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Aus: Ausgabe vom 25.10.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Privatisierung von Nahverkehr

Tokyo Metro bietet sich der Börse an

Mit Börsengang der Tokioer U-Bahn wächst der Druck auf kurzfristige Unternehmensgewinne
Von Igor Kusar, Tokio
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Wieder einmal geht in Japan ein staatlich kontrolliertes Unternehmen an die Börse – und die in- und ausländischen Medien klatschen lautstark Beifall. Auch die deutsche Presse gibt sich euphorisch. Von »Nahverkehr als Erfolgsgeschichte – auch an der Börse« ist da die Rede, und von den Japanern, die zeigen, »wie die Privatisierung des Schienenverkehrs gelingen kann«.

Am Mittwoch hatte Tokyo Metro, der größte und älteste U-Bahn-Betreiber der japanischen Hauptstadt, seinen Börsengang. Bereits am ersten Handelstag stieg der Kurs kräftig an. Nach einem Ausgabepreis von 1.200 Yen (rund sieben Euro) eröffneten die Aktien bei 1.630 Yen und beendeten den Tag bei 1.739 Yen. Das öffentliche Angebot brachte 348,6 Milliarden Yen (rund zwei Milliarden Euro) ein. Der japanische Staat hat bisher 53,4 Prozent des Gesamtaktienpakets gehalten, die Metropole Tokio die verbliebenen 46,6 Prozent. Beide Seiten werden die Hälfte ihrer Anteile nach und nach verkaufen.

Tokyo Metro besitzt eines der wichtigsten Verkehrsnetze in der mit fast vierzig Millionen Einwohnern größten Metropolregion der Welt. Das Unternehmen betreibt 195 Kilometer Bahnlinie und befördert 6,5 Millionen Menschen täglich. Mit den Einnahmen aus dem Börsengang will die japanische Regierung die hohen Staatsschulden verringern. Dazu hat sie sich gesetzlich verpflichtet. Die Gelder sollen in die Rückzahlung der Wiederaufbauanleihen für das Tohoku-Erdbeben von 2011 gehen, das eine Dreifachkatastrophe auslöste und einen atomaren Supergau zur Folge hatte. Die Stadtverwaltung Tokios kann über die Gelder frei verfügen. Angedacht ist etwa ein weiterer Ausbau der Bahnsteigtüren, eine in Trennwänden eingelassene Tür zwischen Fahrtrasse und Bahnsteig.

Japan hat eine lange Geschichte von Privatisierungen, die bis in die 1980er Jahre zurückreicht. 1987 ließ der damalige Premierminister Nakasone Yasuhiro die Staatsbahn zerschlagen. Sie wurde in sechs Regionalgesellschaften aufgeteilt, die Privatisierung begann. Mit der Maßnahme wollte Nakasone vor allem die mächtige Bahngewerkschaft schwächen. 2005 leitete der ehemalige Ministerpräsident Koizumi Junichiro die Postprivatisierung ein. Die Post ging 2015 an die Börse. Bei diesem Deal war viel Druck aus den USA mit im Spiel, die darauf drängten, das Geld auf den japanischen Postsparkonten für den US-Markt freizuschalten. In der Folgezeit verschlechterte und verteuerte sich die Postzustellung.

Diesmal, beim Börsengang von Tokyo Metro, gibt es nur wenige Stimmen, die auf die Erfahrung mit der Postprivatisierung hinweisen. Natürlich ist der Fall Post mit seinem natürlichen Monopol anders gelagert als der Fall Bahn. Im Großraum Tokio gibt es mehr als eine Handvoll Bahnunternehmungen und zig Bahnlinien, die miteinander konkurrieren. Ein Fahrgast hat oft die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Wegen zu wählen, um ans Ziel zu gelangen. In diesem Umfeld ist eine Preiserhöhung der Bahngebühr kein einfaches Unterfangen. Und Sicherheit, Pünktlichkeit und Sauberkeit werden überall großgeschrieben und von den Bahnkunden geschätzt.

Gerade auch vor diesem Hintergrund bleibt die Frage, warum Tokyo Metro an die Börse gegangen ist. Der CEO, Yamamura Akiyoshi, sagte am Mittwoch vor Journalisten, der Börsengang werde den Grundstein legen für weitere unternehmerische Reformen. »Der Börsengang gibt uns die Chance, unabhängiger zu agieren, die Transparenz unseres Managements zu erhöhen und unsere Entscheidungsprozesse zu beschleunigen.« Was er nicht sagte, ist, dass das Unternehmen nun auf die Stimme der privaten Anleger wird hören müssen. Und die verlangen vor allem, dass die Aktienkurse steigen. Der Druck, die Unternehmensgewinne kurzfristig zu erhöhen, wird zunehmen. Dies könnte – entgegen der postulierten Ziele – zu einem Stau langfristiger Investitionen in die Infrastruktur und die Sicherheit führen.

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