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Aus: Ausgabe vom 18.12.2024, Seite 6 / Ausland
Sahel

Schritt für Schritt zur Sahelföderation

Jahresrückblick 2024. Heute: AES. Wie Burkina Faso, Mali und Niger ihre Unabhängigkeit und gemeinsame Integration vorantreiben
Von Jörg Kronauer
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Militär als Hoffnungsträger: Schnappschuss von der 14. Afrikanischen Fotobiennale in Bamako (16.11.2024)

Für die AES ist das Jahr 2024 trotz aller Härten und Schwierigkeiten ein erfolgreiches Jahr gewesen. Die Allianz der Sahelstaaten (Alliance des États du Sahel), die Mali, Burkina Faso und Niger im Bestreben geschlossen haben, den Einfluss der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich endlich ein für allemal abzuschütteln, hat Fortschritte auf verschiedenen Ebenen erzielt: politisch, ökonomisch sowie – wenngleich mit Abstrichen – auch militärisch.

Zunächst ist es der AES gelungen, sich als feste Struktur zu etablieren. Ihren Namen hatten die Mitgliedstaaten zum ersten Mal genutzt, als sie sich im September 2023 zu einem reinen Verteidigungsbündnis zusammenschlossen. Anlass war damals die Drohung der westafrikanischen Regionalorganisation ECOWAS, nach Niger einzumarschieren, um den Ende Juli 2023 per Putsch gestürzten Expräsidenten Mohamed Bazoum, einen loyalen Parteigänger Frankreichs, erneut ins Amt zu bringen. Beim reinen Verteidigungsbündnis blieb es nicht. Im Dezember des gleichen Jahres teilten die Regierungen der drei Länder mit, sie bereiteten die Gründung einer Konföderation vor. Im Januar 2024 kündigten sie zudem an, aus der ECOWAS auszutreten – diese hat mittlerweile in einem letzten Versuch, die AES-Staaten doch noch in ihren Reihen zu halten, den am 29. Januar 2025 fälligen Austritt einseitig um sechs Monate nach hinten verschoben. Am 6. Juli 2024 schließlich gaben die drei Präsidenten die Gründung der Konföderation AES bekannt.

Westen muss gehen

Der erste große Schritt der drei Sahelstaaten war, sich vom militärischen Einfluss vor allem Frankreichs, aber auch der übrigen westlichen Staaten zu lösen. Die ehemalige Kolonialmacht hatte ihre Truppen bereits 2022 aus Mali und 2023 aus Burkina Faso abziehen müssen. Ende 2023 verließen die letzten französischen Soldaten auch Niger. Die AES-Staaten konnten also ohne jede französische Militärpräsenz in das Jahr 2024 starten. Niger entschied im März, auch die US-Drohnenbasis bei Agadez im Norden des Landes zu schließen. Bald darauf – Anfang Juli – folgte der Beschluss, die Bundeswehr aus dem Land zu werfen. Ende August (Bundeswehr) und Mitte September (US-Streitkräfte) zogen jeweils die letzten Soldaten ab. Aus Mali hatte die Bundeswehr, die dort im Rahmen eines EU- und eines UN-Einsatzes stationiert gewesen war, bereits Ende 2023 heimkehren müssen. Als letztes westliches Land ist Italien mit einigen Soldaten in Niger präsent. Ansonsten arbeiten alle drei Staaten der AES militärisch mit Russland zusammen, vor allem mit den Söldnern des »Afrikakorps«, der ehemaligen »Wagner-Gruppe«.

Härter ist der Kampf, den die Bündnisstaaten gegen Aufständische – meist Tuareg (Mali, Niger) – und gegen Dschihadisten führen. Zuletzt kamen laut Berichten bei einem Angriff mutmaßlich von Dschihadisten auf nigrische Truppen in der Region Tillabéri nahe der Grenze zu Mali und Burkina Faso wohl 130, vielleicht sogar mehr Soldaten zu Tode. Ende Juli waren Einheiten der malischen Streitkräfte und des russischen »Afrikakorps« bei Tinzaouatène in Malis Norden in einen Hinterhalt geraten. Mehr als 80 Russen und fast 50 Malier wurden dabei getötet. Der Angriff machte international Schlagzeilen, als ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes öffentlich prahlte, er sei mit ukrainischer Beihilfe zustande gekommen. Dabei handelte es sich wohl um die Lieferung von Satellitendaten und um Unterstützung bei der Beschaffung von Drohnen. Die AES-Staaten konnten aber auch Erfolge erzielen, zum Teil in Kämpfen, zum Teil, als Aufständische die Waffen niederlegten. Das war im November in größerem Umfang in Niger der Fall.

