Den Krieg mitgestalten
Von Norbert WohlfahrtOb Kriegstüchtigkeit glücklich macht, ist eine Frage, die mittlerweile nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen erörtert wird.¹ Die »deutlichen Zeichen, dass wir nicht mehr im Frieden leben« (Michael Giss, Ethik und Militär 2/2024), weisen darauf hin, dass die Zeitenwende nicht länger als Aufgabe militärischer Aufrüstung und sicherheitspolitischer Gefahrenabwehr verstanden werden soll, sondern die Gesellschaft und ihr Wille zur Kriegführung ernsthaft in den Blick genommen werden müsse.
Und hier werden dann zunächst einmal erhebliche Defizite registriert: »Im Bewusstsein der Wirtschaft und der breiten deutschen Bevölkerung ist diese Zeitenwende bis heute nicht angekommen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom Frühjahr 2024 wären beispielsweise nur 38 Prozent der Befragten bereit, Deutschland im Ernstfall mit der Waffe zu verteidigen« (Franz-Stefan Gady: Die Rückkehr des Krieges, Köln 2024). Die Gesellschaft, so heißt es, müsse »an einen Zustand staatlicher Resilienz« herangeführt werden, und dazu gehört auch die Frage, mit welcher Ernsthaftigkeit der Krieg als individuelle Herausforderung angenommen wird. Wie auch die, ob man bereit ist, andere Menschen im Auftrag des Vaterlandes zu töten. Erfordert sei eine »geistige Zeitenwende« in der Gesellschaft², die (nicht nur) in einer größeren Akzeptanz für die Notwendigkeit militärischer Stärke zum Ausdruck kommt.
Die Gesellschaft als Ganzes soll den Krieg »als Angriff auf ihr Wertesystem verstehen und erkennen, dass man in der Lage sein muss, Meinungsfreiheit und Liberalismus zur Not auch mit harten Mitteln zu verteidigen« (Giss). Diagnostiziert wird eine Reihe von Mängeln, die vom fehlenden Wehrwillen bis zum noch immer schwelenden und nicht restlos überwundenen Pazifismus als Grundhaltung in Teilen der Bevölkerung reichen. Zusammengefasst ergibt sich das Bild einer zwar im Krieg befindlichen, doch nach wie vor dem Frieden nachhängenden Gesellschaft, deren Einstellung dringender Korrektur bedarf. »Der tiefere Grund für die Misere ist das Mindset einer zutiefst zivilen Gesellschaft, in der an allen möglichen Stellen harte Interessenkonflikte entstehen und die Bereitschaft, über den Rand der eigenen Brillengläser zu gucken, dramatisch abnimmt. Insofern zeigen die Mängel bei der Bundeswehr auch die objektiven Grenzen von Politik« (Markus Decker, RND, 8.2.2024). Die Unfähigkeit, »den Krieg im Frieden zu denken«, durchdringe »nicht nur die heutige Bundeswehr, sondern die deutsche Gesellschaft als Ganzes« (Gady). Gemeint ist damit nicht bloß die Bereitschaft, sich auf Zehntausende verwundeter und toter deutscher Soldaten in den ersten Kriegstagen und Wochen vorzubereiten, sondern auch eine subjektive Haltung, die davon ausgeht, »dass Krieg ein schmutziges Geschäft ist, das weit unter dem moralischen und intellektuellen Entwicklungsstand der Deutschen liegt und das man besser anderen überlassen sollte«.
Diesem Zustand will man abhelfen. Notwendig ist dazu ein Verständnis von Kriegstüchtigkeit, das deren Mehrdimensionalität in den Blick nimmt und auch die ethisch gebotene Notwendigkeit der Kriegführung in Erinnerung ruft. Zur subjektiven Seite der »semantischen Bedeutung« des Begriffs der Kriegstüchtigkeit zählen die innere Haltung (»Mindset«) und der Wille, den Krieg zu denken. Zu ergänzen seien »weitere Dimensionen im Bereich Wissen und Praxis, Fragen nach Kenntnis, Fähigkeit, Strategie, Taktik und Organisation. Dazu kommen auch die zwischenmenschlichen Dimensionen, wie Personal und Gruppendynamik, Hierarchie und innere Ordnung des Militärs, Teamgeist und Zusammenwirken bzw. Synergie«. Kriegstüchtigkeit könne, »ethisch betrachtet, kein Selbstzweck sein und muss in einem größeren ethischen Zusammenhang gedacht werden. Die Konzeption dient einer höheren ethischen Ordnung bzw. einem höheren ethischen Prinzip, nämlich ›Kriegsverhütung‹« (Paul Silas Peterson, Ethik und Militär 2/2024).
