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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Türkei und Kurden

Zwischen Krieg und Dialog

Türkei: Von der Aufnahme von Friedensgesprächen mit der PKK hängt auch die Entwicklung in Syrien ab, wo türkische Söldner ihre Angriffe steigern
Von Tim Krüger
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Anwohner auf dem Weg zum Tischrin-Staudamm zu einer Mahnwache gegen die türkischen Angriffe (8.1.2025)

In der Türkei wächst die Hoffnung auf eine Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der türkischen Regierung. Denn am Mittwoch wurde bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen den Politikern der prokurdischen Dem-Partei Pervin Buldan und Sırrı Süreyya Önder ein Besuch bei dem in weitgehender Isolationshaft auf der Gefängnisinsel İmralı im Marmarameer gefangenen Abdullah Öcalan gewährt.

Der 75jährige PKK-Vorsitzende hatte bereits Ende des vergangenen Jahres seine Bereitschaft zu einer friedlichen Beilegung des seit mehr als 40 Jahren andauernden bewaffneten Konfliktes bekundet. Doch die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ bislang keinerlei Absicht zu einer Lösung der kurdischen Frage erkennen, sondern beharrte im Gegenteil auf der bedingungslosen Kapitulation der PKK. Entweder würde die Organisation »ihre Waffen begraben«, oder man werde »sie gemeinsam mit ihren Waffen begraben«. Einen »dritten Weg gebe es nicht«, sagte Erdoğan am 11. Januar.

Die Organisationen der kurdischen Freiheitsbewegung hatten ihrerseits mehrfach ihre Bereitschaft bekundet, sich einem von Öcalan geführten Verhandlungsprozess anzuschließen. Am Dienstag bekräftigte Duran Kalkan, Mitglied im Exekutivkomitee der Partei, gegenüber dem Fernsehsender Medya Haber, dass nun jedoch erste Schritte von der Seite des Staates kommen müssten. Zuerst müsse das »System der Folter und Isolation« auf İmralı abgeschafft werden. Er verlangte Verbesserungen bei der Haftsituation von Öcalan, auf dass Menschen zusammenkommen und diskutieren könnten. »Die PKK« sei keine Organisation, »die einfach aufgelöst werden kann, da würde die Hölle losbrechen«, warnte Kalkan vor vorschnellen Erwartungen, dass »eine Lösung am Tisch gefunden wird«.

Währenddessen eskalieren die türkische Armee und die mit ihr verbündete sogenannte Syrische Nationalarmee (SNA) ihre Angriffe auf die Gebiete der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Seitdem es dem Bündnis aus Söldnern und dschihadistischen Milizen im Dezember vergangenen Jahres gelungen ist, die mehrheitlich arabische Region um die Stadt Manbidsch unter ihre Kontrolle zu bringen, belagern die Islamisten zwei strategisch wichtige Übergänge am Euphrat. Immer wieder versuchen die Milizionäre unter dem Feuerschutz der türkischen Artillerie und Luftwaffe an der Qere-Qozaq-Brücke sowie dem weiter südlich gelegenen Staudamm von Tischrin auf die andere Seite des Flusses vorzustoßen.

Das Ziel der türkisch gestützten Milizen dürfte es vor allem sein, mit Geländegewinnen auf der Ostseite des Euphrats die symbolträchtige kurdische Stadt Kobani an der türkisch-syrischen Grenze zu umzingeln. Um weitere Vorstöße der Islamisten zu verhindern, haben Aktivisten daher seit dem 8. Januar mit einer Mahnwache auf dem Tischrin-Damm begonnen. Laut Angaben der Selbstverwaltung wurden dabei mittlerweile 21 Zivilisten durch türkische Drohnenangriffe getötet, 140 weitere teils schwer verletzt. Unter den Verletzten befinden sich auch der deutsche Physiotherapeut Jakob Rihn sowie die aus Eberstadt bei Heilbronn stammende Klimaaktivistin Lea Bunse.

Mit Blick auf die laufende Neugestaltung Syriens nach dem Sturz von Assad geht es der türkischen Führung vor allem darum, die Verhandlungsposition der Selbstverwaltung zu schwächen. Im laufenden Dialog mit der Übergangsregierung unter der Islamistenkoalition HTS in Damaskus über eine mögliche Integration der Syrischen Demokratischen Kräfte in die syrischen Streitkräfte konnte dabei bislang noch kein Durchbruch erzielt werden. So beharrt Damaskus auf der vollständigen Auflösung und Entwaffnung der Verteidigungskräfte der Selbstverwaltung. Am Mittwoch erklärte Verteidigungsminister Murhaf Abu Kasra, die Tür für Dialog stehe weiterhin offen – allerdings drohte er gleichzeitig, nötigenfalls Gewalt anzuwenden. Die Selbstverwaltung hat bislang eine bedingungslose Entwaffnung kategorisch abgelehnt und besteht auf der Eingliederung ihrer Kräfte als Block in die neue Armee.

Vor allem die Türkei, die die Islamisten in Syrien seit Jahren unterstützt hat, nutzt ihren Einfluss, um eine Einigung zwischen der Selbstverwaltung im Nordosten und Damaskus zu verhindern. Der türkischen Regierung gelten die Selbstverwaltungsgebiete aufgrund der ideologischen Nähe der dortigen politischen und militärischen Führung zur kurdischen Freiheitsbewegung als »Terrorkorridor« und Einflusszone der PKK. Ob in Syrien eine Einigung erzielt werden kann – oder ob es zur weiteren Eskalation kommt –, hängt daher auch von einer weiteren Entwicklung des Gesprächsprozesses auf İmralı ab.

Hintergrund:

Dem-Partei zum Besuch bei Öcalan

Am 22. Januar besuchten die Politiker der prokurdischen Partei für Gleichheit und Demokratie (Dem-Partei) Pervin Buldan und Sırrı Süreyya Önder den auf der Gefängnisinsel İmralı inhaftieren Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalan. Schon bei einem vorausgegangenen Treffen am 28. Dezember hatte Öcalan seine Bereitschaft betont, an einem Dialog und einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage mitzuwirken. In der Stellungnahme der Delegation vom Donnerstag heißt es:

»Als İmralı-Delegation der Dem-Partei haben wir uns am 22. Januar 2025 mit Herrn Abdullah Öcalan auf der Insel İmralı getroffen. Bei dem Treffen sprach Herr Öcalan zunächst den Familien derjenigen, die bei dem tragischen Brand in Bolu ihr Leben verloren haben, sein Beileid aus und wünschte den Verletzten baldige Genesung.« Öcalan bezog sich hier auf eine Brandkatastrophe, bei der am 21. Januar in einem Skiressort der türkischen Provinz Bolu mindestens 76 Menschen ihr Leben verloren.

»Unsere Delegation informierte ihn über die von uns geführten Gespräche. Die Arbeit von Herrn Öcalan an diesem Prozess geht weiter. Nach Abschluss seiner diesbezüglichen Vorbereitungen werden der Öffentlichkeit die notwendigen Erklärungen gegeben werden. Auch wir als Delegation werden unsere Arbeit und unsere Kontakte fortsetzen und die Öffentlichkeit informieren, wenn es Entwicklungen gibt. Dieser Prozess wird dazu führen, dass wir alle gemeinsam und frei leben können. In der Hoffnung darauf erwarten wir wertvolle Beiträge aller gesellschaftlichen Gruppen.«

Es wird erwartet, dass Öcalan sich in Kürze mit einer eigenen Erklärung an die Öffentlichkeit wenden wird.

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