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Aus: Ausgabe vom 23.01.2025, Seite 8 / Ausland
Myanmar

»Das Militär hat keine effektive Kontrolle mehr«

Myanmar: Große Teile des Landes sind inzwischen von Rebellengruppen besetzt. Ein Gespräch mit Nyein Chan May
Interview: Thomas Berger
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Gegner der Militärregierung in Myanmar protestieren in Thailand mit einem Porträt der gestürzten Regierungschefin Aung San Suu Kyi (Bangkok, 1.2.2024)

Zum 1. Februar, den vierten Jahrestag des Militärputsches, richtet sich der mediale Blick vorübergehend wieder stärker auf Myanmar. Sonst scheint das Medieninteresse geschrumpft – oder täuscht der Eindruck?

Man hört und sieht Myanmar rund um den 1. Februar, dann gerät es wieder in Vergessenheit. Bis heute gibt es mehr als 28.000 politische Gefangene, die bis zum Tod gefoltert und unmenschlich behandelt werden. Vor zwei Wochen wurde über Freilassungen berichtet – das ist aber nur ein übliches Täuschungsmanöver der Militärjunta. Ab und zu gibt es noch Berichte über Luftangriffe, ohne dass deren ganzes Ausmaß vermittelt wird. Diese fast täglichen Luftangriffe sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit.

Die Militärregierung kontrolliert nur noch einen kleinen Teil des Landes. Der Rest ist umkämpft oder in der Hand vorrückender Gegner. Wie fest die Generäle noch im Sattel?

Nach Angaben des Special Advisory Council for Myanmar hat die Militärjunta keine effektive Kontrolle mehr über das Land. Gemeinden, die 86 Prozent der Fläche ausmachen und in denen 67 Prozent der Bevölkerung leben, stehen nicht unter ihrer Kontrolle. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie leicht besiegt werden kann. Wir sprechen von einer der am besten ausgerüsteten Armeen Südostasiens. Von Bedeutung sind darum auch andere Bemühungen, so der Antrag auf Haftbefehl gegen Juntachef Min Aung Hlaing vor dem Internationalen Strafgerichtshof im November 2024. Wichtig wäre aber ebenso, Waffenkäufe und die Versorgung der Armee mit Flugbenzin zu unterbinden.

Der westliche Teilstaat Rakhine ist weitgehend von der Arakan Army eingenommen, von Norden rücken weitere Gruppen wie die People’s Defence Forces vor, an Thailands Grenze errangen Verbände der Karen National Union Erfolge. Was wissen Sie über die aktuelle Lage vor Ort?

Je mehr die Junta die Kontrolle verliert, desto brutaler wird die Vergeltung für Niederlagen, häufig in Form von Luftangriffen. Dörfer werden geplündert, Menschen getötet oder gefoltert. Laut Armed Conflict Location and Event Data belaufen sich die verifizierten Todeszahlen auf 19.847. Anfang Januar hat das Militär zudem die digitale Überwachung verschärft: Ein neues Cybergesetz kriminalisiert die nicht genehmigte Nutzung von VPN-Diensten. Auch die seit Februar 2024 laufende Zwangsrekrutierung verschärft sich. Junge Menschen werden aus ihren Häusern oder von der Straße entführt. Frauen und Männer zwischen 18 und 35 Jahren fühlen sich deshalb unsicher. Nicht zu vergessen: 32 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, was etwa Frauen zur Zwangsprostitution treibt und verstärkte Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt bedeutet.

China bleibt wichtigste Stütze des Militärs, Hilfe kommt auch von Russland, Indien oder Pakistan. Unterstützten westliche Mächte im Gegenzug die Rebellengruppen?

Wir fühlen uns sehr alleingelassen. Vor vier Jahren haben die Menschen in Myanmar friedlich, aber eindringlich die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten. Bis heute ist aber nicht viel passiert. Viele Blicke richten sich zudem Richtung ASEAN. Aber es ist unrealistisch, von einem Bündnis von Ländern, die sich nur wenig für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, eine ernsthafte Unterstützung oder echte Bemühungen um Frieden in Myanmar zu erwarten.

Für den 31. Januar planen Sie eine neue Aktion. Worum geht es dabei, und welche Signalwirkung erhoffen Sie sich?