Operationsplan Deutschland
Man sollte sich aber nicht täuschen: Das höhere ethische Prinzip verspricht nicht, dass Kriege nicht stattfinden, im Gegenteil. Denn die »Abschreckung« durch militärische Stärke gelingt bekanntlich nicht immer,³ und dann heißt es: Alles dafür zu tun, »den militärischen Konflikt zu gewinnen, auch wenn solche Formulierungen für die meisten, die heute in Europa leben, martialisch, frevlerisch und rückwärtsgewandt klingen mögen« (Gady).⁴ Die sich anzueignende Idee ist die Ausrichtung der gesamten Gesellschaft auf die Notwendigkeit der Kriegführung. Und das ist keine Idee, die allein Glücksforscher und ethisch beschlagene Theologen beschäftigt, sondern eine Aufgabe, der sich der Staat, der diese Kriege führen will, konkret stellt. Ein Baustein, dieser Idee materielle Kraft zu verleihen, ist der »Operationsplan Deutschland«, der die Zivilgesellschaft und ihre patriotischen Aufgaben zur Vaterlandsverteidigung ins Auge fasst und die gesellschaftlich-defizitäre Seite der Herstellung von Kriegstüchtigkeit zu korrigieren versucht.
Das Ziel des neuen Operationsplans ist ein Gesamtverteidigungskonzept für die »Drehscheibe Deutschland«, bei dem der Heimatschutz im Vordergrund steht. Die Bundeswehr fasst diesen neuen Verteidigungsplan, der sich in der Ausarbeitung befindet, wie folgt zusammen: »In ihm werden Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten festgelegt, um gemeinsam mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren Deutschland, dessen territoriale Integrität und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zu verteidigen sowie den Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke sicherzustellen.« Der Operationsplan bündelt die zentralen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen. Er legt zum Beispiel fest, welche Verkehrswege für den Transport genutzt werden, welche Brücken in Betracht kommen, wo Rastplätze eingeplant sind und wie diese geschützt werden sollen. Die Sicherung dieser Verkehrswege muss eng mit der Polizei und anderen zivilen Institutionen abgestimmt werden.
Das Szenario, von dem die zivilgesellschaftliche Seite der Kriegsvorbereitung ausgeht, unterstreicht die zentrale Rolle, die sich Deutschland in dem erwarteten Krieg mit Russland zumisst: Demnach wäre die Bundesrepublik das wichtigste Aufmarschgebiet für NATO-Truppen und zudem Dreh- und Angelpunkt für Nachschub, Versorgung und Verstärkung der NATO-Truppen an der Ostflanke.⁵ Da der ins Auge gefasste Krieg selbstverständlich von den USA als Führungsmacht wesentlich mitgetragen wird, spielen die US-amerikanischen Militärstützpunkte, die in Deutschland beheimatet sind, als Koordinationszentren des Krieges eine wichtige Rolle. Hieraus ergibt sich eine dringende Aufgabe der Optimierung der in Deutschland vorhandenen Infrastruktur zur Gewährleistung der notwendigen Versorgungsaufgaben und zur Stärkung der Durchhaltefähigkeit in den kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Gesellschaft müsse hierauf entsprechend vorbereitet werden, indem die Haushalte Vorsorge für den Ausfall von Strom etc. treffen und private Lebensmittelreserven vorgehalten werden.⁶ Auch die Rolle der Wirtschaft regelt der Operationsplan.⁷ Die Bundeswehr rät Unternehmen zu konkreten Notfallplänen und einer verstärkten Ausrichtung auf Autarkie. Die Unternehmen werden angehalten, detaillierte Krisenpläne für alle Mitarbeiter zu entwickeln und die gesamte Belegschaft für Sicherheitsfragen zu sensibilisieren. Zudem wird empfohlen, in eine eigene Energieversorgung zu investieren, beispielsweise durch die Installation von Dieselgeneratoren oder Windrädern.
