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Aus: Ausgabe vom 31.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Geopolitik

Eiszeit dank Tauwetter

Klimawandel macht Grönland interessant. Trump will Insel annektieren. EU erwägt Stationierung von Truppen
Von Jörg Kronauer
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Die USA müssen Grönland nicht erobern, sie sind längst da: US-Militärbasis Pituffik Space Base an der Nordwestküste der Insel

Steht die Entsendung von EU-Truppen nach Grönland bevor? Über die Frage wird diskutiert, seit der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, der österreichische General Robert Brieger, sie am vergangenen Wochenende aufgeworfen hat. Debattiert wurde über die Frage, wie am besten auf die Forderung von Donald Trump zu reagieren sei, Grönland den Vereinigten Staaten einzuverleiben. Um dies zu realisieren, schließt der US-Präsident bekanntlich sogar den Einsatz militärischer Gewalt nicht aus. Was tun? Es sei »durchaus sinnvoll«, urteilte Brieger, »eine Stationierung von EU-Soldaten« auf Grönland »in Erwägung zu ziehen«: »Das wäre ein starkes Signal.« Den Faden aufgenommen hat am Dienstag Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot. Die Arktis sei zu einem »neuen Konfliktfeld« geworden, sei von »auswärtiger Einmischung« bedroht, warnte Barrot am Dienstag nach einem Kurzbesuch der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen; »wenn unsere Interessen auf dem Spiel stehen«, dann werde man über eine Entsendung von Truppen nachdenken. Noch aber, wiegelte Barrot ab, sei es nicht so weit.

Eisfreie Routen

EU-Truppen in Grönland – der Gedanke mag aus den verschiedensten Gründen befremden und er mag durch Trumps recht unerwartete Absicht ausgelöst worden sein, die Insel zu annektieren. Er hat allerdings auch einen tieferen Hintergrund, der sich aus Grönlands geostrategischer Lage ergibt und aus der Tatsache, dass der Klimawandel die Eiskappe am Nordpol abschmelzen lässt. Letzteres könnte noch erheblich schneller geschehen als ohnehin befürchtet. Im vergangenen Jahr kamen Wissenschaftler zu dem Resultat, der erste eisfreie Tag könne dem Arktischen Ozean schon vor 2030 bevorstehen. Zu den zahlreichen Folgen, die die Eisschmelze hat, gehört, dass im Polarmeer Seewege frei werden. Da wäre zum einen die Nordostpassage aus dem Pazifik durch die Beringstraße und dann nördlich an Russland vorbei bis in den Atlantik. Diese Route wird schon heute zeitweise von Handelsschiffen genutzt und in China als »polare Seidenstraße« etikettiert. Zum anderen wäre da noch die Nordwestpassage durch die Beringstraße, dann nördlich an Alaska und Kanada vorbei und schließlich gleichfalls in den Atlantik.

Sowohl die Nordost- als auch die Nordwestpassage führen an Grönland vorbei, erstere im Osten, die zweite im Westen. Wer beide Routen kontrollieren will, kann erwägen, dies von Grönland aus zu tun; der Klimawandel verleiht der Insel neue geostrategische Bedeutung. Dabei ist sie schon heute geostrategisch wichtig. Will Russland im Fall eines Krieges Schiffe in den Atlantik verlegen, dann wird es – in der Ostsee und bei Gibraltar wird kein Durchkommen sein – wohl die Schiffe seiner Nordflotte nutzen müssen, zu der auch nuklear bewaffnete U-Boote gehören. Die Schiffe müssten dann von der Halbinsel Kola durch die Barentssee und das Europäische Nordmeer in den Nordatlantik einfahren, zwischen Grönland, Island und Großbritannien hindurch. Diese Stelle heißt im Sprachgebrauch der Geostrategen GIUK Gap (GIUK-Lücke), wobei das Kürzel für Greenland, Iceland und United Kingdom steht. Die NATO setzt alles daran, die GIUK-Lücke zu kontrollieren, um Russland im Kriegsfall aus dem Atlantik herauszuhalten. An Manövern, in denen das geprobt wird – zum Teil nicht weit von Grönland –, nimmt immer wieder auch die Bundeswehr teil.

