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Aus: Ausgabe vom 17.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Primat der Politik

Die Reaktion der Mitläufer

Konzerne machen Beschäftigte, Kunden und Gesellschaft zu Sündenböcken
Von Klaus Fischer
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Im Schnitt waren die BRD-Werke von VW, BMW, Mercedes und Co. 2023 nur zu etwas mehr als zwei Dritteln ausgelastet

Während der »Merkel-Zeit« waren Branchenunternehmer handzahm. Jede Wendung aus dem Bundeskanzleramt und den Ministerien wurde klaglos mitgemacht. Atomausstieg sofort – kein Problem. Strom für E-Autos? Kommt aus der Batterie – und der Steckdose. Klimaschutz hat Priorität. Milliardensumme für den Auf- und Ausbau von Werken zur Elektroautoproduktion – haben wir. Alle drei deutschen Branchenriesen Volkswagen (mit den Töchtern Porsche und Audi), Mercedes-Benz sowie BMW entdeckten ihre Spendierhosen für die Transformation. Und das subito. Bedenken wurden nur hinter vorgehaltener Hand geäußert.

Entgegen kam der Politik auch die Trickserei der Konzerne bei der Abgasmessung. Die am Konkurrenzstandort USA (General Motors, Ford, Chrysler, Tesla) 2015 »entdeckten« Manipulationsmechanismen der BRD-Konzerningenieure und -manager wurden zum globalen Skandal aufgeblasen. Der stoppte nicht nur den Höhenflug von VW, der damaligen Nummer eins weltweit. Auch mussten Milliardensummen dem US-Staat überwiesen werden. Aus den Führungsetagen der Unternehmen kam denn auch statt Widerspruch kleinlaute Zustimmung zu allem, was das politische Berlin ansagte.

Jetzt beklagen die großen drei – und zahllose Zulieferer – schwache Absatzzahlen und hohe Kosten für den Umstieg auf den E-Antrieb. Das schlägt auf die Margen. VW verkündete im ersten Halbjahr 14 Prozent weniger Überschuss. BMW verlor fast 15 Prozent und Mercedes-Benz fast 16 Prozent. Sinkende Gewinne alarmieren Eigentümer. Da verstehen sie keinen Spaß.

Die Schwäche der heimischen Konzerne lässt die Konkurrenz lächeln. Lange Zeit war der Export Treiber der Branche. »Von den 4,1 Millionen Autos, die 2023 in Deutschland produziert wurden, gingen laut VDA 3,1 Millionen – also rund drei Viertel – ins Ausland«, berichtete dpa am vergangenen Freitag. »Die Gewichte im Weltmarkt verschieben sich«, zitierte die Nachrichtenagentur eine Lobbyistin des Branchenverbands VDA.

Im Schnitt waren die deutschen Werke von VW, BMW, Mercedes und Co. 2023 laut dpa nur zu etwas mehr als zwei Dritteln ausgelastet. 6,2 Millionen Autos pro Jahr könnten alle Standorte zusammen liefern. Geschafft wurden 2023 nur gut 4,1 Millionen.

Kein Wunder, dass jetzt »Sparen« als (alter und) neuer Kampfbegriff aus dem Management tönt. So plant VW radikale Einschnitte beim Personal (jW berichtete), will die Beschäftigungssicherung aufheben und möglicherweise ganze Werke stilllegen. Die Interessenvertretung IG Metall scheint überrumpelt. Zwar kommt markiger Widerspruch von den Gewerkschaftsvorsitzenden Christiane Benner (IGM) und Yasmin Fahimi (DGB). Die Chefin des VW-Gesamtbetriebsrats, Daniela Cavallo, drohte gar mit Streik. Aber echte Gegenwehr ist schwer zu generieren, wenn die Betriebsrats- und Gewerkschaftsspitzen gleichzeitig in den Führungsetagen des VW-Aufsichtsrats sitzen. Konfliktscheu sollten die VW-Beschäftigten jedenfalls jetzt nicht sein.

