Millionenfach besser
Von Michael KochJe näher sich der Uhrzeiger am Montag Richtung 18 Uhr MEZ bewegte, desto größer wurde die Befürchtung eines erneuten Déjà-vu analog zu 2001 und 2017, als die scheidenden US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama die erhoffte und erwartete Begnadigung des heute 80jährigen indigenen politischen Gefangenen Leonard Peltier ablehnten. Diese Ängste waren nicht unbegründet, hatten doch auch jetzt wieder FBI-Mitarbeiter bis zur letzten Minute versucht, eine Haftentlassung Peltiers zu verhindern. So auch der Jurist und ehemalige Leiter der US-Bundespolizei, Christopher Wray. Peltier müsse in der Haft sterben, denn er sei ein kaltblütiger, reueloser Mörder, waren sinngemäß erneut die Argumente, die auf FBI-Lügen basieren und Peltier letztlich vor 49 Jahren in Haft brachten. Joe Biden entschied anders. Zwar begnadigte er den politischen Gefangenen nicht, ließ aber seine lebenslange Haftstrafe in Hausarrest umwandeln.
Diese Entscheidung wurde prompt heftig von Wray kritisiert: Sie sei »feige, und es fehle ihr an Verantwortungsbewusstsein«. Auch für viele von Peltiers Unterstützern ist es eher eine bittersüße Entscheidung, denn es gibt weder eine Entschuldigung oder ansatzweise Entschädigung für fast fünf Jahrzehnte Ungerechtigkeit und unmenschliche Haftbedingungen, noch wird der eigentliche Schuldvorwurf fallengelassen. Auch die Machenschaften des FBI in den 1970er Jahren in der Pine Ridge Reservation im Südwesten des US-Bundesstaats South Dakota, die wesentlich zur Eskalation von Gewalt und somit zu dem fatalen tödlichen Schusswechsel beitrugen, sowie die Manipulation der Beweisführung durch das FBI wurden nicht thematisiert.
Der Aktivist und Mitglied des American Indian Movement (AIM) war am 6. Februar 1976 unter dem Vorwurf verhaftet worden, er habe bei einer Schießerei in der Pine Ridge Reservation zwei FBI-Beamte erschossen, als diese überfallartig in ein AIM-Schutzcamp für ältere Reservatsbewohner rasten. Im April 1977 wurde Peltier zu zwei aufeinanderfolgenden lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Später wurde die Beschuldigung in Mitwisserschaft und Mittäterschaft revidiert, doch das Strafmaß blieb, obgleich es bis heute keine belastbaren Beweise für seine Schuld gibt, wie selbst am Verfahren beteiligte Staatsanwälte und Richter später einräumten. Für den AIM-Aktivisten begann eine nahezu fünfzigjährige Odyssee durch US- Hochsicherheitsgefängnisse, teils in Isolationshaft und seit fünf Jahren im nahezu permanenten Dauereinschluss. In dieser Zeit wurden alle Anträge auf neue Prozesse, Begnadigungen oder Bewährungsentlassungen abgelehnt.
Die Last-Minute-Entscheidung ist also für Peltier ein Schritt in die Freiheit, auch wenn er weiterhin unter Aufsicht des Federal Bureau of Prisons bleibt. Bei aller berechtigten Kritik, dass er nicht begnadigt wurde, ist dies für Peltier und viele Indigene ein Etappensieg im Kampf für ihre Rechte und Souveränität. »Es ist endlich vorbei – ich gehe nach Hause«, waren die ersten Worte Peltiers. In der Turtle Mountain Reservation in North Dakota gibt es bereits ein Haus für ihn. In einem Telefoninterview sagte er: »Sagt jedem in Indian Country … und all den Unterstützern weltweit, ich bin sehr dankbar für das, was ihr getan habt. Ihr brachtet mich einen Schritt nach Hause, und Hausarrest ist millionenfach besser als das, wo ich jetzt bin.« Seine Anwältin Jenipher Jones unterstrich dies im Gespräch mit jW. Er könne seine Familie und Freunde sehen und erhalte medizinische Versorgung. Wie genau die Auflagen des Hausarrestes aussehen, werde sich noch klären. Doch dann sei es an Leonard zu entscheiden, wie er perspektivisch juristisch mit den Arrestbedingungen umgehe, so Jones.
Nun steht erst einmal seine Entlassung aus dem USP Coleman an, die bis spätestens 18. Februar erfolgen soll sowie seine sichere Heimreise nach North Dakota. Nicht wenige indigene Unterstützer, mit denen wir die letzten Tage sprachen, machen sich Sorgen über mögliche Angriffe auf Peltier. Einigen ehemaligen oder auch noch aktiven FBI- Mitarbeitern traut man diesbezüglich alles zu. In Europa werden die aktiven Soligruppen dies weiterhin genau verfolgen und Leonard Peltier auch weiterhin unterstützen.
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