Offene Fragen nach Anschlag in Tel Aviv
Von Gerrit HoekmanIn Israel befürchten manche, es könnte eine neue Welle sogenannter Selbstmordanschläge bevorstehen. Am Sonntag abend war in Tel Aviv eine Bombe explodiert, ein 50 Jahre alter Mann starb, offenbar der Attentäter. Ein 33jähriger Passant wurde laut Ärzten mittelschwer verletzt. Die militärischen Arme der palästinensischen Organisationen Hamas und »Islamischer Dschihad«, die Al-Kassam- und die Al-Kuds-Brigaden, bekannten sich am Montag zu dem Anschlag. Der Täter soll israelischen Medien zufolge aus Nablus im besetzten Westjordanland stammen.
»Die Brigaden versichern, dass Märtyreroperationen im besetzen Inneren wieder in den Vordergrund rücken werden, solange die Massaker der Besatzung, die Vertreibung von Zivilisten und die Fortsetzung der Mordpolitik andauern«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der beiden radikalislamischen Organisationen. Mit dem »besetzten Inneren« ist ganz klar das palästinensische Kernland gemeint, also das heutige Israel. Der Verweis auf die »Mordpolitik« bezieht sich offenbar auf die Ermordung des Hamas-Führers Ismail Hanija am 31. Juli in Teheran, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Israels Rechnung geht.
Die Drohung weckt in der israelischen Bevölkerung Erinnerungen an eine blutige Zeit. Während der Zweiten Intifada von 2000 bis 2005 sprengten sich mehrfach palästinensische Frauen und Männer in Bussen, Restaurants oder auf Wochenmärkten in die Luft und rissen Hunderte Menschen mit in den Tod. Für die meisten Attentate zeichneten Hamas und der »Islamische Dschihad« verantwortlich. Seit 2005 fanden allerdings fast keine »Selbstmordanschläge« in Israel mehr statt. Daher schlussfolgert etwa der US-amerikanisch-palästinensische Journalist Ramzy Barud, dass dies »den Beginn einer strategischen Wende der Palästinenser in ihrem anhaltenden Krieg gegen die israelische Besatzung markieren« könnte. Indem den Israelis in den großen Städten jegliches Sicherheitsgefühl verwehrt werde, schrieb Barud am Dienstag im Middle East Monitor, »könnte sich die israelische Öffentlichkeit erneut gegen Netanjahus Versagen wenden, da er keines seiner hochtrabenden Versprechen eingelöst hat.« In den jüngsten Meinungsumfragen liegt der israelische Premier zum ersten Mal seit dem 7. Oktober wieder vorne.
Die Frage ist aber, ob Hamas und »Islamischer Dschihad« überhaupt in der Lage sind, im großen Stil Anschläge in Israel zu verüben. In der Zweiten Intifada war es im Vergleich zu heute relativ leicht, von der Westbank nach Israel zu gelangen, und sei es als Arbeiter. Seit Kriegsbeginn ist die Grenze praktisch dicht. Es ist bis jetzt völlig unklar, wie es der Attentäter vom Sonntag aus Nablus nach Tel Aviv geschafft hat. Die Tageszeitung Haaretz hielt die Beantwortung dieser Fragen am Dienstag für sehr dringlich, »wenn man die Situation im Westjordanland betrachtet, wo Wut und Frustration immer weiter zunehmen«. Vor allem würden »Israels verstärkte Operationen in palästinensischen Städten und Dörfern und die Amokläufe der Siedler gegen die Einheimischen« weiteres Öl ins Feuer gießen. Die Situation schaffe einen »fruchtbaren Boden für die Rekrutierung von Selbstmordattentätern«.
Die israelischen Sicherheitsbehörden wollen laut Times of Israel in der Westbank bereits entsprechende Versuche ausgemacht haben. »Im März dieses Jahres wurde ein potentieller Selbstmordattentäter getötet, als er versuchte, vom Westjordanland nach Israel einzudringen«, schrieb die Zeitung am Montag. In den Monaten zuvor hätten weitere Anschläge vereitelt werden können. Die Bombe in Tel Aviv explodierte, kurz nachdem US-Außenminister Antony Blinken zu einem Besuch in Israel angekommen war. Allerdings handelt es sich bei dem Getöteten wahrscheinlich nicht um einen »Selbstmordattentäter«. Auf der Aufnahme einer Überwachungskamera trägt er einen Rucksack, in dem er vermutlich die Bombe transportierte. Der Sprengsatz ging »offenbar früher als geplant hoch, und es war unklar, ob der Angreifer einen Selbstmordanschlag verüben oder den Sprengsatz plazieren und per Fernzugriff zünden wollte«, berichtete die US-Agentur AP. In der Vergangenheit trugen entsprechende Attentäter meist einen Sprenggürtel. Davon war bei dem Mann in Tel Aviv in den Polizeiberichten jedoch keine Rede.
Siehe auch
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 07.06.2024
Bomben auf »Hamas«
- 25.03.2024
Im Schatten der Hungersnot
- 23.03.2024
Israel tötet möglichst viele
Mehr aus: Ausland
-
Schlagabtausch mit Hisbollah
vom 22.08.2024 -
Peltier kämpft ums Überleben
vom 22.08.2024 -
Umbruch im Senegal
vom 22.08.2024 -
Demokraten haben sich lieb
vom 22.08.2024