Militarisierte Arktis

Es kommt hinzu, dass die Militarisierung der Arktis ganz allgemein längst begonnen hat. Russland etwa hat ein knappes Dutzend Militärstützpunkte in seinen nördlichen arktischen Regionen errichtet. Sie haben vor allem defensiven Charakter: In der russischen Arktis, auf der Halbinsel Kola, ist nicht nur die Nordflotte angesiedelt, dort lagern auch bedeutende Erdöl- und vor allem Erdgasvorkommen. All dies muss im Kriegsfall geschützt werden. Die Vereinigten Staaten unterhalten ihrerseits neun Militärbasen in Alaska, und sie nutzen die frühere Thule Air Base an der Nordwestküste Grönlands, die heute Pituffik Space Base heißt. Genutzt wurde die Basis schon zu Zeiten des Kalten Kriegs. Seitdem ist sie mit Radar- und Frühwarnsystemen ausgestattet. Der Grund: Die kürzeste Flugstrecke von Raketen, die etwa im Norden Russlands gestartet werden, bis zu potentiellen Zielen in den USA verläuft aufgrund der Erdkrümmung über Grönland. Für die Vereinigten Staaten sind deshalb Warnsysteme auf der Insel überaus nützlich.

Mit der Pituffik Space Base existiert ein solches System längst. Sie wurde Anfang der 1950er Jahre errichtet und ist abgesichert unter anderem durch ein Verteidigungsabkommen, das die Vereinigten Staaten und Dänemark 1951 geschlossen haben. Weshalb will Trump dann aber die Insel annektieren? Einen wirklich nachvollziehbaren Grund dafür gebe es nicht, urteilte kürzlich Peter Viggo Jakobsen, Professor an der Königlich Dänischen Verteidigungshochschule, im Gespräch mit der FAZ: »Bisher haben die USA in Grönland militärisch weitgehend bekommen, was sie wollten, indem sie nett gefragt haben.« Was nun aber auch immer Trump zu der Annexionsdrohung getrieben hat: Sollte die EU tatsächlich Truppen in Grönland stationieren, träte sie als eigenständiger militärischer Faktor in die stärker werdende, längst auch Truppenstationierungen und Manöver umfassende Mächterivalität in der Arktis ein.

Hintergrund: Fake-Show

Natürlich war der Eindruck falsch, den Donald Trump Jr. am 7. Januar erweckte, als er in Grönland einflog, um die Propaganda für die Einverleibung der Insel in die Vereinigten Staaten zu befeuern. Was sah man da? Grönländer, die MAGA-Kappen trugen und sich begeistert um den Sohn des US-Präsidenten scharten. Schon recht bald stellte sich indes heraus: Trump Junior hatte Obdachlosen in der Hauptstadt Nuuk eine kostenlose Mahlzeit versprochen – unter der Bedingung, dass sie mit den erwähnten Kappen für Fotos posierten und damit der Welt suggerierten, Trumps Annexionsgelüste stießen in Grönland auf Beifall. Die missbrauchten Obdachlosen wollten freilich keine Untertanen werden, sie hatten einfach Hunger.

Nicht haltbar war auch die Umfrage, mit der einige transatlantische Medien Mitte Januar hausieren gingen. Da hieß es, von 416 befragten Grönländern hätten 57,3 Prozent erklärt, sie fänden es gut, wenn ihre Insel von den Vereinigten Staaten geschluckt würde. Nur 37,4 Prozent hätten sich dagegen ausgesprochen. Nun hätte schon der Name der Umfragefirma – Patriot Polling – stutzig machen können. Der Laden, von zwei Oberstufenschülern gegründet, steht den Republikanern sehr nahe. Wie Patriot Polling die befragten Personen ausgewählt hatte, war ebenso unbekannt wie die genaue Formulierung der Fragen. Aber egal – erneut machte der Eindruck die Runde, die Mehrheit der Inselbewohner jubele Trump begeistert zu.

Ende Januar wurde dann eine seriöse Umfrage aus London bekannt. Das Ergebnis: 85 Prozent waren dagegen, in die USA eingegliedert zu werden, nur sechs Prozent dafür. Auf die Frage, ob sie die dänische oder die US-amerikanische Staatsbürgerschaft wählen würden, gaben 55 Prozent die dänische an, nur acht Prozent die US-amerikanische. Ein Einwohner eines »Puerto Rico mit Schnee« zu werden, wie es einst ein Dozent der Kopenhagener Universität formuliert hatte, das fand dann doch kaum ein Grönländer gut. (jk)

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