Audi will Präzedenzfall schaffen
Von Gerrit HoekmanEnde Februar schließt der deutsche Autobauer Audi Brussels sein Werk im belgischen Vorst. Nun verhandeln die Gewerkschaften mit dem Konzern über einen gerechten Sozialplan für die fast 3.000 Beschäftigten. Vergangene Woche beendete der Konzern die Gespräche einseitig. Nach dem Motto »Teile und herrsche« will Audi sein Angebot den einzelnen Beschäftigten direkt unterbreiten. In Belgien ein übler Fauxpas. Auf Wunsch der Gewerkschaften trafen sich am Dienstag abend beide Seiten zu einem letzten Schlichtungsgespräch, das jedoch scheiterte. Die erbosten Gewerkschaften rufen jetzt die Belegschaft für Montag zum Aktionstag auf.
»Das Budget für Abfindungen und Firmenprämien ist mehr als doppelt so hoch wie die gesetzlichen Abfindungen«, sagte Peter D’hoore, Sprecher von Audi Brussels, am vergangenen Donnerstag laut der Nachrichtenagentur Belga. Ein Arbeiter mit 17 Dienstjahren soll demnach im Durchschnitt je nach Position und Gehalt insgesamt zwischen 125.000 und 190.000 Euro brutto erhalten. Wer 30 Jahre in Vorst beschäftigt war, erhält zwischen 200.000 und 400.000 Euro. »Wir sind überzeugt, dass die Beschäftigten die Qualität unseres Angebots erkennen und es akzeptieren werden«, sagte er laut VRT Nws. Am Dienstag abend sagte Audi zwar eine weitere Prämie von 5.000 Euro brutto pro Kopf zu, knüpfte daran laut Gewerkschaften aber unannehmbare Bedingungen. So sollen etwa Langzeitkranke die Extraprämie nicht bekommen.
Audi hält sein Gesamtpaket für fair. Die Gewerkschaften verweisen aber darauf, dass es sich um Bruttobeträge handelt, ungefähr die Hälfte davon also beim Finanzamt lande. »Das ist weniger als das, was andere Autohersteller und Zulieferer im Falle einer Schließung anbieten«, zitierte Belga den Gewerkschaftsfunktionär Jan Baetens. Audi sei immerhin ein multinationaler Konzern, der weiterhin Milliardengewinne mache. »Die Aktionäre bekommen mehr«, so Baetens. Audi wolle in Vorst nicht zu großzügig sein, »weil der Dachkonzern Volkswagen auch in Deutschland umstrukturiert«, vermutet das flämische Wirtschaftsblatt De Tijd. Die deutsche Belegschaft könnte sich bei Werkschließungen sonst auf die Abfindungen bei Audi Brussels berufen.
»Wir verurteilen die Art und Weise und die Arroganz, mit der Audi vorgeht, ohne sich darum zu kümmern, eine Vereinbarung zu erzielen, die alle Arbeiter (…) einschließt«, hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung der sozialistischen und der christlichen Gewerkschaft in Flandern, Brüssel und der Wallonie. Audi schaffe damit einen Präzedenzfall. »Wir werden nicht zulassen, dass Audi die Dinge nach eigenem Ermessen diktiert und den sozialen Dialog durch Spaltung der Beschäftigten zerstört.« Notfalls werde man alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen.
Seit der überraschenden Massenentlassung beim Automobilhersteller Renault in Vilvoorde im Jahr 1997 regelt ein belgisches Gesetz, auch bekannt als »Procédure Renault« (»Renault-Verfahren«), wie in solchen Fällen vorzugehen ist. Die Gewerkschaften spielen in dem Verfahren eine wichtige Rolle. Das Verhalten von Audi Brussels sei »beispiellos in der Geschichte des belgischen Sozialrechts«, sagte Ronny Liedts von der christlichen Gewerkschaft ACV Metea laut De Tijd. Liedts benutzte dabei bewusst das deutsche Wort Mitbestimmung. »Im Allgemeinen wird der Dialog bis zum Ende geführt, um Streiks zu vermeiden«, erklärte der Arbeitsrechtler Olivier Wéry am Dienstag in der wallonischen Tageszeitung Le Libre. In diesem Fall ergeben Streiks aber wenig Sinn: In Vorst stehen die Bänder sowieso schon seit Monaten meistens still.
Viele zweifeln daran, ob Audi überhaupt noch ein Interesse hat, Investoren zu finden, die das Werk übernehmen. Nach Angaben der Gewerkschaften wollte eine offizielle Delegation der Stadt Beijing am Montag vor einer Woche den Standort besichtigen. Audi Brussels habe die Chinesen aber abgewiesen. Gegenüber Belga wollte der Konzern aus Gründen der »Vertraulichkeit« keine näheren Angaben dazu machen. Will Audi etwa unliebsamen Konkurrenten aus Fernost, die in Europa expandieren wollen, Knüppel zwischen die Beine werfen?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. Dezember 2024 um 15:35 Uhr)Warum sollen Streiks in diesem Fall wenig Sinn haben? Für Audi ergäben sich Lohneinsparungen... Kommt halt immer auf die Seite der Barrikade an, auf der man steht.
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