 21 verringert. Das Netzwerk »Rete Iside Onus« (RIO) der Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB) enthüllte 2023, dass es sich bei den Arbeitsunfällen nicht um tragisches Unglück handelt, sondern sie »Ergebnis des herrschenden kapitalistischen Systems sind, das vollständig auf Profit und Ausbeutung ausgerichtet ist, in dem Sicherheit am Arbeitsplatz nur ein ›unnötiger Kostenfaktor‹ ist, der den Gewinn schmälert«.
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Leserbrief von E.Rasmus (9. August 2024 um 11:16 Uhr)Beim Lesen dieses Artikels von Gerhard Feldbauer lief es mir, obwohl sommerlicher Temperaturen, kalt den Rücken herunter. In der Tat – und es ist sogar Zynismus – kann man hier nicht mehr von Unfällen, sondern von Totschlag in Italiens Arbeitswelt sprechen. Man könnte glauben, weit über 100 Jahre zurückversetzt zu sein, doch das Kapital hat unveränderlich seinen Profit- und Warencharakter behalten. Nichts anderes als Wegwerfware ist die Arbeitskraft, und die durch den Revisionismus in ihrer Entwicklung hin zum Opportunismus und der Zerstörung des sozialistischen Weltsystems stark zurückgeworfene Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung hat andererseits natürlich die vollständige Demaskierung des Monopolkapitalismus zur Folge. Das sollte erkenntnistheoretisch hoffentlich für das Klassenbewußtsein sowohl im Gewerkschaftskampf als auch bei kommunistischen Parteien förderlich wirken, um endlich und alternativlos auf den Boden des Marxismus-Leninismus zurückzugelangen.
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