Zum Wohl der Welt
Im Rahmen des Bevölkerungsschutzes spielen die zivilen Hilfsorganisationen eine zentrale Rolle. Die fünf im Bevölkerungsschutz mitwirkenden anerkannten Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), Johanniter-Unfallhilfe und Malteser Hilfsdienst wollen ihre im Operationsplan formulierte patriotische Pflicht erfüllen, sehen aber mit Blick auf die Zeitenwende keine dieser nationalen Aufgabe entsprechende Finanzierung der Maßnahmen: »Für die Stärkung der Resilienz der Gesellschaft und die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Katastrophenschutzes bei einem gleichzeitigen Ausbau der Fähigkeiten im Zivilschutz braucht es dringend Investitionen« (Johanniter-Geschäftsstelle, 11.9.2024).
Der Operationsplan Deutschland begründet die zivilgesellschaftliche Seite des Krieges mit Russland (der mit Blick auf Dimensionen wie Cyberattacken, hybride Kriegführung, Krieg im Weltraum etc. bereits als begonnen definiert wird) und versteht sich als Instrument zur Schaffung einer gesamtgesellschaftlichen Kultur, in der Krieg akzeptiert und als Teil des gesellschaftlichen Lebens aktiv (mit-)gestaltet wird. Es geht darum zu begreifen, »dass militärische Gewalt überhaupt zum Wohle der Welt und zur Förderung legitimer nationaler Interessen Deutschlands eingesetzt werden sollte« (Gady).
Das moralische Denken hat im Fall des Ukraine-Kriegs gute Dienste geleistet: Mit der Parteilichkeit für den Westen, der das Gute im Kampf gegen das Böse repräsentiert, war die Sache im Prinzip erledigt und der Kampf gegen den »völkerrechtswidrigen Angriffskrieg« mehr als legitimiert.⁸ Die von Volk und Vaterland geforderte Zeitenwende nimmt diesen Krieg zum Anlass einer gesamtnationalen Rundumerneuerung, die das Ziel hat, die Nation auf Kriege als Normalität künftiger demokratischer werteorientierter Staatlichkeit vorzubereiten und die hierzu notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Das beinhaltet eine Herausforderung an die Zivilgesellschaft, die sich (infrastrukturell, kulturell und mental) auf einen langen Abnutzungskrieg einstellen muss.
Militärische Aufrüstung, Stärkung gesellschaftlicher Resilienz und Förderung einer alle gesellschaftlichen Institutionen durchdringenden Kriegsmoral sind die Bausteine, mit denen künftige Kriege geführt und gewonnen werden sollen. Unabhängig von den militärischen Szenarien (im gegenwärtig dominierenden Kriegsszenario greift Russland Litauen an, um sich die baltischen Staaten einzuverleiben, und Deutschland muss gewaltige Truppenkontingente auf Schiene, Straße und in der Luft bewegen) gewinnt der Krieg damit den Status eines unabdingbaren Mittels nationaler Staatlichkeit und erfordert eine dieser Zwecksetzung entsprechende gesamtgesellschaftliche Kultur.⁹ »Während die deutsche Zeitenwende ein Grundverständnis für ein militärisches Bedrohungsszenario, Krieg, geschaffen hat, ist die hybride Bedrohung für viele in Deutschland noch völlig ungreifbar. Geht man von einer Unterscheidung von vier Aktivitätsleveln zwischen Frieden und Krieg aus, von 1. Interference (Störung) über 2. Influence (Einflussnahme), 3. Operation (Destabilisierungsoperation) und 4. War/Warfare (Krieg/Kriegführung), befinden wir uns laut Experten in der militärischen Auswertung in Deutschland, in Europa, im ›Westen‹, bereits seit geraumer Zeit in Level 3 – ohne uns dessen gesamtgesellschaftlich bewusst zu sein« (Friedrich-Naumann-Stiftung, 12.6.2024). Deutschland steckt also bereits mitten im hybriden Krieg, während in Teilen der Gesellschaft immer noch ein Kosten-Nutzen-Verständnis von Krieg dominiert, das zur Folge hat, »dass der Westen nach wie vor zu Fehlkalkulationen neigt: Die nächste militärische Überraschung scheint vorprogrammiert« (Gady). Die Mobilmachung der Zivilgesellschaft weist damit über den Ukraine-Krieg hinaus.
