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Aus: Ausgabe vom 30.12.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Gewerkschaftsgeschichte

Der politische Faktor

Kämpferischer Gewerkschafter: Jürgen Hinzers Erinnerungen an die Arbeit in der NGG
Von Susanne Knütter
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Kein süßes Leben: In einer Schokoladenfabrik in Dortmund (9.7.1974)

Bücher über den Alltag in Betrieben gibt es heutzutage kaum noch. Noch seltener sind Gewerkschaftssekretäre, die über ihre Arbeit berichten. Claus-Jürgen Göpferts Buch über die Arbeitskampferfahrungen Jürgen Hinzers bei der Gewerkschaft NGG seit 1979 stößt also in eine Lücke. Er gibt einen Einblick in die Schufterei in Betrieben der Lebensmittelindustrie und des Hotel- und Gaststättengewerbes. Außerdem erklärt er, wie kämpferische Gewerkschaftsarbeit geht und warum sie nötig ist.

1948 in einem Flüchtlingslager in Niedersachsen geboren, hat der Bergarbeitersohn Hinzer sich sein Leben lang an die Seite von Arbeitern, Antifaschisten und Sozialisten gestellt. Damit ist er bereits in der Schule angeeckt, aber auch später in seiner damals »noch eher konservativ« geprägten Gewerkschaft, etwa als er 1982 mit einer Delegation in das sandinistische Nicaragua reiste. Hinzer: »Als Gewerkschafter musst du Rückgrat haben.«

Hinzer hat an die 170 Streiks organisiert und unterstützt – in Molkereien, der Backwarenindustrie, in Brauereien, Hotels und der Gastronomie. Die Arbeitsbedingungen gehören zu den schlechtesten überhaupt: 70-Stunden-Wochen in einer Molkerei, Monatslöhne von maximal 1.500 D-Mark in einem Hotel. Es handelte sich oft um kleinere Betriebe, wo noch patriarchale Strukturen existierten oder der Eigentümer zugleich einflussreicher Kommunalpolitiker war. Hinzer legte sich aber auch mit Konzernen wie Nestlé und Coca-Cola an. Oftmals organisierte er die ersten Streiks im Betrieb, in einer kleinen Stadt oder einer ganzen Branche seit Bestehen der Bundesrepublik. In diesen Kämpfen ging es meist um Tarifbindung, Lohnerhöhungen oder das Abwehren von Schließungen. Die freilich konnten selten verhindert werden.

Ohne Kampf aber, das zeigt das Buch, wären die Beschäftigten einfach nach Hause geschickt worden. 2013, bei Neuselters in Löhnberg, sei es das erste Mal gewesen, dass Nestlé sich auf eine »so umfassende soziale Abfederung« eingelassen habe. Die Kämpfe gegen den Lohnunterschied zwischen Ost und West bei Haribo, Bautzner Senf und Teigwaren Riesa zeigen, dass die Situation im Osten »nur kämpferisch angegangen werden« kann. Hinzer wendet sich gegen die Illusion, dass Unternehmen durch Argumente überzeugt werden. So etwas wie Sozialpartnerschaft habe er in den Jahrzehnten seiner Arbeit nicht kennengelernt. Am Ende gehe es um Profit.

Hinzer will auch gesellschaftlich etwas verändern. Das Buch zeigt, wie stark die Arbeitskämpfe zum Selbstbewusstsein der Belegschaften beitragen. Es zeigt aber auch, wie wichtig der politische Faktor ist. Hinzer gab den Kollegen Selbstvertrauen, indem er an Kämpfe der Arbeiterbewegung erinnerte. Damit hatte er übrigens auch sogenannten Organizing-Ansätzen zur Erneuerung der Gewerkschaften etwas voraus, die den Schulterschluss mit sozialen Bewegungen, Gespräche mit den Beschäftigten und die Bildung von Bürgerkomitees predigen. Das hat Hinzer sein Leben lang gemacht. Er ist an Gewerkschaftspolitik aber nie nur methodisch herangegangen. In München bei Paulaner etwa sprach er von der Räterepublik, migrantische Kollegen gewann er bisweilen mit Arbeiterliedern aus ihren Heimatländern. Am Ende ist das Buch auch eins über Hinzers Mitstreiter. Anders wäre das alles nicht denkbar gewesen.

Claus-Jürgen Göpfert: »Wer nicht hören will, wird bestreikt!« Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979. VSA, Hamburg 2023, 214 Seiten, 16,80 Euro

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