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Aus: Ausgabe vom 30.01.2025, Seite 8 / Ansichten

Material für den Nimbus

Staatsidealismus gegen die AfD
Von Nico Popp
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Demonstranten in Berlin (25.1.2025)

Am Donnerstag wird der Bundestag über einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag beraten, der darauf zielt, in Karlsruhe ein Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD einzuleiten – also darauf, die Partei zu verbieten. Ein konkurrierender Antrag richtet sich nicht gegen dieses Anliegen, sondern gegen die betonte Eile: Die Einbringer wollen erst einmal Gutachter mit der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens beauftragen.

Die Frage nach den Erfolgsaussichten ist für jenen Strang des gebeutelten deutschen Linksliberalismus, der ein AfD-Verbotsverfahren zum Ersatzprogramm erhoben hat, aber längst kein Kriterium mehr. Unbeeindruckt zeigten sich die Abgeordneten zuletzt auch von der taktischen Kritik, dass so ein Antrag mitten im Bundestagswahlkampf der AfD nicht schaden, sondern, umgekehrt, die Wirkung eines Geschenks entfalten wird, weil diese Partei sich so noch viel wirkungsvoller als letzte Oppositionskraft inszenieren kann. Dass diese Warnung jenen nicht einleuchtet, die sowieso nicht verstehen, woher die sich nach rechts hin politisierende Aversion gegen die politische Klasse im besten Deutschland aller Zeiten kommt, überrascht nicht.

Man wird diese Leute, für die es ganz selbstverständlich ist, die Urteile des Inlandsgeheimdienstes zum Ausgangspunkt der Begründung des Verbotsantrages zu machen, als sei das eine vollkommen hinreichende Begriffsbildung, auch nicht mit der Empfehlung beeindrucken, dass bei dem Versuch, eine Partei zu verbieten, doch schon auch schlüssig Programm und Praxis dieser Partei kritisiert werden sollten. Von einer solchen Kritik findet sich aber in der Antragsbegründung nichts. Die Aufzählung von Äußerungen einzelner AfD-Funktionäre ist keine Kritik; der selbstverständlich nicht fehlende Vorwurf des Vaterlandsverrats – die AfD agiere in Teilen als »verlängerter Arm autoritärer ausländischer Regime«, zum Beispiel für das »verbrecherische russische Regime und die Volksrepublik China« – sowieso nicht.

Die AfD tatsächlich zu kritisieren hieße eben auch, den Nachweis zu führen, dass sie in jeweils unterschiedlichen Dosierungen so menschenfeindlich, reaktionär, militaristisch und aufrüstungsbeflissen, so neoliberal und so NATO-kompatibel ist wie die Parteien der Abgeordneten, die diesen Verbotsantrag einbringen. Die AfD, das wäre Punkt eins einer antifaschistischen Kritik, ist nicht der Gegensatz, sondern eine Variante dieses Betriebs, der ja auch die materiellen und ideologischen Voraussetzungen für ihren Aufstieg geschaffen hat. Und doch lebt sie von dem Nimbus, sie sei der denkbar größte Gegensatz zur eingerichteten Ordnung. Der Verbotsantrag, der sich noch dazu aus einem Extremismusbegriff ableitet, der sich übergangslos gegen jede Form von linker Organisierung wenden kann (und wenden wird), fördert diese Illusion. Mit einem Idealismus des Status quo aber ist kein Kampf gegen rechts zu führen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (30. Januar 2025 um 11:25 Uhr)
    Hervorragend argumentiert!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. (30. Januar 2025 um 10:04 Uhr)
    Gute Kommentare gibt es ja zum Glück öfter mal in der jW zu lesen. Dieser hier ist sogar streckenweise brillant (z.B. »nicht der Gegensatz, sondern eine Variante …«). Nur ein Vorschlag: »Linksliberalismus« ist kein nützlicher Begriff mehr, wenn er denn je einer war. Sprechen wir doch besser von Liberalprogressivismus.

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