Alt und ausgegrenzt
Von Sebastian EdingerIn den kommenden Jahren droht eine weitere Zuspitzung der schon heute weit verbreiteten Altersarmut. Das zeigt der 9. Altersbericht der Bundesregierung, den Familien- und Seniorenministerin Elisabeth Paus (Bündnis 90/ Die Grünen) am Mittwoch vorgestellt hat. »Alle älteren Menschen müssen die gleichen Chancen auf Teilhabe haben, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sozialer Lage«, so Paus.
Doch die Inhalte des Berichts zeigen, wie weit die BRD davon entfernt ist. Zwar sei das Gesamteinkommen der Rentner gestiegen, zugleich habe jedoch die Ungleichheit stark zugenommen. Benachteiligt sind insbesondere Ostdeutsche, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Für diese Personengruppen wird eine weitere Zunahme des Risikos unzureichender Alterseinkommen in den kommenden Jahren erwartet, ebenso für Menschen mit geringen Bildungsabschlüssen und längeren Phasen der Arbeitslosigkeit. Schon heute lebt jeder Fünfte ab 65 Jahren in Armut – Tendenz stark steigend.
Die Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter habe sich seit der Einführung im Jahr 2003 verdoppelt, heißt es in dem Bericht weiter. Hinzu komme ein »erheblicher Anteil an verdeckter oder verschämter Altersarmut«: Rund 60 Prozent der Leistungsberechtigten nehmen die Grundsicherung nicht in Anspruch, weil sie Angst vor Behördengängen, sozialer Kontrolle oder einem Rückgriff auf das Einkommen ihrer Kinder haben. Ähnlich ist es bei der sozialen Schuldnerberatung, die wenig in Anspruch genommen werde, obwohl die Überschuldungsquoten älterer Menschen »deutlich zugenommen haben«.
Bundesregierung und Kapitalverbände propagieren gerne Arbeiten über die Regelaltersgrenze als Mittel gegen Altersarmut. Der Altersbericht zeigt allerdings, dass längeres Arbeiten vor allem für Besserverdiener eine Option ist. So seien heute acht Prozent der Rentner erwerbstätig, wobei es große Unterschiede nach Berufsgruppen gebe: Wo körperlich schwer oder in Schicht gearbeitet werde, könne selten länger gearbeitet werden. Auch ein früherer Renteneintritt besteht laut dem Bericht nur für Menschen mit hohen Einkommen als »tatsächliche Wahlfreiheit«. Für Geringverdiener ist der vorgezogene Ruhestand angesichts hoher Abschläge kaum finanzierbar.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Pflegesituation. Erwartet wird ein Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen von 5,7 auf 7,6 Millionen bis 2055. Dabei leide die Pflege schon heute unter Qualitätsproblemen und Unterversorgung. 80 Prozent der Bedürftigen werden zu Hause versorgt, häufig unfreiwillig wegen fehlender Angebote und finanzieller Mittel. Vor allem die körperliche Grundpflege wird von vielen Angehörigen als körperlich und emotional überlastend empfunden. Die meisten Pflegenden sind selbst berufstätig, die Doppelbelastung habe häufig negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit.
Deutlich wird in den Ausführungen der Kommission auch, dass der sozio-ökonomische Status der Rentner einen erheblichen Einfluss auf deren Gesundheit im Alter hat. Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Einkommen haben häufiger Gesundheitsprobleme. Diese wiederum sind neben geringen Rentenbezügen ein Haupteinflussfaktor dafür, sich im Alter ausgegrenzt zu fühlen. Auch Altersdiskriminierung ist eine häufige Erfahrung. Ein Beispiel für den wenig beachteten »Ageismus« sei etwa die Annahme, medizinische Behandlungen führten im hohen Alter zu keinen großen Verbesserungen mehr. Das könne dazu führen, dass Alte schlechter versorgt werden, warnen die Experten.
Der Handlungsbedarf ist also groß und vielfältig. Entsprechend umfassend fällt der Forderungskatalog im Altersbericht aus. Ein besonderer Fokus liegt auf Maßnahmen zur Stärkung der Einkommenssituation im Erwerbsleben. Zudem brauche es ein langfristiges Mindestrentenniveau und Maßnahmen gegen verdeckte Altersarmut und Überschuldung im Alter sowie deutliche Verbesserungen in der Pflege. Wichtig für die Teilhabe alter Menschen seien auch barrierearme Mobilität und bezahlbarer Wohnraum. Die Regierungsprojekte der letzten Jahre gingen in die komplette Gegenrichtung. Bezweifelt werden darf, dass die nächste Bundesregierung hier für Linderung sorgen wird.
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