»Selbstverständlich müssen die Waffen ruhen«
Interview: Gitta DüperthalSie waren bis Mitte Dezember in Rojava. Dort spitzt sich die Lage seit dem Sturz Assads durch die dschihadistische HTS zu. Die von der Türkei unterstützte islamistische SNA rückt auf Gebiete der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien vor. Wie ist die Lage?
Wie bereits zuvor greift die Türkei die Bevölkerung mit Drohnen an. Nach der Einnahme von Aleppo durch HTS flohen etwa 200.000 Menschen in den Nordosten Syriens in das Gebiet der autonomen Selbstverwaltung. Diese Menschen, die alles verloren haben, wurden in Städten wie Heseke und Qamishlo in Empfang genommen. Alle haben mit angepackt. Es galt, Schlafplätze zu finden, sie mit Nahrungsmitteln und Medikamenten zu versorgen. Zudem herrscht Ungewissheit, was werden soll, wenn künftig dschihadistische Kräfte das Land regieren. Die politischen Verhandlungen beschäftigen die Menschen. Denn Dschihadisten und Kräfte außerhalb versuchen gerade stark, die Administration der Selbstverwaltung ins Abseits zu drängen und die demokratischen Errungenschaften zu verschweigen, die dort trotz andauernden Kriegszustandes in den letzten Jahren aufgebaut werden konnten. Die Frauenrevolution für eine selbstbestimmte Gesellschaft ist Machthabern ein Dorn im Auge. Die Türkei hat kein Interesse am Fortbestehen der Selbstverwaltung, in der kurdische und arabische Menschen friedlich zusammenleben.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderte am Freitag bei ihrem Besuch beim türkischen Außenminister Hakan Fidan ebenso wie dieser, die Volksverteidigungseinheiten zu entwaffnen. Auch die Dschihadisten in Damaskus und die USA fordern das.
Es ist zynisch, das in dem Moment zu sagen, da die Türkei verstärkt angreift. Baerbock sagte zugleich, man dürfe den Kampf der Volksverteidigungskräfte gegen den IS in Kobani nicht vergessen. Selbstverständlich müssen die Waffen ruhen. Garantiert werden muss aber, dass Menschen nicht ihre Existenz geraubt wird und sie ihre ethnische Identität leben können. Momentan gibt es um Syrien ein Geschacher von Staaten, die nur ihre eigenen imperialistischen Interessen sehen. Die Angst ist präsent, dass das Gleiche passiert wie in Afghanistan. Menschen in Rojava ist klar, dass auf Zusagen außenstehender politischer Kräfte kein Verlass ist. Sie suchen den Zusammenhalt mit demokratischen Kräften in Syrien und andernorts. Sie setzen darauf, dass die Mächtigen der Welt nicht ihre Pläne umsetzen und Menschen zum Spielball machen können. Beim Widerstand gegen den IS gingen auf der ganzen Welt Menschen auf die Straße. Es gilt, starke Bündnisse zu schließen.
Welche Rolle kommt Internationalistinnen wie Ihnen zu?
Wir lernen die Arbeit in den selbstverwalteten Kommunen kennen, um sie zu unterstützen, erfahren etwa, wie Kongra Star arbeitet. Rihan Loqo, die Sprecherin dieses Frauendachverbandes in Nord- und Ostsyrien, betont die Wichtigkeit des Kampfes gegen nationalistische, religiös-fundamentalistische, sexistische und staatszentrierte Mentalitäten – und dafür, dass Frauen Verantwortung für die Ausarbeitung einer neuen syrischen Verfassung übernehmen. Wir können von den Erfahrungen berichten und dokumentieren, welche Angriffe hier geschehen.
Erst am Donnerstag tötete ein türkischer Drohnenangriff die Journalisten Nazim Daştan und Cîhan Bilgin. Von welchen Angriffen aus der letzten Zeit wissen Sie noch?
Die Türkei unterbricht ständig die Wasserzufuhr nach Syrien. Das türkische Militär ist auf der anderen Seite der Grenze von Kobani stationiert, traut sich aber an die im Januar 2015 vom IS befreite Stadt nicht heran, wo die Menschen widerständig sind. Aber vor wenigen Tagen bombardierte es ein Dorf in der Nähe, eine 35jährige Frau und ihre zwölfjährige Tochter wurden ermordet. Im Januar 2025 müssen wir über die Errungenschaften der demokratischen Selbstverwaltung und der Frauenrevolution reden. Es gibt drei Universitäten, ein gutes Gesundheitssystem, ein funktionierendes Zusammenleben verschiedener Ethnien.
Magdalena Kattowitz ist Sprecherin von Women Defend Rojava
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