Seit 2021 stehen German Solidarity Myanmar und verbündete Gruppen jedes Jahr zum 1. Februar vor der myanmarischen Botschaft in Berlin. Diese Aktion ist für die Beteiligten nicht ungefährlich. Aber wir möchten unseren Freunden in Myanmar zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen. Und verdeutlichen, dass die Kriegsverbrechen der Militärjunta nicht ungestraft bleiben werden.

Nyein Chan May ist studentische Aktivistin, Mitbegründerin und Geschäftsführerin der NGO German Solidarity Myanmar (GSM). Sie kam bereits vor dem Putsch im Februar 2021 in die BRD, um Politikwissenschaft zu studieren

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  • Leserbrief von Klaus Ludwig aus Bosserode (29. Januar 2025 um 12:07 Uhr)
    Thomas Berger erinnert ein wenig an den Werdegang der Linken. Hauptsache Menschenrechte und nochmal Menschenrechte. Dabei geht es auf dieser Welt gar nicht um Menschenrechte, und es geht auch nicht in Myanmar darum. Dass Nyeln Chan May das anders sieht, ist ihr gutes Recht. Jemand, der nach Deutschland kommt, um Politikwissenschaften zu studieren, ist aber eher nicht an Fragen Nationaler Befreiung und internationaler Emanzipation aller Länder interessiert und ihre Aussagen, aber eben leider auch die suggestiven Fragen im Interview durch Thomas Berger, deuten darauf hin, dass hier die Sprache der Farbenrevolutionen und des regime changes Anwendung finden, die nationalen und sozialen Fragen unwesentlich, wenn nicht gar verraten werden und dass die internationalen Konstellationen vollkommen außer Acht gelassen werden. Es geht keiner der beteiligten Parteien im Bürgerkrieg in Myanmar um die Menschen, auch wenn Aung San Suu Kyi es besser schaffte als das Militär, besonders der Jugend im Land dieses Märchen vorzugaukeln und sie für sich zu vereinnahmen. Niemand kennt ein politisches Programm von Aung San Suu Kyi und niemand weiß, was ihre wahren Absichten sind. Wenn man in eine solche Lage gerät, hilft ein Blick in den Kreis der Sponsoren und Hinterleute. Bei ihr findet man all diese in Downingstreet 10 und Washington. Wird man schon beim Studium Politikwissenschaft ausgerechnet in Deutschland, wer lehrt dort eigentlich Politik? – muss doch über die deutsche Botschaft eingefädelt worden sein – nicht hellhörig, so müsste nachdenklich stimmen, wenn ein Land bzw. eine Regierung unter Sanktionen des Westens gerät. Wie man zu der falschen Einschätzung kommt, dass China die wichtigste Stütze des Militärs in Myanmar sei, eine nur der Phantasie bzw. der Propaganda u. a. von GSM entlehnte Behauptung zur Diskreditierung des größten Nachbarn im Norden, dem an einer Eskalation überhaupt nichts gelegen ist und das sich seit vielen Monaten intensiv um Entspannung besonders an ihrer Grenze bemüht. Es leben auf beiden Seiten die gleichen Ethnien und China kann dort keineswegs Konflikte und Destabilisierung gebrauchen. Ganz im Unterschied zu den USA, die überall, von Jugoslawien über UdSSR, Irak und Syrien, nur diese Taktik, Destabilisierung verfolgen, um das strategische Ziel, teile und herrsche, der Eindämmung bis Zerschlagung ihrer Feinde zu betreiben, wobei der größte Feind mit China ausgedeutet wurde. Und genau mit diesem Feind verbindet Myanmar eine mehr als 2000 Kilometer lange Landesgrenze (länger als die Landesgrenze Ukraine zu Russland!). Das erklärt das rein geostrategische Interesse der USA an Myanmar und wer wie Thomas Berger dies alles für unwichtig beurteilt, wird sich wundern, wohin der Konflikt in Myanmar führt, falls ihn das Militär verliert. Atomisierung des Territoriums und Bildung vieler kleiner nicht überlebensfähiger Staaten, wovon der Shanstaat, um den es an der Grenze zu China geht, der zweitgrößte sein wird, allerdings leben in ihm auch viele kleinere Nationalitäten, denen die Shan Autonomie oder gar Unabhängigkeit entschieden verweigern und die natürlich auch einen Dreck für die Perspektive der Burmesen übrig haben. Wenn, siehe Syrien, das einzig verbindende Glied, der Sieg über das Militärregime, gelingen sollte, werden sie übereinander herfallen, was im Übrigen gerade die Rohingya im Rakhine-Staat zu spüren bekommen, wo sie schutzlos (Die Armee Myanmars hat dort tatsächlich den Einfluss verloren) deren Übergriffen ausgesetzt sind.