Fortschritte erzielen die AES-Staaten zur Zeit besonders auf ökonomischer Ebene. Zum einen gelingt es ihnen, westliche Rohstoffkonzerne, die bisher ihre Bodenschätze plünderten, abzuschütteln oder zumindest in die Schranken zu weisen. Spektakulärster Fall ist derjenige des französischen Staatskonzerns Orano (früher Areva), der traditionell Nigers Uranvorkommen ausbeutete. Die Regierung in Niamey hat Orano inzwischen so weitgehend entmachtet, dass ein baldiger kompletter Rückzug des Unternehmens aus dem Land nicht unwahrscheinlich erscheint. Mali setzt einen schon im vergangenen Jahr verabschiedeten neuen Bergbaukodex konsequent durch, der westlichen Firmen, die in dem Land Gold abbauen, erheblich höhere Abgaben abverlangt als zuvor. Zudem wenden sich die drei Sahelstaaten auch ökonomisch unter anderem Russland und China zu. Mit Russland kooperieren sie etwa im Nuklearsektor, mit China in der Energiebranche und bei Waffenkäufen. Auch der Handel beispielsweise mit der Türkei nimmt spürbar zu.

Beispiel für Nachbarn

Darüber hinaus intensivieren Mali, Burkina Faso und Niger ihre Kooperation untereinander. Das entspricht dem Ziel, die Konföderation systematisch auszubauen und womöglich sogar zu einer Föderation zu gelangen. Im November trafen sich die zuständigen Minister, um die Harmonisierung ihrer Reisepässe und weiterer Personalpapiere vorzubereiten. Die ECOWAS bietet ihren Mitgliedern Reisefreiheit – doch sobald die drei Sahelstaaten aus ihr ausscheiden, ist es damit vorbei. Die AES braucht daher für ihre rund 72 Millionen Einwohner einen zumindest partiellen, wenigstens auf ihr eigenes Territorium bezogenen Ersatz. Gut kommt an, dass sie sich im November geeinigt haben, die Roaminggebühren untereinander abzuschaffen. Kürzlich wurden die Grundlagen für einen gemeinsamen Fernsehsender gelegt. Die Schaffung einer gemeinsamen Investitionsbank ist beschlossen, es bleibt abzuwarten, ob und wie sie kommt. Das gilt auch für den Ausstieg aus dem Franc CFA und die Schaffung einer eigenen Währung, wie sie immer wieder gefordert wird.

Die AES-Staaten geben mit ihrer Politik ein Beispiel, das auf andere Länder ausstrahlt. Dass Senegals Präsident Bassirou Diomaye Faye am 28. November ankündigte, es werde auch in seinem Land »bald keine französischen Soldaten mehr« geben – aktuell sind dort rund 350 stationiert –, gründet zwar in Forderungen, die durchaus aus der senegalesischen Gesellschaft selbst kommen. Dass die östlichen Nachbarn die französischen Truppen erfolgreich hinausgeworfen haben, hat dem Vorhaben aber zusätzlich Auftrieb verschafft. Das gilt auch für Tschad, das seit Jahresbeginn seine Kontakte zu Russland ausbaut und am 28. November ebenfalls erklärt hat, man kündige die militärische Kooperation mit Frankreich auf. Paris hat seine Kampfjets inzwischen abgezogen. Dass Medien wie die in Paris publizierte Zeitschrift Jeune Afrique zuletzt so hartnäckig fragten, ob Tschad sich ohne Luftunterstützung durch die französischen »Mirage 2000« noch gegen anrückende Rebellenkolonnen verteidigen könne, motiviert zu der Gegenfrage, ob Paris bei Tschads widerspenstiger Regierung denn womöglich auf ebensolche Rebellenkolonnen hofft.

Apropos Tschad und »Rebellen«: Die Regierung, die jahrzehntelang loyal mit Paris kooperierte, ist in der Tat ungemein repressiv und hat damit immer wieder Rebellionen provoziert. Das zeigt: Die Befreiung von neokolonialer Dominanz mag eine notwendige Bedingung für soziale Befreiung sein; eine hinreichende Bedingung jedoch ist sie nicht. Das gilt auch für die AES-Staaten. Vielleicht konnten gerade Militärs den eisernen französischen Klammergriff besser abschütteln als zivile Organisationen. Die Herrschaft von Militärs ist aber eine, die historisch immer wieder versteinert ist. Man sollte das im Blick behalten; auch weil es im zu Ende gehenden Jahr 2024 in den AES-Staaten immer wieder zur Inhaftierung oppositioneller Politiker und Journalisten gekommen ist – und zwar keineswegs nur solcher, denen man Zuarbeit für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, also gefährliche Subversion, unterstellen kann.

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