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Aus: Ausgabe vom 25.10.2024, Seite 15 / Feminismus
Migrationspolitik

»Allen afghanischen Frauen muss Asyl gewährt werden«

Bundesregierung verletzt humanitäre Pflichten und EuGH-Urteil. Bislang nur 692 Menschen aufgenommen. Ein Gespräch mit Jule Klemm
Von Gitta Düperthal
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»Mission Lifeline International« warnt im Bündnis mit sieben weiteren Nichtregierungsorganisationen, NGOs, dass bei den laufenden Verhandlungen zum Bundeshaushalt die Weiterführung des Bundesaufnahmeprogramms, BAP, Afghanistans gefährdet ist. Wie ist die Lage dort unter der Herrschaft der Taliban?

Grundrechte der Menschen werden missachtet, die Wirtschaftslage ist schlecht, die Versorgung katastrophal. Frauen werden ermordet, gefoltert und vergewaltigt, teilweise sogar im öffentlichen Raum. Mädchen ist es untersagt, zur Schule zu gehen. Frauen, die dagegen auf die Straße gehen und demonstrieren, werden gesteinigt. Vor allem Personen, die mit internationalen Organisationen zusammengearbeitet haben, werden verfolgt und bedroht. Die Taliban sehen sie als Spione an. Weil keine Frau in Afghanistan ein Leben frei von schweren Menschenrechtsverletzungen führen kann, bestätigte der EuGH mit seinem Urteil vom 4. Oktober: Allen afghanischen Frauen, die in der EU Schutz suchen, muss Asylrecht gewährt werden – ohne Einzelfallüberprüfung.

Wie ist die Bereitschaft der Bundesregierung, der humanitären Verpflichtung nachzukommen?

Seitdem die Taliban Kabul eingenommen haben, hatten wir nach Lösungen gesucht, um bedrohte Menschen zu evakuieren. Wir NGOs führten Gespräche mit der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt. Pro Monat hätten 1.000 Menschen evakuiert werden sollen, die wir Organisationen mit Kontakten in das Land hinein vorschlagen. In den zwei vergangenen Jahren hätten somit 24.000 Menschen schon die Möglichkeit haben müssen, in Sicherheit in Deutschland zu leben. Bislang sind es nur 692 Menschen; nicht mal drei Prozent der zugesagten Aufnahme.

Wie kann das sein?

Aus dem Bundesinnenministerium, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Auswärtigen Amt heißt es: Man arbeite mit Hochdruck daran. Tatsächlich aber wurde das Programm mehrfach gestoppt, etwa wegen Terrorverdachts nach Messerstechereien hierzulande. Niemand dürfte mehr ausreisen. Was hat das mit den bedrohten Menschen dort zu tun? Nach 20 Jahren Bundeswehr im Land und deren überstürztem Abzug entzieht man sich der Verantwortung, möchte daran nicht mehr erinnert werden. Immer neue Ausflüchte: Sicherheitsvorkehrungen, Dokumente fehlen etc. Für 2025 gibt es kein Geld mehr im Haushalt …

Können Sie ein Beispiel schildern?

Wir hatten eine Journalistin als humanitären Fall gemeldet, die sich für Menschenrechte eingesetzt und über Gruppenvergewaltigungen berichtet hatte. Ihr Ehemann war an einem Checkpoint der Taliban angehalten worden und verschwand spurlos. Ob er noch lebt, weiß man nicht. Ihre Tochter wurde ermordet vor die Haustür gelegt, den Körper mit blauen Flecken übersät.

Wie können Sie noch wirken?

Das BAP ist humanitär. Es gibt langwierige Verwaltungsakte: Gegen die Ablehnung einer Aufnahme könnten wir klagen. Wird der Bescheid aber nicht verschickt, können wir nichts machen. Es wird verzögert und vertröstet. Wir haben im Land ein Safe House, dessen Manager wird bereits bedroht. Wir unterstützen Menschen, die sich versteckt halten, finanziell, damit sie sich Nahrung kaufen können. Unser Handlungsspielraum wird immer kleiner. Wir werden aber weiter alle Kräfte einsetzen und mit Presse und Demonstrationen Öffentlichkeit schaffen.

Jule Klemm ist in der Projektleitung des Afghanistan-Teams von »Mission Lifeline International«

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