    Linke, Parteigänger der gleichnamigen Partei, meinen, es brauche nur guten Willen und schon wird jede Gesellschaft erblühen. Das ist geistiger Dünnschiss. Myanmar braucht weder Parteien noch Parlamente oder gar einen Bürgerkrieg, denn die Armut der Menschen hat ihre Ursache im Kolonialismus Großbritanniens, Aung San Suu Kyi und ihre Anhänger sehen das anders, und der Kolonialismus konnte nur erfolgreich sein, weil die Kolonialherren die Unterdrückten spalteten und gegeneinander aufhetzten. Genau das wollten die Gründer der Union heilen und genau dafür tritt seit der Gründung, natürlich nicht mit beten, als einzige reale Kraft das Militär ein. Die Alternative heißt also nicht Militär oder Demokratie, was in einem verarmten Land sowieso nur eine Spinnerei sein kann, sondern Einheit oder Zersplitterung. In der Einheit besteht die Option Progression (Fortschritt), in der Zersplitterung nur bitteres Elend. Hinzu kommt, dass Elend zu Missgunst führt und so die einzelnen Ministaaten niemals Füße auf den Boden bekommen werden. ASEAN gibt es nicht wegen oder für Demokratie und Menschenrechte, wovon durch die letzten Jahre nun Myanmar am weitesten entfernt ist, sondern um gemeinsame Interessen zu definieren und durch Zusammenarbeit leichter zum Erfolg zu führen. Jedes Mitglied von ASEAN, außer Singapur und Brunei, hat eigene und extreme Probleme mit sezessionistischen Akteuren und wird deshalb überhaupt nichts unternehmen, Sezessionisten ausgerechnet in Myanmar beizustehen. Um es für LeserInnen der jW einfacher zu machen: In Myanmar tobt ein Bürgerkrieg, es ist nicht der einzige auf der Welt. China, aber auch Indien und die ASEAN Staaten versuchen zu deeskalieren und arbeiten daran, ihn einzuhegen. Die westliche Welt hat mit Sanktionen gegen die Regierung sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen, also genau umgekehrt wie im Bürgerkrieg in der Ukraine. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn Menschen sich in Myanmar auf die eine oder die andere Seite schlagen, es gibt nämlich tatsächlich mindestens zwei Seiten, aber es ist falsch als Beobachter, die Umstände aus dem Auge zu verlieren und die naiven Beteiligten mangels Kenntnis (Weltanschauung!) ebenso. Die Welt steht vor gigantischen Herausforderungen, ob die Aggression der USA an allen Ecken der Welt dabei siegt oder sich die Diplomatie und der wirtschaftliche Handel Chinas durchsetzen, wird über die Zukunft entscheiden. Weder in Myanmar noch im Iran oder Syrien, nicht in Afghanistan oder Nordkorea, schon gar nicht in Israel geht es darum, dass auf der einen Seite die Guten und auf der anderen die Bösen agieren. Das ist etwas für Moralisten, die gleichzeitig dort ihre Achillesferse haben, was aber dem Dominator der Welt sehr wohl bewusst ist, der auch entsprechend handelt.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (30. Januar 2025 um 11:35 Uhr)
      Die Kritik an den Artikeln von Thomas Berger hat meine Zustimmung und ich wollte Sie schon rundheraus loben. Aber dann kam das: »Weder in Myanmar noch im Iran oder Syrien, nicht in Afghanistan oder Nordkorea, schon gar nicht in Israel geht es darum, dass auf der einen Seite die Guten und auf der anderen die Bösen agieren.« Das hat dann schon etwas von Stammtischweisheit: Schaut her, die Welt ist schlecht. Die Imperialisten sind zwar verbrecherisch und böse, aber Länder wie die DVRK, die tapfer Widerstand leisten, haben auch nicht unsere Solidarität verdient. Wem nützt diese Neutralität?

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