Ganz nebenbei wird ein Mythos aktiviert und entlarvt, dem alle Kriegsbemühungen dienen – jener der Abschreckung. Im Falle Putins ist das ganz einfach: Da dieser Mensch und sein Staat böse sind, kann man ihnen auch keine Sicherheitsinteressen zugestehen, und Moskaus nukleare Drohung muss insoweit als Aufforderung zu ihrer Überwindung behandelt werden. Von seinem imperialen Machthunger – das können die einschlägigen Militärexperten gar nicht oft genug wiederholen – kann diesen Staat weder die dokumentierte Überlegenheit der NATO noch die versammelte atomare Abschreckungsmacht des Westens abhalten. Vorstellbar ist deshalb »eine atomare Zeitenwende, die womöglich auch die NATO zwingen würde, taktische Nuklearwaffen einzusetzen« (Gady). Die Abschreckung muss auf die neue Stufe einer entschiedenen Kriegführung gehoben werden¹⁰ und Deutschland bereit sein, »mit aller Kraft gegen Russland zu Felde zu ziehen«. Die Abschreckung, der nach Auskunft der Militärexperten alle Maßnahmen der Kriegsvorbereitung dienen, soll dem Gegner glaubwürdig signalisieren, dass man bereit sei, Millionen zu töten. In diesem Sinne erklärte ein amerikanischer Luftwaffengeneral in einer Diskussionsrunde: »Die ganze Idee besteht darin, die Bastarde zu töten. Wenn am Ende des Krieges noch zwei Amerikaner und ein Russe am Leben sind, haben wir gewonnen!« Ein Analyst des Thinktanks Rand Corporation gab daraufhin zu bedenken: »Nun, stellen Sie besser sicher, dass es sich dabei um einen Mann und eine Frau handelt« (Gady).
Ostflanke der NATO
Bei der Wahl zum »Wort des Jahres 2024« belegte »kriegstüchtig« den dritten Platz. Die Gesellschaft für deutsche Sprache schreibt dazu: »In der anschließenden öffentlichen Debatte wurden Panikmache und die Gefahr einer Militarisierung befürchtet. Argumentiert wurde jedoch auch, dass eine realistische Einschätzung von Bedrohungen und entsprechende Vorbereitungen notwendig seien, um Frieden zu sichern.« Verfolgt man die aktuelle Debatte um die Rolle von Wehrhaftigkeit und Gesellschaft, dann ist nicht von »Gefahr«, sondern von der »Notwendigkeit« der Militarisierung die Rede. Die Komplementarität von militärischer und ziviler Wehrhaftigkeit rückt immer stärker in den Fokus der aktuellen Maßnahmen. In den »Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung« mit Schwerpunkt auf innere Sicherheit und Heimatschutz wird stark auf funktionierende zivil-militärische Zusammenarbeit abgehoben. Im Operationsplan soll sichergestellt werden, dass Deutschland seine Funktion als »Drehscheibe«, das heißt als Logistikknotenpunkt sowie Kerngebiet für Aufmarsch und Verlegung von Truppen an die NATO-Ostflanke, im Bündnisfall effektiv erfüllen kann. In den Szenarien zur hybriden Kriegführung müssen zivile und militärische Organisationen eng zusammenarbeiten. Dies alles erfordere eine Gesellschaft, die bereit ist, für »Deutschland zu kämpfen«, und die Aufgabe von Politik und Öffentlichkeit liege darin, mit »schonungsloser Offenheit« darüber zu sprechen, was das Volk in der Zukunft erwarte. Zwar lassen die aktuellen Ergebnisse der empirischen Umfrageforschung noch nicht erkennen, dass die Deutschen bereit sind, euphorisch in den Krieg zu ziehen¹¹, doch es besteht Hoffnung: »Die Bevölkerung ist bereit zu kämpfen und persönliche Einschränkungen hinzunehmen, wenn man ihr erklärt, wozu das nötig ist«, so der Militärhistoriker Sönke Neitzel (zit. in: Marco Seliger, Die politische Meinung 24-I).
