Die Baubranche will schrumpfen
Von Lucas Zeise
In Deutschland ging die Schrumpfung der Bauwirtschaft der Deindustrialisierung voraus. In der Selbstdarstellung der Branche wird die Geschichte so dargestellt: Nach dem Bauboom 1991 bis 1995 im Gefolge der »Wiedervereinigung« und der langen Baurezession 1996 bis 2006 (Höhepunkt die Pleite des Marktführers Holzmann 2002) habe sich die Bauwirtschaft von 2007 bis 2020 in einem »nachhaltigen Aufschwung« befunden.
Die Statistiken belegen das nicht. Vielmehr hat die Branche in dieser Zeit ihren Anteil an der Wertschöpfung des ganzen Landes nur knapp halten können. Danach ging es richtig bergab: Real (um Preissteigerungen bereinigt) ist der Umsatz der Bauwirtschaft seit 2021 bis 2024 jedes Jahr gesunken. Auch im gerade begonnenen Jahr 2025 rechnet der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB), der die kleineren und mittleren Unternehmen der Branche vertritt, nach seiner Prognose von Dezember mit einem preisbereinigten Umsatzrückgang um 2,5 Prozent. Der Hauptverband der deutschen Bauindustrie (HDB), der die verbliebenen größeren Unternehmen vertritt, gab am Freitag einen Umsatzrückgang um 3,5 Prozent bekannt und prognostizierte einen weiteren Rückgang um 1,4 Prozent im laufenden Jahr.
In der politischen Diskussion vor und im Wahlkampf konnte man eine Weile lang den Eindruck gewinnen, der Bedarf an Bauleistung (bei Straßen und Brücken, bei der Bahn, bei öffentlichen Gebäuden und Schulen, und am krassesten bei ganz gewöhnlichen Wohnungen) in Deutschland werde als enorm dringend wahrgenommen. Selbst die Unternehmerverbände haben schon vor einigen Jahren verlangt, dass die staatlichen Investitionen in die Infrastruktur hochgefahren werden müssen.
Da nun die aktuelle Rezession zunehmend als Beginn einer Strukturkrise diagnostiziert wird und der Erfolg der deutschen Exportwirtschaft nicht mehr als Lösung aller Probleme unterstellt werden kann, läge es eigentlich nahe, die notwendigen öffentlichen Investitionen nun vorzunehmen, gleichzeitig die heimische Bauwirtschaft aus dem Niedergang zu erlösen, mit diesem Konjunkturprogramm die Binnennachfrage im Land zu stärken und damit einen Ausgleich für die Ausfälle bei den Exporten nach China und den USA zu schaffen.
In der Politik wird die Schuldenbremse an dieser Stelle als – vielleicht reformierbares – Hindernis für eine derartige sinnvolle Wirtschaftspolitik angeführt. Komisch ist aber, dass das Wort Konjunkturprogramm im Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftskrise nicht in den Mund genommen wird. Und noch rätselhafter ist es, dass die Organisationen der Bauwirtschaft ein solches Programm weder fordern noch wenigstens propagieren.
Der ZDB will die »Baubranche als Schlüsselbranche in den Fokus rücken« und empfiehlt dazu die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Der HDB findet die »Verkehrsinfrastruktur strukturell unterfinanziert«, plädiert für eine »verlässliche Finanzierungsgrundlage« und die Einbeziehung von Privatkapital. Nebenbei wird von der Regierung verlangt, bei den Konditionen der Entwicklungshilfe den deutschen Baukonzernen mehr Aufträge aus dem Ausland zu verschaffen. Die Baubranche hat, glaubt man ihren Verbänden, Angst vor zu vielen Staatsaufträgen.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.
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