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Aus: Ausgabe vom 27.09.2024, Seite 15 / Feminismus
Sexualisierte Gewalt

Ganz normale Männer

Prozess in Frankreich wegen vielfacher Vergewaltigung einer Frau, organisiert durch ihren Ehepartner. Er zeigt: Monster gibt es nicht
Von Barbara Peveling
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»Alle Frauen für Gisèle«: Protest vor dem Gericht in Marseille (14.9.2024)

Gisèle Pélicot führte ein ganz gewöhnliches Leben. Scheinbar. Denn ihr Ehemann Dominique Pélicot soll sie jahrelang betäubt, benutzt und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten haben. Diese Männer, die sich über eine Webseite fanden, teilten denselben kriminellen Wunsch: einer bewusstlosen Frau sexuelle Gewalt antun. So »normal« wie Pélicot sind auch die fünfzig von den über achtzig Männern, die Gisèle Pélicot vergewaltigten und nun bei dem Prozess vor Gericht stehen. Sie sind Krankenpfleger, Feuerwehrmänner, Gärtner, Ingenieure, sie haben in den meisten Fällen keine Einträge in ihren Führungszeugnissen, sind zwischen zwanzig und über siebzig Jahre alt und in vielen Fällen ganz normale Familienväter.

Für Gisèle Pélicot aber war es ein jahrzehntelanger Alptraum sexueller Gewalt. Die Angeklagten zeigen einmal mehr, was von Frauenrechtlerinnen seit Jahren formuliert wird: Es gibt kein Profil des Täters sexualisierter Gewalt. Der gewalttätige Mann ist nicht das Monster, das äußere Störelement, das den Frieden der Gesellschaft zerstört. Die Idee des »guten Familienvaters«, den beispielsweise die Autorin Rose Lamy konzeptualisiert, rührt von einer alten juristischen Formel aus dem französischen Bürgerlichen Gesetzbuch her, die 2014 entfernt wurde. Entstanden aus dem römischen Recht, steht der »pater familias« für die gesellschaftliche Norm. Er ist das Gegenteil des »Monsters«. Doch sexualisierte Gewalt kommt in allen sozialen Schichten und Milieus vor. Es gibt auch Gewalt, die von Außenseitern oder Unbekannten begangen wird. Es geht nicht darum, ihre Existenz zu leugnen. Doch was die innerfamiliäre Gewalt angeht, sind die Statistiken eindeutig: Es sind hauptsächlich Partner, Väter, die Gewalt ausüben. Der Prozess in Avignon spiegelt dies wider. Die Taten fanden im familiären Umfeld statt und wurden vom Ehemann organisiert. Die gewöhnlichen Männer bilden einen Boys Club, eine Personifikation des Boys Club. Genau wie andere gesellschaftliche Organisationen, die traditionell männlich geprägt sind. Organisationen, die von Männern geführt werden, die ein Privileg daraus ziehen. Und die damit eine alltägliche Gewalt reproduzieren, die im Privaten bereits als Dominanz des einen Geschlechts über das andere besteht.

Seit Beginn des Prozesses in Frankreich wird das Ende dieser Dominanz toxischer Männlichkeit laut eingefordert. Zur Zeit werden auch vermehrt männliche Stimmen dazu laut, die sich öffentlich den Forderungen von Frauenrechtlerinnen anschließen. So erschien in der vergangenen Woche ein Aufruf zur Abschaffung männlicher Dominanz in der Tageszeitung Libération, der von mehr als zweihundert Männern aus dem öffentlichen Leben unterschrieben wurde. Währenddessen wird in Deutschland weiterhin mehrheitlich geschwiegen. Man könnte fast meinen, in Deutschland würden sexualisierte Straftaten nur von Außenseitern, von Monstern begangen. Obwohl, in Frankfurt sind allein in der vergangenen Woche fünfzig Wohnungen wegen des Verdachts auf Kinder- und Jugendpornographie sowie der sexualisierten Gewalt durchsucht worden. Die Verdächtigen sind ausschließlich männlich und zwischen 15 und 68 Jahre alt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sich darunter mehrheitlich keine Monster, sondern ganz normale Männer befinden. Solche, die durch Boys Clubs sozialisiert sind und die Kultur der männlichen Dominanz über den weiblichen Körper auch in Deutschland weiter aufrechterhalten.

Barbara Peveling: Gewalt im Haus. Intime Formen der Dominaz. Edition Nautilust, Berlin 2024, 320 Seiten, 22 Euro

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