Sie waren gewarnt
Von Ken MertenEs fiel nicht einfach so vom Himmel, dass die Portugiesen zum ersten Mal im Halbfinale einer Herrenhandballweltmeisterschaft stehen. Trotzdem war das Team von Trainer Paulo Pereira in der Runde der letzten Acht – schon das der bis dato größte Erfolg im portugiesischen Handball – Außenseiter gegen die Deutschen. Die aber waren gewarnt: Portugal war als Gruppenerster aus der Hauptrunde gekommen, hatte mit sechs Spielern vom FC Porto und sieben von Champions-League-Teilnehmer und Meister Sporting Lissabon zwei eingespielte Vereinsblöcke und mit Luís Frade (26) den Stammkreisläufer vom FC Barcelona im Kader. Und nicht zuletzt findet sich in deren Rückraum das höchstgehandelte Brüderpaar im Welthandball: Martim (22) und Francisco Costa (19). Sporting soll Unsummen als Ablöse veranschlagt haben; und es soll sie nur in der Familiengroßpackung geben: Wer die Costa-Brüder will, kriegt sie nur beide und muss auch Platz auf dem Trainerstuhl für Vater Ricardo machen, der sie in Lissabon trainiert.
Ob die DHB-Auswahl sich dadurch hat einschüchtern lassen, ist Spekulation. Jedenfalls brauchte sie sechs Minuten in einer nicht ganz vollen Osloer Halle, ehe der Hannoveraner Renārs Uščins (22) das erste Tor für die Deutschen warf. Es blieb das einzige in den ersten zehn Minuten. Dafür, dass Portugal in diesen nur fünfmal traf, durften sich Nationalcoach Alfreð Gíslason und seine Feldspieler bei Torwart Andreas Wolff (33, Kiel) bedanken, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Paraden vorzuweisen hatte. Gíslason beklagte nach der Partie gegenüber dem »Sportschau«-Podcast »Handball auf die 1«, dass seine Offensive im ersten Durchgang viel zu statisch agiert hätte. ARD-Experte und Weltmeister von 2007 Johannes Bitter wies schon während des Spiels auf das portugiesische Wechselkarussell hin, um Angriff und Abwehr mit dem jeweils vorgesehenen Personal zu besetzen. Die Deutschen konnten daraus kein Kapital schlagen, haderten selber damit, dass Uščins aufgrund des langen Wechselwegs in der ersten Hälfte nicht immer rechtzeitig für sein Defensivpendant Christoph Steinert (35, Erlangen) von der Platte kam und man das mit einer Umstellung auf eine Fünf-zu-eins-Abwehr zu kompensieren suchte.
Half alles nichts: Mit 9:13 ging es in die Pause. An der Hypothek knabberte sich das DHB-Team im zweiten Durchgang jedoch erfolgreich nach vorn: 26:26 stand es nach 60 Minuten. Zuträglich war sicherlich die rote Karte für Frade in der 34. Minute, der Uščins bei einem resoluten Stoppfoul unabsichtlich im Gesicht traf; eine harte Schiedsrichterentscheidung, die Frade zum Zugucken verdammte. In der 47. Minute waren die Deutschen sogar das erste Mal in Führung gegangen: Kiels Rechtsaußen Lukas Zerbe (29) traf aus sieben Metern. Mit Strafwürfen hatten die Deutschen noch bis in die Hauptrunde hinein zu hadern: Zerbe verwandelte sieben von sieben am Mittwoch abend und traf aus dem Spiel heraus weitere zwei Mal.
In der Verlängerung aber zeigten sich die großen Mankos des DHB-Teams: Im Angriff wagte man einerseits keine temporeichen Gegenstöße, um eine noch unsortierte Gegnerabwehr zu überrennen; und im Positionsspiel wiederum wurden Abschlüsse zu überhastet gesucht, es gab kaum Durchbrüche an den Kreis. Unglücklich agierte auch Uščins, einer der Garanten bei den Olympischen Spielen und der Europameisterschaft im vergangenen Jahr. Gíslason nahm ihn gegenüber dem »Sportschau«-Podcast in Schutz: Nicht nur habe Uščins für sein Alter viel Verantwortung zu tragen, er sei auch müde gewesen. Franz Semper (27, Leipzig), der ihn im Angriff hätte ersetzen können, musste vor Ende der Hauptrunde verletzt abreisen.
Bezeichnend auch der Siegtreffer der Portugiesen: Kreisläufer und Kapitän Johannes Golla (27, Flensburg) kriegte Martim Costa Sekunden vor Schluss nicht zu greifen. Costa traf aus relativ großer Distanz zum 31:30. Keeper Wolff brachte die durchwachsene Abwehrleistung seiner Kollegen an den Rand der Verzweiflung: Mit 21 Paraden und 42 Prozent gehaltenen Bällen bekam er als »Man of the Match« die goldene Ananas überreicht.
Portugal trifft am Freitag auf die großen Favoriten Dänemark, die am Mittwoch die Brasilianer verhackstückten (33:21; 15:12). Knapp war es am Dienstag: Bei den Siegen der kroatischen Kogastgeber gegen Ungarn (31:30; 16:16) und der Franzosen gegen Ägypten (34:33; 18:14) fielen die beiden entscheidenden Treffer buchstäblich in letzter Sekunde. Frankreich und Kroatien spielen am Donnerstag abend nach Redaktionsschluss gegeneinander. Das Finale findet am Sonntag in Oslo statt.
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