Auf Expertenrat können Betriebsräte und Beschäftigte kaum hoffen. Zu stark sind viele Ökonomen bereits dem Traum einer unverzüglich zu exekutierenden Transformation verfallen. So behauptet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) laut dpa, die hiesigen Hersteller hätten weiterhin »alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten«. Denn »die Behauptung, der Verbrennungsmotor sei zukunftsfähig, ist ein gefährlicher Irrglaube«, zitiert dpa DIW-Chef Marcel Fratzscher. Die Entscheidung für das ­E-Auto sei weltweit längst gefallen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (17. September 2024 um 06:26 Uhr)
    Die Vorstellung, alles könne auf dieser Welt weiter so wie bisher laufen, man brauche nur ein winziges bisschen an der »Transformationsschraube« zu drehen, ist reichlich illusionär. Zu deutlich zeigt uns die Natur bereits, dass es auf dieser Erde Grenzen für unsere bisherige Existenzweise gibt. Die geht davon aus, dass es alles im Überfluss gibt: Rohstoffe, Platz zum Leben, Luft zum Atmen, sauberes Wasser, Energie. Aber all das ist beschränkt und die Gesellschaft muss endlich lernen, sich auf diese Grenzen einzustellen. Das wird der Kapitalismus mit seinem »Das kann ich mir leisten!« nicht schaffen. Denn, soll diese Welt weiter von Menschen bewohnbar bleiben, lautet die Frage »Was dürfen wir uns alle gemeinsam und damit auch jeder Einzelne leisten?« Diesen gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Notwendigkeiten unserer Existenz versperrt das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Ökologische Revolution ist ohne Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht zu haben – so einfach und klar stellen sich im 21. Jahrhundert die Fragen. Alle Flickschusterei gegenwärtiger Politik wird daran nichts ändern. Die überaus schnelle Metamorphose der Grünen von einer Hoffnung verheißenden Friedens- und Umweltbewegung zu einer kriegsbejahenden Kraft zeigt überdeutlich, dass das Kapital durchaus in der Lage ist, diesen notwendigen gesellschaftlichen Wandlungsprozess solide zu hintertreiben. Mit klugen Vorschlägen und kniefälligen Bitten an die Regierenden wird sich diese Destruktivität der herrschenden Verhältnisse wohl kaum ändern lassen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. September 2024 um 15:31 Uhr)
      Hunderrt Prozent Zustimmung! Einziger Änderungsvorschlag: Produktionsweise statt Existenzweise.
      • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. September 2024 um 17:30 Uhr)
        Es geht nicht nur um die Art der »Produktion«, sondern um die der gesamten »Existenz« des Menschen; insofern ist dieser Terminus vollkommen korrekt angewandt. Oder um mit Erich Fromm zu sprechen: The Having mode of existence (Existenzweise des Habens) vs. The Being mode of existence (Existenzweise des Seins). Siehe: Erich Fromm (1976): To Have or to Be
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (17. September 2024 um 15:23 Uhr)
      »Denn, soll diese Welt weiter von Menschen bewohnbar bleiben, lautet die Frage ›Was dürfen wir uns alle gemeinsam und damit auch jeder Einzelne leisten?‹« Ja, ja, wir leben über unsere Verhältnisse, jeder Einzelne müsse sich diese Frage stellen. Das sollten Sie mal den prekär Beschäftigten, Arbeitslosen, Obdachlosen oder Flaschensammlern erzählen. Den Zynismus, »dass es auf dieser Erde Grenzen für unsere bisherige Existenzweise gibt«, sollten Sie da besser nicht bringen. Im übrigen könnte man den Autowahn auch anders kritisieren. Die Frage »Was können wir uns leisten« ausgerechnet am Besitz eines dieser Blechkisten festzumachen, geht an der Sache vorbei. Schon jetzt dürften 50 Prozent der Autos unnötig sein, vor allem in Ballungsgebieten. Erst recht in einer Gesellschaft, die auf den öffentlichen Verkehr setzt.
      • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (19. September 2024 um 09:57 Uhr)
        Die Grenzen des Möglichen werden nicht durch »Zynismus«, sondern durch Naturgesetzlichkeiten bestimmt. Es geht somit immer um die Verteilung des Begrenzten. Damit ein Herr Lindner in einem Porsche durch die Gegend röhren und ein Merz zwei Privatflugzeuge sein Eigen nennen kann, müssen (systembedingt) eben viele Menschen hierzulande »Flaschen sammeln«. Oder um es mit dem ersten Buchungsatz der »Doppelten Buchführung« auszudrücken: Keine Buchung ohne Gegenbuchung! Diesen Zusammenhang scheinen Sie offensichtlich noch nicht so recht begriffen zu haben.

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