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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 8 / Inland
Flucht und Migration

»Es soll zeigen, dass sie unerwünscht sind«

Bezahlkarte für Asylsuchende: Münchner Initiative bietet Tausch von Gutscheinen gegen Bargeld an. Ein Gespräch mit Matthias Weinzierl
Interview: Gitta Düperthal
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Nicht nur in Bayern, auch in Hessen leiden Geflüchtete unter der Bezahlkarte (Wiesbaden, 13.12.2024)

Seit Juli 2024 gibt es für Geflüchtete in München ausschließlich die Bezahlkarte, mittlerweile sogar in ganz Bayern. Sie bieten an verschiedenen Orten in München im Austausch gegen Gutscheine Bargeld an. Wie sieht Ihre Bilanz nach einem halben Jahr aus?

Geflüchtete müssen in Geschäften mit der Karte zahlen, nur 50 Euro erhalten sie monatlich in bar. Im Alltag wird das zum Problem. Mit der Bezahlkarte kann man nicht in allen Geschäften einkaufen, etwa nicht bei kleinen Gemüsehändlern oder Afroshops im Bahnhofsviertel, die oft billiger sind. Völlig absurd ist es, wenn als einzige nahegelegene Einkaufsmöglichkeit ein teurer Biomarkt zur Verfügung steht, wie uns ein Geflüchteter aus dem Landkreis Starnberg berichtete: Mit dem wenigen ihm zur Verfügung stehenden Geld sei er nun gezwungen, dort einzukaufen. Viele kommen aus entlegenen Gegenden des Umlands nach München, um mit der Bezahlkarte erstandene Gutscheine bei uns in Bargeld einzutauschen.

Fragen sich Asylsuchende, was diese gegen sie gerichtete Politik ausgelöst hat?

Das ist ja eindeutig. Es soll ihnen zeigen, dass sie hier unerwünscht sind. Allerdings klappt das ständig propagierte Abschreckmodell, das man sich mit der diskriminierenden Karte erhofft, sowieso nicht. Das wird niemanden von der Flucht hierher abhalten. Diese Menschen kommen ja nicht, weil sie etwa das Asylbewerberleistungsgesetz mit der daraus resultierenden spärlichen Leistung so sehr wertschätzen oder wegen der so supertollen Wohnungssituation. Sie fliehen aus Krisengebieten.

Wie ist die Beteiligung am Tauschprojekt?

Das Ganze ist von breitem gesellschaftlichem Engagement getragen. Wohnprojekte, Beratungseinrichtungen, Buchläden, Chöre oder auch Lehrerkollegien an Schulen sorgen wöchentlich dafür, dass Bargeld bereitsteht. Die Bezahlkarte wird bundesweit eingeführt, in vielen Regionen bilden sich Gruppen, um beim Tausch mitzumachen.

Von Beginn an wurden die Tauschstellen von rechts diffamiert.

CSU und AfD verbreiten irreführende Vorwürfe, die nicht auf Fakten beruhen. Die bayerische Staatsregierung greift uns heftig an und wirft uns vor, einen vermeintlichen »demokratischen Willen« zu unterlaufen. Das sind Ausläufer einer rechtspopulistischen Blut- und Bodenpolitik. Wohin das führt, sehen wir ja in den USA und in Österreich. Mehrere Anzeigen gab es gegen uns, unter anderem vom Bundestagsabgeordneten Peter Aumer von der CSU. Die Staatsanwaltschaften München und Regensburg stellten aber fest: Der Tausch ist nicht strafbar. Im Raum stehen Drohungen, dass öffentlichen Einrichtungen, die sich beteiligen, Fördermittel entzogen werden könnten. Die AfD stellte entsprechende Anträge. Das sind Mittel, um uns mundtot zu machen. Einer Gesellschaft muss es möglich sein, dass Fehlentscheidungen auf politischer Ebene mit solidarischem Verhalten korrigiert werden dürfen.

Rechte Parteien versuchen im Bundestagswahlkampf, Ihre Aktion gegen die Bezahlkarte zu diskreditieren – auf welche Weise?

Behauptungen, dass Geflüchtete ansonsten mit dem Geld Schlepper bezahlen würden, sind lachhaft: Mal ehrlich, als ob das wenige Geld, das kaum ausreicht, um die bloße Existenz eines Asylsuchenden zu finanzieren, nur ansatzweise vermeintliche Schleuserbanden zufriedenstellen würde! Oder Erzählungen, dass Geflüchtete Geld ins Herkunftsland schicken würden: Wir hatten hier einen Fall einer aus Afghanistan geflohenen Frau, die ihren Kindern, die auf der Flucht mittellos in Pakistan zurückgeblieben waren, 50 Euro schicken wollte. Wer so etwas prinzipiell ausschließen möchte, dem kann ich nur sagen: Das ist unmenschlich und nicht nachzuvollziehen. Das Narrativ, die Karte würde angeblich die Bürokratie entlasten, ist Mumpitz. Im Gegenteil: Wollen Menschen ihrem Anwalt Geld überweisen, müssen sie erst zum Amt, um ihre Karte dafür freischalten zu lassen. Ist der Sachbearbeiter im Amt nicht wohlgesonnen, wird es schwierig.

Matthias Weinzierl ist Aktivist der Gruppe »Offen bleiben!«

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