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Aus: Ausgabe vom 20.01.2025, Seite 1 / Titel
Nahostkonflikt

Aufatmen in Gaza

Israel bombardiert Küstenstreifen bis zur letzten Minute. Netanjahus Regierungsbündnis droht angesichts Waffenruhe zu platzen
Von Wiebke Diehl
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Siegesgewiss: Trotz Tod und Zerstörung sehen sich zahlreiche Palästinenser als Gewinner (Gaza, 19.1.2025)

Seit Sonntag vormittag müssen zumindest offiziell die Waffen schweigen. Um 11.15 Uhr Ortszeit trat das Abkommen zwischen Israel und der Hamas in Kraft, in dessen Rahmen neben 33 israelischen Geiseln etwa 1.900 von Israel inhaftierte Palästinenser freigelassen werden sollen. Die ersten drei israelischen Frauen wurden um 16 Uhr Ortszeit an das Rote Kreuz übergeben. Noch am Morgen hatte die israelische Armee den Gazastreifen bombardiert. Allein zwischen 8.30 Uhr und dem Beginn der Waffenruhe wurden dabei mindestens 19 Menschen getötet.

Am Sonnabend hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut betont, die Besatzungstruppen würden nicht aus dem Philadelphi-Korridor entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten abgezogen. Vielmehr werde die israelische Militärpräsenz dort noch verstärkt, man behalte die Kontrolle über den Korridor sowie über die gesamte »Pufferzone« rund um den Küstenstreifen. Vor allem bestätigte Netanjahu, was bereits am Freitag gerüchteweise in Umlauf war: »Sowohl Biden als auch Trump unterstützen Israels Recht, die militärischen Aktionen wiederaufzunehmen, wenn Israel zu dem Schluss kommt, dass die Gespräche über die zweite Phase (des Abkommens) ergebnislos sind.« Die Offensive werde dann in neuer Form und mit »größerer Macht« fortgeführt. Um eine Zustimmung des sogenannten Sicherheitskabinetts und der Mehrheit seiner Regierung sicherzustellen, soll Netanjahu schon am Freitag zugesichert haben, dass die Kämpfe in Gaza nach dem vereinbarten Ablauf der Feuerpause in 42 Tagen wiederaufgenommen würden.

Trotzdem hat der extrem rechte »Sicherheitsminister« Itamar Ben-Gvir gemeinsam mit dem Minister für Kulturerbe Amichai Elijahu und dem Minister für »Negev, Galiläa und nationale Widerstandsfähigkeit«, Jitzhak Wasserlauf, am Sonntag die Regierung verlassen. Auch die sechs Abgeordneten ihrer Partei »Jüdische Stärke« traten aus der Koalition aus. Das Abkommen sei eine »Kapitulation vor dem Terror«, die »alle roten Linien überschreitet«, so Ben-Gvir in seinem Rücktrittsschreiben. »Ohne einen vollständigen Sieg über die Hamas und die vollständige Verwirklichung der Kriegsziele« werde man nicht an den Regierungstisch zurückkehren. Netanjahus rechtsreligiöse Regierung hat jetzt noch eine knappe Mehrheit von 62 der 120 Sitze. Auch Finanzminister Bezalel Smotrich, dessen Partei über sieben Parlamentssitze verfügt, hat allerdings gedroht, die Regierung und Koalition zu verlassen. Im Interview mit Channel 7 erklärte der ehemalige israelische Generalmajor Giora Eiland die Hamas zum Sieger, der sich von den schweren Schlägen erholen werde.

Ob und wie sich Gaza und seine Bevölkerung von über 15 Monaten Krieg erholen können, spielt in der israelischen Öffentlichkeit und Politik allenfalls eine untergeordnete Rolle. Laut UNO sind neun von zehn Häusern zerstört oder beschädigt, 90 Prozent der Bevölkerung mussten fliehen. Über 40 Millionen Tonnen Schutt, teilweise mit Sprengstoff gespickt, müssen weggeräumt werden, was laut einem hochrangigen UN-Minenräumer über ein Jahrzehnt dauern könnte. Zerstört sind auch fast alle Schulgebäude, Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen. Der monatelange Mangel an Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Gesundheitsversorgung wird langfristige Auswirkungen auf die Betroffenen haben, selbst wenn ihre Versorgung ab sofort und durchgängig sichergestellt würde.

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