Butter oder Kanonen, ist offenbar keine Wahl, die getroffen werden kann.
Anmerkungen
1 In Finnland gilt ein »pragmatischer Pessimismus« als Weg zum Glück und treibende Kraft zur Steigerung des Landesverteidigungswillens. »Gleichzeitig ist die hohe Zufriedenheitsquote wichtig für die Kriegstüchtigkeit der finnischen Gesellschaft.« Von dieser »Konsenskultur« könnten andere Gesellschaften nur lernen (Minna Alander, Ethik und Militär 2/2024).
2 Joachim Gauck, Internationale Politik Special 3/2023; Olaf Scholz, Foreign Affairs 102(1)
3 So wird auch beim Einsatz gegen die »Huthi-Rebellen« Friedenssicherung betrieben. Dabei kommt man allerdings nicht darum herum, erst einmal Krieg führen zu müssen: Marineinspekteur Jan Christian Kaack sagte mit Blick auf den bevorstehenden Einsatz gegen die Huthi-Rebellen im Roten Meer, die Fregatte »Hessen« werde »im sogenannten Kriegsmarsch« fahren, sei also in ständiger Alarmbereitschaft. Es stehe voraussichtlich ein »scharfer Waffengang« an.
4 Verfechter der Abschreckungslehre sind sich des Tatbestands ihres voraussehbaren Scheiterns bewusst und folgen der Logik des Militärstrategen Clausewitz, der die Notwendigkeit der Kriegsvorbereitung hervorhebt: »Der Krieg ist mehr für den Verteidiger als für den Eroberer da, denn der Einbruch hat erst die Verteidigung herbeigeführt und mit ihr erst den Krieg. Der Eroberer ist immer friedliebend (wie Bonaparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren Staat ein; damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen und also auch vorbereiten, d. h. mit anderen Worten: Es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung Unterworfenen, immer gerüstet sein und nicht überfallen werden; so will es die Kriegskunst.«
5 Laut General André Bodemann gehe es um die Frage, »wie unterstützen wir als Gastland – als Host-Nation – die alliierten Kräfte, wenn sie durch Deutschland marschieren und wenn sie dort Rast machen, wenn sie dort im sogenannten Staging verbleiben, auf Übungsplätzen, um ihre Einsatzbereitschaft herzustellen, Truppen zusammenzuführen. Dann müssen sie versorgt werden mit Frischwasser, mit Betriebsstoff, mit Verpflegung, mit sanitätsdienstlicher Versorgung«. Im Operationsplan finden daher nicht nur militärische, sondern insbesondere auch zivile Akteure Beachtung, die für die Infrastruktur von Bedeutung sind. Von Stadtwerken bis zur Bahn, vom Flughafenbetreiber bis zu Krankenhäusern.
6 Da man von einem langen Abnutzungskrieg mit Russland ausgeht, wird eine große Personalreserve für die Bundeswehr als notwendig erachtet. Unabhängig von der Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht mahnen Militärexperten ein sogenanntes Ersatzheer in der Stärke von 200.000 bis 300.000 zusätzlichen Soldaten an, »das im Ernstfall gefallene, verwundete oder in Gefangenschaft geratene Soldaten in den Divisionen an der Front und in der Etappe ersetzen kann« (Gady).
