Weiter Rente für Kriegsverbrecher
Von Ulrich SchneiderJahrzehntelang war es kein großes Thema, dass die Bundesrepublik mehrere tausend Kriegsverbrecher und Nazikollaborateure mit Kriegsopferrenten alimentierte. In den 1990er Jahren enthüllten Journalisten Zahlungen an lettische SS-Freiwillige. Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung haben die Initiative »Frag den Staat« und das Magazin Stern das Thema erneut aufgegriffen und diesen geschichtspolitischen Skandal im Vorfeld des 27. Januar öffentlich gemacht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Deutschland noch immer Renten an ehemalige Mitglieder der Waffen-SS im Ausland und somit möglicherweise auch mutmaßliche Kriegsverbrecher auszahlt.
Konkret gehe man – nachweisbar – von mehr als 30 ausländischen Tätern aus, die im Ausland deutsche Kriegsopferrente beziehen. Da die zuständigen Ämter offiziell keine Unterlagen darüber besitzen, wer möglicherweise in der SS gewesen sei, könnte die Zahl auch höher liegen. Die Grundlage für die Zahlungen war bis 2023 das Bundesversorgungsgesetz von 1950, das Menschen, die an der faschistischen Kriegs- und Vernichtungspolitik beteiligt gewesen waren, einen Anspruch auf Versorgung versprach.
Das betraf auch ausländischen Kollaborateure, wie Hilfskräfte in den KZ, insbesondere aber Freiwillige in den ausländischen Einheiten der Waffen-SS und Verbänden der Wehrmacht. Wer für das Naziregime und seine Weltherrschaftspläne gekämpft hat, der sollte wenigstens Gelder von Deutschland bekommen, wenn er schon in seinem eigenen Land von der Rentenversorgung ausgeschlossen wurde.
Bis in die 1980er Jahre hinein betrafen solche Zahlungen vor allem Kollaborateure aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Zu einem größeren Problem wurde es Anfang der 1990er Jahre, als mit dem Ende des Ostblocks insbesondere aus dem Baltikum ehemalige SS-Freiwillige diese »Kriegsopferrenten« beantragten – und bewilligt bekamen. Als solche Konsequenzen der überkommenen Versorgungsregelung ruchbar wurden, begannen auch Journalisten nachzufragen. Das NDR-Magazin »Panorama« enthüllte die Zahlungen an lettische SS-Freiwillige. Obwohl die Bundesregierung immer betonte, keinen vollständigen Überblick über die Zahlungen an ausländische Kollaborateure zu haben, gehen Historiker davon aus, dass damals ungefähr 600 Millionen D-Mark jährlich zur Alimentierung von Kollaborateuren ausgegeben wurden.
Tatsächlich entwickelte sich nach den Medienberichten eine öffentliche Debatte, die begleitet wurde durch die beginnende Auseinandersetzung um die seit Jahrzehnten ausstehende Zwangsarbeiter-Entschädigung. Um an dieser Flanke politisch Ruhe herzustellen, verabschiedete der damalige Bundestag 1998 eine Ergänzung zur »Kriegsopferrente«. Diejenigen, die Verbrechen gegen die »Grundsätze der Menschlichkeit« begangen hätte, würden von Rentenzahlungen ausgenommen.
So gut das damals klang, blieb jedoch das Problem, dass solche Verbrechen individuell nachgewiesen und zugeordnet werden mussten und bisherige Zahlungen davon unberührt blieben. Statt eine klare Regelung zu treffen, dass zum Beispiel die Zugehörigkeit zu Einheiten der Waffen-SS oder Wachmannschaften in KZ automatisch die Streichung der Renten bedeutet, galt so etwas nur als »Anhaltspunkt« für eine Prüfung durch die Versorgungsämter. Nach damaligen Recherchen hätte bei 70.000 Personen die Zahlung eingestellt werden können. Tatsächlich wurden nicht einmal 100 Kriegsopferrenten gestrichen.
Versorgungsämter und Bundesregierung hofften auf eine »biologische Lösung«, da diese Renten personengebunden waren. Aber antifaschistische Verbände in Belgien zum Beispiel fragten im Zusammenhang mit dem Vorstoß eines Traditionsverbandes lettischer SS-Angehöriger für ein Denkmal im belgischen Zedelgem im Parlament, wie viele Nazikollaborateure deutsche »Kriegsopferrenten« beziehen würden. Zwar war die Zahl überschaubar, aber die öffentliche Debatte wirbelte in Belgien viel politischen Staub auf.
Der deutsche Umgang mit den Nazikollaborateuren bei gleichzeitiger Verweigerungshaltung gegenüber den Ansprüchen der Opfer – erinnert sei nur an die jahrzehntelange Blockade gegenüber den berechtigten Forderungen der griechischen Opfer der Naziokkupation –, macht einmal mehr deutlich, dass salbungsvolle Sonntagsreden – wie zum 80. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg – auch bei der noch amtierenden Regierung durchaus zusammengehen mit der Förderung von Kollaborateuren und der Verweigerung der Hilfe für die Opfer, derer man doch so tief betroffen gedenkt.
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