Gegründet 1947 Freitag, 31. Januar 2025, Nr. 26
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.01.2025, Seite 7 / Ausland
Frankreich

Mayotte als Metapher

Frankreich: Premierminister rechtfertigt ultrarechten Kampfbegriff mit Hinweis auf alten Kolonialbesitz
Von Bernard Schmid, Paris
7.JPG
Im Dezember fegte Tropensturm »Chido« über Mayotte hinweg – und traf vor allem die Ärmsten der Armen (Passamainty, 20.12.2024)

Die im Dezember von einem Wirbelsturm schwer getroffene Inselgruppe Mayotte im Indischen Ozean ist in der französischen Politik immer wieder für falsche Projektionen gut. Das wird gerade von höchster Stelle in Paris auf drastische Weise belegt. Seit 2011 gehört das kleine Archipel administrativ als 101. Département zu Frankreich. Zwei Jahre zuvor war über den Erwerb dieses Status abgestimmt worden. Doch stellen die zwischen Madagaskar und Mosambik angesiedelten Eilande aufgrund der Ungleichheit der Lebensbedingungen gegenüber den benachbarten Komoreninseln – zu denen Mayotte ebenfalls gehört, aus denen Frankreich es jedoch bei deren Unabhängigkeit von der Kolonialmacht 1975 herausgebrochen hat – einen Magnet für Einwanderer aus der Umgebung dar. Die vergleichsweise starke Bevölkerungszunahme und -dichte auf Mayotte wird in der »Metropole«, im europäischen Frankreich, daher oft als Beweis für eine vermeintliche Bedrohung allgemeiner Art herangezogen.

Wie durch ein Brennglas wird dabei die Lage auf Mayotte betrachtet, um bei dem vergrößernden Blick eine angeblich das ganze französische Staatsgebiet gefährdende Entwicklung wahrzunehmen. Dies wurde schon 2018 quasi offiziell in der staatlichen Politik festgeschrieben: Vor dem Hintergrund der Behauptung, man müsse dringend die »Sogwirkung« von »Anreizen für Einwanderung« beenden, wurde damals speziell für Mayotte das sonst in der ganzen Französischen Republik gültige Prinzip des Ius soli oder »Bodenrechts« – das Geburtsortsprinzip beim Staatsbürgerschaftsrecht – teilweise ausgehebelt.

Seit 1889 gilt in Frankreich generell, dass im Prinzip Französin oder Franzose wird, wer auf dem Territorium des Landes geboren wurde. Nach mehreren Gesetzesänderungen ist dies heute – seit der Novelle von 1998 – ab dem Kindesalter von dreizehn Jahren auf Antrag der Eltern hin möglich. Vor 1993 war es auch kurz nach der Geburt denkbar. Auf Mayotte genügt aber auch dies nicht. Seit der Gesetzesänderung von 2018, welcher eine Medienkampagne vorausging, muss wenigstens ein Elternteil eines auf Mayotte geborenen Kindes mindestens drei Monate vor der Entbindung dort einen »legalen« Aufenthalt besessen haben. Sonst entfällt das Ius soli.

Am Mittwoch nun nahm die französische Nationalversammlung in einer Kommissionssitzung einen Antrag der mitregierenden konservativen Partei Les Républicains (LR) an. Der Vorlage zufolge wäre künftig der legale Status nicht nur eines, sondern beider Elternteile erforderlich, um das »Bodenrecht« auf Mayotte noch wirken zu lassen. Doch damit nicht genug: Am Dienstag hatte Premierminister François Bayrou vor dem Parlament noch einmal umstrittene Äußerungen vom Vortag mit der Situation auf Mayotte gerechtfertigt – angeblich habe er auf die Besonderheit des Archipels Bezug genommen, als er am Montag dem Fernsehsender LCI ein Interview gab.

In dem fraglichen Interview hatte der Christdemokrat sich völlig ungebremst ausgelassen: »Ich denke, dass ausländische Beiträge zu einer Bevölkerung positiv sein können, allerdings unter der Bedingung, dass sie einen gewissen Anteil nicht überschreiten. Aber von dem Moment an, wo man den Eindruck einer Überflutung hat, das eigene Land, die Lebensweise oder die Kultur nicht mehr wiedererkennt, gibt es eine Abwehrreaktion.« Bayrou sprach hier sehr allgemein. Ein Hinweis auf Mayotte kam erst zwei Absätze später. Mit der Metapher von der »Überflutung« (Submersion) griff der Premier einen Ausdruck auf, den der extrem rechte Publizist Dominique Venner – er beging 2013 in der Kathedrale Notre-Dame Suizid, um ein Fanal zu setzen – in den sechziger Jahren geprägt hatte.

Der rechtssozialdemokratische Parti Socialiste (PS) hat daraufhin am Dienstag die zuvor laufenden Tolerierungsverhandlungen mit dem Regierungslager ausgesetzt. Wie die Vorgängerregierung unter Michel Barnier ist Bayrou nun auf das parlamentarische Wohlwollen der extremen Rechten angewiesen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio:

Mehr aus: Ausland