7 Oberstleutnant Plischke fordert von den Unternehmen einen konkreten Plan darüber, was von welchen Beschäftigten in Krisenfällen erwartet werde. Zum Selbstschutz sei es wichtig, dass die gesamte Belegschaft ein Gefühl für Sicherheitsfragen bekomme. »Bilden Sie auf hundert Mitarbeiter mindestens fünf zusätzliche Lkw-Fahrer aus, die Sie nicht benötigen«, lautet sein Vorschlag. Der Hintergrund: »70 Prozent aller Lastwagen auf Deutschlands Straßen werden von Osteuropäern bewegt. Wenn dort Krieg ist, wo werden dann diese Leute sein?« (Newsletter des Walhalla-Verlags, 2024)
8 Im Falle von Israels Angriffs auf Syrien verhält es sich deshalb genau andersherum: Der Krieg sei zwar »völkerrechtswidrig«, diene aber Israels »Sicherheit« und sei daher legitim (Masala, WAZ, 31.12.2024).
9 Der Hinweis auf die verlorenen und verlogenen Jahre der Bonner und Berliner Republik ist dabei nur ein Baustein einer sich ausdehnenden Kriegsbegeisterung, die im Krieg die Regeneration einer als dekadent wahrgenommenen Gesellschaft abfeiert. Das Auftreten einschlägiger Militärexperten, liberaler Modernisten, Hasser lumpiger Pazifisten und haubitzenaffiner Kriegsberichterstatterinnen ist nicht nur von der Verachtung naiver Friedensfreunde geprägt, sondern erinnert an den deutschen Philosophen und Nobelpreisträger Rudolf Eucken: »Der einzelne gewinnt im Krieg einen hohen Adel seiner Seele, die eine unsagbare Größe und Weihe verleiht.« Ernst Jünger wusste ein Lied davon zu singen.
10 Vgl. hierzu die unter der Regierung Biden betriebene Politik, Abschreckung und Rüstungskontrolle als zwei Seiten einer Medaille anzusehen: »Unter US-Präsident Biden gilt nun, dass der Ausbau der eigenen Abschreckungsfähigkeit es den USA erlaubt, nukleare Rüstungskontrolle aus einer Position der Stärke heraus zu betreiben. Die US-Regierung versteht Rüstungskontrolle ausdrücklich nicht als Mittel zur Überwindung der nuklearen Abschreckung, sondern zur Begrenzung der Fähigkeiten ihrer Rivalen Russland und China, damit die USA im geopolitischen Ringen der Großmächte im Idealfall ihre einseitigen militärischen Stärken besser ausspielen können« (Liviu Horovitz/Jonas Schneider: Offizielle US-Strategie zur nuklearen Rüstungskontrolle, 2023).
11 Vgl. Andrea Ellner, Ethik und Militär 2/2024
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbrief von Patrick Büttner aus Leipzig (30. Januar 2025 um 13:51 Uhr)Den Krieg nach innen hat die herrschende Klasse längst vorbereitet. Seit 2012 bildet die Bundeswehr Freikorps. Diese sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) sind laut Bundesregierung mit G36, P8, MG3 und Großgerät ausgestattet. Freilich ist deren Einsatz an deren Grundgesetz gebunden. Wes Geistes Kind Rheinmetall und sächsisches SEK sind, durften wir ja schon 2017 bewundern, als der sächsische SEK-Panzer mit NS-Ästhetik präsentiert wurde. Inzwischen staunt kein Laie mehr und kein Fachmann wundert sich noch. https://dserver.bundestag.de/btd/17/133/1713384.pdf https://www.spiegel.de/panorama/polizei-sachsen-die-debatte-um-den-panzer-survivor-r-a-1183888.html
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (30. Januar 2025 um 09:20 Uhr)Die Militärexperten sind sich offensichtlich sehr einig, wie es wird, wenn der große Krieg im Gange ist. Sie sind sich nur noch nicht ganz einig, was wirklich übrig bleibt. Man kann ihnen da eine absolute Gewissheit vermitteln: Wenn der angedachte Krieg aus ist, ist es mit uns allen aus. Die Bunker wird es noch geben und die zum Überleben gehorteten Vorräte auch, während neben ihnen in großer Stille Sieger und Besiegte gemeinsam zu atomar verseuchtem Staub zerfallen. Gemeinsam sterben – wie exakt das doch schon ausgedacht ist. Könnten diese Experten nicht auch einmal so konzentriert darüber nachdenken, wie es wäre, gemeinsam zu leben?
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