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Aus: Ausgabe vom 30.01.2025, Seite 1 / Titel
Repression gegen Palästina-Bewegung

Knebel für Unis

Bundestagsresolution gegen Israelfeindlichkeit an Hochschulen droht Freiheit von Lehre und Forschung zu beschränken
Von Annuschka Eckhardt
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»Anwendung des Hausrechts«: Polizisten räumen das besetzte Audimax der Universität Leipzig (7.5.2024)

Von wegen offener Diskursraum: Im Namen des Kampfes gegen Israelfeindlichkeit soll Bildungseinrichtungen ein Maulkorb verpasst werden. Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP haben eine weitere Resolution eingereicht, diesmal: »Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern«. Der Antrag war Mittwoch abend nach jW-Redaktionsschluss im Bundestag zur Abstimmung angesetzt.

Das Problem: Eine Vermischung von Antisemitismus und Kritik am israelischen Staat zieht sich als roter Faden durch den Text. Aktivitäten von Gruppierungen, die »israelbezogenen Antisemitismus« verbreiten, zu deren Mitteln auch »Boykottaufrufe, Delegitimierung, Desinformation und Dämonisierung des jüdischen Staates« gehören, sollen unterbunden werden.

»Wie die letzte Resolution vom November hat auch diese weniger mit Antisemitismus zu tun als mit deutscher Staatsräson. Dafür soll die Freiheit der Lehre, der Forschung, der Kunst und auch des Meinungsaustauschs immer mehr eingeschränkt werden auf eine Weise, die bei keinem anderen Thema zu beobachten ist«, kritisierte Wieland Hoban, Vorstandsvorsitzender des Vereins »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« am Mittwoch gegenüber junge Welt.

Neben einer Reihe von Forderungen zur weiteren Erforschung des Themenkomplexes Antisemitismus verlangen die Fraktionen »konsequentes Vorgehen« gegen »antisemitisches Verhalten«: Schulen und Hochschulen sollen dabei unterstützt werden, »ihre rechtlichen Möglichkeiten vollständig auszuschöpfen«. Dazu gehörten die »Anwendung des Hausrechts, der temporäre Ausschluss vom Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen«, so der Antrag. Die Bilder von knüppelnden Polizisten in Hörsälen und auf Universitätscampi sind kaum verblasst, da kommt die Forderung, »auf allen Ebenen einen strukturierten Dialog zwischen betroffenen Hochschulen und den deutschen Sicherheitsbehörden zu initiieren«.

Eine Beschneidung studentischer Rechte findet auch ohne die Legitimierung durch die zur Abstimmung stehende Resolution, die keine unmittelbare Gesetzeskraft haben wird, längst statt. Es ist zu befürchten, dass palästinensische und muslimische Schüler und Studenten noch stärker diskriminiert und kriminalisiert werden. »Einschränkungen tragen nicht dazu bei, dass Konflikte, die natürlich auch in Schulen entstehen, offen ausgetragen werden können. Solche Repression kann Ängste bei den Schülern schüren, Dinge überhaupt anzusprechen«, befand Urs Kroll, angehender Lehrer und Mitglied bei der Jungen GEW am Mittwoch im jW-Gespräch.

Teile der organisierten Studierendenschaft sind mehr als besorgt: »Dieser Antrag reiht sich ein in eine Vielzahl von Versuchen, den Protest in Solidarität mit Palästina an Universitäten zu delegitimieren – mehr noch: zu kriminalisieren. Eine offene Kommunikation mit solidarischen Professoren sowie die akademische Auseinandersetzung an Universitäten soll unterbunden werden, was uns zu isolieren versucht«, so das Bündnis »Hands off Student Rights«, das sich für studentische Rechte einsetzt, auf jW-Anfrage.

»Was heute gegen den Palästina-Protest aufgefahren wird, kann morgen auch die antifaschistische oder die Klimabewegung treffen«, sagte Mika Hartmann vom SDS Leipzig am Mittwoch gegenüber dieser Zeitung.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (30. Januar 2025 um 01:14 Uhr)
    Frau Eckhardt: Vielen Dank! Ich hatte null Ahnung, was als Normalität gilt, wenn bestraft wird, wer den Staat des Messias sagt: Schluss mit Gewalt! Das sollen alle tun, die die vielen Kriege der verschiedenen Regierungen in Tel Aviv nicht mehr ertragen wollen. Das glauben Sie nicht: Die Leipziger Universität darf nicht mehr länger den Namen des Juden Karl Marx tragen. Da fragt man sich: Was war falsch an dem? Aber es gibt eine Uni und sogar eine Stadt, die nach dem einflussreichsten Antisemiten vor Hitler Martin Luder heißt.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

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