Milchige Aussichten
Von Oliver RastDas machen sie gerne: lamentieren, lobbyieren. Und beides können sie ziemlich gut, die Vorstände des Milchindustrieverbands (MIV). Passend zur Internationalen Grünen Woche in Berlin haben die Repräsentanten von rund 90 umsatzstarken privaten, genossenschaftlichen und multinationalen Unternehmen den Rückblick auf 2024 und den Ausblick für 2025 am Dienstag bei einer Pressekonferenz präsentiert. Tenor: Optimismus mit »großer Dämpfergefahr«.
Die »Marktlage« im einzelnen. Der Milchpreis sei mit 48 Cent pro Kilogramm Rohmilch »erfreulich hoch«, wurde MIV-Boss Detlef Latka gleichentags in einer Mitteilung zitiert. Käse, Sahne, Speisequark und Joghurt hätten im zurückliegenden Jahr gute Absatzzahlen erzielt (bei Käse plus 2,7 Prozent). Historische Höchstpreise gab es bei Butter, im Schnitt knapp 2,40 Euro pro Päckchen. Der Absatz von Trinkmilch schwächelte hingegen. Auffallend ferner: weniger Milchviehbestände und -halter. Entsprechend lag die Milchmenge unter jener aus dem Vorjahr 2023.
Und was könnte womöglich Profite »dämpfen«? Hohe Energiekosten, gestiegene Löhne und Regulierungswust, meint jedenfalls Latka. Das ganz große Politikum: Den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) der EU wollte die zerbrochene Ampelkoalition in nationales Recht überführen, als Novelle des im Juni 2021 in Kraft getretenen Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG). Landwirte würden so besser vor unlauteren Handelspraktiken geschützt, und es gebe endlich eine Vertragspflicht über Menge, Preis, Qualität und Laufzeit, sagte Ottmar Ilchmann von Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) am Dienstag im jW-Gespräch. Das Problem: Die derzeit übliche Praxis betrachten Milchviehhalter als sittenwidrig, weil sie die gesamte Menge an nur eine Molkerei abliefern müssen und diese Monate später einseitig festlegt, was sie dafür zahlt. Ein Machtgefälle zugunsten der Abnehmer.
Geht es nach dem MIV, muss das so bleiben. Denn diesbezügliche gesetzliche Vorgaben würden den Erzeugern »keinerlei Verbesserungen« bringen. Schlimmer noch, eine AgrarOLkG-Novelle zur Vertragspflicht wäre ein »Eingriff in den Markt«. Latka: »Verträge und Lieferbedingungen gehören in die Hände der Wirtschaftsbeteiligten und nicht in die von Behörden.« Milchbauer Ilchmann widerspricht. Ein Zusammenschluss von Erzeugern stärke deren Verhandlungsbasis. Wichtig und notwendig, zumal Molkereien und Milchindustrie »eine massive Lobbykampagne gegen die Novelle fahren.« Mit Erfolg, denn Restampelkanzler Olaf Scholz (SPD) blockiert die Umsetzung des Gesetzesvorhabens.
Reinhard Jung ergänzt. Die hierzulande produzierte Milchmenge dürfte dramatisch sinken, teils wegbrechen, wenn es nicht gelänge, die Bauern an der Wertschöpfung zu beteiligen, erwartet der Referent für Politik der Freien Bauern Deutschland am Dienstag auf jW-Nachfrage. »Dann können die Betonköpfe in den Konzernetagen der Molkereien, die uns keinen Cent gönnen, ja künftig Milch in China bestellen.« Das werde bestimmt schön billig.
Nicht nur Branchenindustrielle und -erzeuger positionieren sich, auch die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Etwa in Baden-Württemberg, beim anstehenden Tarifclinch mit der regionalen Milchindustrie. Die Forderungen: Lohn- und Gehaltsplus von 6,5 Prozent für die rund 2.000 Beschäftigten, mindestens aber 245 Euro mehr Einkommen. Auszubildende sollen 100 Euro extra erhalten samt zusätzlichem freien Tag für Prüfungsvorbereitungen. Das alles mit einer Laufzeit von zwölf Monaten. »Angesichts hoher Belastungen durch einen ständig steigenden Leistungsdruck und der guten wirtschaftlichen Lage der Branche müssen die Löhne deutlich nach oben«, so der NGG-Verhandlungsführer Uwe Hildebrandt am Dienstag gegenüber jW. Und: Als soziale Komponente fordert die Gewerkschaft einen Mindestbetrag, um untere Lohngruppen zu stärken.
Man wähnt MIV-Boss Latka ob eines solchen Forderungskatalogs schon in Habachtstellung. Nicht finanzierbar, unverantwortlich – und überhaupt. Wetten?
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