Immer geradeaus
Von Philip Tassev
Nach dem Messerangriff im fränkischen Aschaffenburg, bei dem zwei Menschen getötet wurden, hat der CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, angekündigt, nächste Woche im Bundestag Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik zu stellen – und kalkuliert dabei offenbar auch Stimmen aus der AfD ein. Die Union werde die Anträge einbringen, »unabhängig davon, wer ihnen zustimmt«, sagte Merz am Freitag. Und: »Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.«
Was die Unionsfraktion konkret beantragen will, ist zwar noch unklar. Die Richtung hatte Merz aber am Donnerstag bereits vorgegeben, als er verkündete, er werde im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen einführen, ein »faktisches Einreiseverbot« für Menschen ohne gültige Papiere erlassen und Ausreisepflichtige massenhaft in Abschiebehaft nehmen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sprang Merz bei und forderte SPD und Grüne dazu auf, den Anträgen in der kommenden Woche zuzustimmen. Dann stelle sich auch nicht die Frage, ob die AfD die Pläne der Union mittrage. Dem Bundeskanzler warf Söder nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Sachsen und Thüringen am Freitag »Doppelmoral« in der Abschiebefrage vor. »Der Bund hat drei Jahre nichts getan, um Abschiebungen besser zu organisieren«, sagte Söder. Die Bundesländer hätten hier keine Möglichkeiten. »Insofern ist das vom Bund sehr heuchlerisch.«
Zuvor hatte es bereits einen Reigen von Schuldzuweisungen gegeben. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die bayerischen Behörden kritisiert, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das dem Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) untersteht. Ihm warf er vor, die Abschiebung des tatverdächtigen 28jährigen Afghanen nach Bulgarien verschleppt zu haben. Die Anordnung zur Abschiebung sei den bayerischen Behörden zu spät mitgeteilt worden.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sieht die Schuld auf beiden Seiten und fordert sowohl den Rücktritt von Faeser als auch von Herrmann. »Die desaströse Asylpolitik der Bundesregierung und der bayerischen Landesregierung ist politisch mitverantwortlich für diese Tat«, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die FDP, die bekanntlich auf eine Koalition mit der Union schielt, beschränkt sich auf die Forderung nach Faesers Entlassung. »Es gab keine Ingewahrsamnahme an den Grenzen, keine Zurückweisungen, keine weiteren Abschiebeflüge nach Afghanistan. Die Behörden haben nach wie vor keinen Überblick, welche Gefährder sich in Deutschland aufhalten«, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Der Täter von Aschaffenburg war weiterhin im Land, weil das BAMF völlig versagt hat. Der Bundeskanzler muss Ministerin Faeser entlassen.« Für Montag wurde eine Sondersitzung der Innenministerkonferenz (IMK) einberufen. Der Vorsitzende der IMK, Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), bestätigte am Freitag entsprechende Berichte.
Der bayerische Flüchtlingsrat kritisierte, dass Politiker den Messerangriff in Aschaffenburg für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren würden. Die von Merz angestrebte »faktische Abschaffung des Asylrechts« sei keine Lösung. Forderungen nach Abschiebungen und Abschottungen gingen »völlig an der Realität vorbei«. Denn: »Auch wenn das Recht auf Asyl abgeschafft wäre und alle abgelehnten Asylsuchenden abgeschoben wären, würden Gewalttaten weiterhin passieren.« Der Flüchtlingsrat fordert statt dessen bessere Gewaltprävention und bessere Früherkennung und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Geflüchteten sowie die Unterbringung von Erkrankten in Wohngruppen. »Nur eine frühzeitige Diagnostik und angemessene psychiatrische und psychosoziale Versorgung« könnten Angriffen wie in Aschaffenburg vorbeugen, ist sich die Sprecherin des Flüchtlingsrats, Jana Weidhaase, sicher.
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