Opfer des Informationskrieges
Von Alex FavalliTelegram-Gründer Pawel Durow wurde am Mittwoch nach vier Tagen in französischem Polizeigewahrsam wieder freigelassen. Dafür musste er eine Kaution von rund fünf Millionen Euro zahlen, darf Frankreich zunächst nicht verlassen und muss sich zweimal pro Woche bei den Behörden melden.
Die französische Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn unter anderem, Komplize bei kriminellen Aktivitäten wie Geldwäsche, Kinderpornographie, Drogenhandel und Betrug zu sein. Dabei – so das Argument seiner Anwälte – stelle Durow mit Telegram lediglich eine Kommunikationsplattform zur Verfügung, habe aber auf die Aktivitäten keinen Einfluss. David-Olivier Kaminski, einer von Durows Anwälten, wurde von französischen Medien mit den Worten zitiert: »Es ist völlig absurd zu denken, dass die Person, die für ein soziales Netzwerk verantwortlich ist, in kriminelle Handlungen verwickelt sein könnte, die ihn weder direkt noch indirekt betreffen.«
Die Verhaftung löste eine Welle der Kritik aus, denn sowohl Verfechter der freien Meinungsäußerung als auch Regierungen außerhalb der EU haben das Vorgehen Frankreichs, dessen Staatsbürgerschaft Durow besitzt, verurteilt. »2018 hatte eine Gruppe von 26 NGOs, darunter Human Rights Watch, Amnesty International, Freedom House, ›Reporter ohne Grenzen‹ und andere, die Entscheidung eines russischen Gerichts verurteilt, Telegram zu blockieren«, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa. »Der Westen hat weitere ähnliche Erklärungen abgegeben.«
Telegram spielt eine zentrale Rolle in den laufenden Informationskriegen in der Ukraine und in Gaza. Noch vor einigen Monaten zog die ukrainische Regierung eine Sperrung des Nachrichtendienstes in Erwägung. »Telegram ist zum wichtigsten Messengerdienst des Krieges geworden«, so Ruslan Lewijew, Leiter der NGO »Conflict Intelligence Team« in Tbilissi, am Donnerstag gegenüber der Financial Times. »Militärische Rekrutierer nutzen es, weil sie wissen, dass sie nicht blockiert oder entfernt werden«, so Lewijew. »Ich glaube, so ziemlich jeder russische Soldat hat es installiert.« Die App wird außerdem von Journalisten aus dem Gazastreifen benutzt, um die laufenden israelischen Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Am 21. August berichtete die israelische Tageszeitung Haaretz, dass »Telegram sich seit Beginn des Krieges als massive Herausforderung für Israel erwiesen hat«. Gemeint sind damit »sensible Daten« aus Israel, die von Hackern erlangt und über Telegram-Kanäle veröffentlicht wurden.
Am Tag vor Durows Verhaftung sind in mehreren EU-Ländern, darunter der BRD, propalästinensische Telegram-Kanäle gesperrt worden. So zum Beispiel das »Palestine Archive« mit 15.000 Followern oder das »Palestinian Restistance News Network« mit 166.000 Followern. Doch Emmanuel Macron beharrt darauf, dass es sich »in keiner Weise um eine politische Entscheidung« handele, sondern um eine laufende Untersuchung durch eine unabhängige Justiz. Der Vergleich mit anderen sozialen Medien lässt an solchen Aussagen allerdings zweifeln: Ende Dezember wurde Meta (Facebook, Whatsapp, Instagram) von Human Rights Watch der »systematischen Zensur von palästinensischen Inhalten« beschuldigt, nachdem der Konzern Videos von israelischen Militärangriffen zensiert hatte.
Außerdem wurden am 16. August die Facebook- und Instagram-Kontos des Onlinemagazins für »Geopolitik in Westasien« The Cradle blockiert, weil sie angeblich gegen die Gemeinschaftsrichtlinien verstießen, indem sie »terroristische Organisationen lobten« und »zu Gewalt aufriefen«. Das Medium hatte aufgrund seiner Berichterstattung über den Krieg in Gaza mehr als 107.000 Abonnements und Millionen Aufrufe. The Cradle behauptet nun, dass »Cyberwell«, eine NGO mit Verbindungen zu israelischen Geheimdiensten, Druck ausgeübt habe, um den Telegram-Gründer verhaften zu lassen.
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