75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Freitag, 22. November 2024, Nr. 273
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 02.09.2024, Seite 6 / Ausland
Verfahren gegen Telegram-Gründer

Opfer des Informationskrieges

Macron: Festnahme von Telegram-Chef »keine politische Entscheidung«. Kanäle zu Palästina gesperrt
Von Alex Favalli
imago0757275733h.jpg
Hat schon einige Erfahrungen mit übergriffigen Behörden: Telegram-Gründer Pawel Durow

Telegram-Gründer Pawel Durow wurde am Mittwoch nach vier Tagen in französischem Polizeigewahrsam wieder freigelassen. Dafür musste er eine Kaution von rund fünf Millionen Euro zahlen, darf Frankreich zunächst nicht verlassen und muss sich zweimal pro Woche bei den Behörden melden.

Die französische Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn unter anderem, Komplize bei kriminellen Aktivitäten wie Geldwäsche, Kinderpornographie, Drogenhandel und Betrug zu sein. Dabei – so das Argument seiner Anwälte – stelle Durow mit Telegram lediglich eine Kommunikationsplattform zur Verfügung, habe aber auf die Aktivitäten keinen Einfluss. David-Olivier Kaminski, einer von Durows Anwälten, wurde von französischen Medien mit den Worten zitiert: »Es ist völlig absurd zu denken, dass die Person, die für ein soziales Netzwerk verantwortlich ist, in kriminelle Handlungen verwickelt sein könnte, die ihn weder direkt noch indirekt betreffen.«

Die Verhaftung löste eine Welle der Kritik aus, denn sowohl Verfechter der freien Meinungsäußerung als auch Regierungen außerhalb der EU haben das Vorgehen Frankreichs, dessen Staatsbürgerschaft Durow besitzt, verurteilt. »2018 hatte eine Gruppe von 26 NGOs, darunter Human Rights Watch, Amnesty International, Freedom House, ›Reporter ohne Grenzen‹ und andere, die Entscheidung eines russischen Gerichts verurteilt, Telegram zu blockieren«, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa. »Der Westen hat weitere ähnliche Erklärungen abgegeben.«

Telegram spielt eine zentrale Rolle in den laufenden Informationskriegen in der Ukraine und in Gaza. Noch vor einigen Monaten zog die ukrainische Regierung eine Sperrung des Nachrichtendienstes in Erwägung. »Telegram ist zum wichtigsten Messengerdienst des Krieges geworden«, so Ruslan Lewijew, Leiter der NGO »Conflict Intelligence Team« in Tbilissi, am Donnerstag gegenüber der Financial Times. »Militärische Rekrutierer nutzen es, weil sie wissen, dass sie nicht blockiert oder entfernt werden«, so Lewijew. »Ich glaube, so ziemlich jeder russische Soldat hat es installiert.« Die App wird außerdem von Journalisten aus dem Gazastreifen benutzt, um die laufenden israelischen Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Am 21. August berichtete die israelische Tageszeitung Haaretz, dass »Telegram sich seit Beginn des Krieges als massive Herausforderung für Israel erwiesen hat«. Gemeint sind damit »sensible Daten« aus Israel, die von Hackern erlangt und über Telegram-Kanäle veröffentlicht wurden.

Am Tag vor Durows Verhaftung sind in mehreren EU-Ländern, darunter der BRD, propalästinensische Telegram-Kanäle gesperrt worden. So zum Beispiel das »Palestine Archive« mit 15.000 Followern oder das »Palestinian Restistance News Network« mit 166.000 Followern. Doch Emmanuel Macron beharrt darauf, dass es sich »in keiner Weise um eine politische Entscheidung« handele, sondern um eine laufende Untersuchung durch eine unabhängige Justiz. Der Vergleich mit anderen sozialen Medien lässt an solchen Aussagen allerdings zweifeln: Ende Dezember wurde Meta (Facebook, Whatsapp, Instagram) von Human Rights Watch der »systematischen Zensur von palästinensischen Inhalten« beschuldigt, nachdem der Konzern Videos von israelischen Militärangriffen zensiert hatte.

Außerdem wurden am 16. August die Facebook- und Instagram-Kontos des Onlinemagazins für »Geopolitik in Westasien« The Cradle blockiert, weil sie angeblich gegen die Gemeinschaftsrichtlinien verstießen, indem sie »terroristische Organisationen lobten« und »zu Gewalt aufriefen«. Das Medium hatte aufgrund seiner Berichterstattung über den Krieg in Gaza mehr als 107.000 Abonnements und Millionen Aufrufe. The Cradle behauptet nun, dass »Cyberwell«, eine NGO mit Verbindungen zu israelischen Geheimdiensten, Druck ausgeübt habe, um den Telegram-Gründer verhaften zu lassen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

Mehr aus: Ausland