Vernichtung durch Arbeit
Von Ulrich Schneider
Im Februar erscheint in der Reihe »Basiswissen Politik/Geschichte/Ökonomie« des Papyrossa-Verlags Ulrich Schneiders Monographie »Buchenwald – Ein Konzentrationslager«. jW druckt mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag einen Auszug.
Am 19. April 1945 leisteten die Überlebenden des KZ Buchenwald auf dem Appellplatz ihren bis heute überdauernden »Schwur«: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.« Vorausgegangen war ein Überlebenskampf unter den Bedingungen der »Vernichtung durch Arbeit« in einem auf den Krieg ausgerichteten KZ, dessen konkrete Bauplanungen im Frühsommer 1937 auf dem Ettersberg bei Weimar Gestalt annahmen, vorausgegangen war auch der Widerstand der Insassen.
Im Rahmen der Umstrukturierung des faschistischen Lagersystems, das heißt, der Auflösung kleinerer Lager, zum Beispiel des KZ Lichtenburg, und der Schaffung größerer Konzentrationslager, die für eine dauerhafte Unterbringung von Gefangenen angelegt sein sollten, wurden ab 1936 die Lager Sachsenhausen (1936), Buchenwald (Juli 1937), Flossenbürg (Mai 1938), Mauthausen (August 1938) und, als Frauenkonzentrationslager, Ravensbrück (Mai 1939) geschaffen. Zusammen mit Neuengamme und Dachau, das ohne Unterbrechung seit 1933 in Betrieb stand, bildeten sie das System der Lager in der Phase der Kriegsvorbereitung.
Die Hauptfunktion dieser Lager war die Möglichkeit der längerfristigen Ausschaltung von politischen Gegnern, Anhängern der Arbeiterparteien und Gewerkschaften, linken Intellektuellen und christlichen Gegnern des Naziregimes in Vorbereitung auf den geplanten Krieg. Aus der Sicht der Nazis war der Erste Weltkrieg durch die Unruhen an der Heimatfront verloren worden (»Dolchstoßlegende«). Das sollte nicht noch einmal passieren.
Zugleich ging es um eine Normierung der faschistischen »Volksgemeinschaft«. Dazu wurden »volksschädliche Elemente«, wie es in der Nazidiktion hieß, interniert, um sie aus der »Volksgemeinschaft« auszuschließen. Neben den politischen Gegnern gehörten zu den »Volksfeinden« auch sogenannte »Arbeitsscheue«, Menschen, die sich nicht in das System der militarisierten Arbeit zwängen ließen. Fahrende, aber auch sesshaft gewordene Sinti und Roma wurden ebenfalls darunter gefasst. Und auch »befristete Vorbeugehäftlinge« (BVer), im Nazijargon »Berufsverbrecher«, gehörten zu dieser Gruppe. Dabei konnte es sich um Schwerkriminelle handeln, oftmals waren es aber Menschen, die bloß mehrfach mit der Justiz in Konflikt geraten waren, etwa wegen Eigentumsdelikten oder Verstößen gegen Vorgaben des NS-Regimes. Selbst Menschen, die sich aus religiösen Gründen der Einordnung in das Regime und seiner Kriegsvorbereitung verweigerten wie die »Bibelforscher« galten als »Volksfeinde«.
Im Herzen Deutschlands
Für all diese Menschen wurden nun Haftstätten geschaffen, die eine langfristige Ausschaltung ermöglichen sollten. Diese zentralen Lager waren damit eine präventive Maßnahme gegen jegliche innenpolitische Unruhe auf dem Wege zum geplanten Krieg. Während auf der einen Seite mit dem »Vierjahresplan« die deutsche Wirtschaft kriegs- und die Reichswehr angriffsfähig gemacht werden sollten, war das System der zentralen Konzentrationslager der Schritt, auf innenpolitischer Ebene die Kriegsfähigkeit zu sichern. Dort, wo die Propaganda mit Reichskriegertagen und anderen Inszenierungen nicht wirkte, sollte der politische Terror »Ruhe an der Heimatfront« herstellen.
Die Verteilung der Lager von Nord nach Süd entsprach der geplanten »Zuständigkeit« für die Inhaftierungsorte. Nach Buchenwald, dem Lager »im Herzen Deutschlands«, kamen Häftlinge aus Thüringen, Teilen Sachsens, aus Hessen und dem Ruhrgebiet. Es waren nicht allein funktionale Überlegungen bei der Errichtung dieses KZ auf dem Ettersberg bei Weimar im Spiel. Die Neustrukturierung des Lagersystems traf auf das Geltungsbedürfnis des NSDAP-Gauleiters und Reichsstatthalters Fritz Sauckel, der seinen Sitz in Weimar hatte. Schon im Mai 1936 hatte er sich in Berlin dafür eingesetzt, dass in seinem Gau als Zeichen seiner Macht und seiner Rolle in der NS-Hierarchie ein eigenes Lager errichtet werden solle. Die damit verbundene Stationierung einer größeren Einheit der SS und Waffen-SS sollte die politische Bedeutung Sauckels zusätzlich demonstrieren.
Die Suche nach einem geeigneten Gelände zog sich einige Monate hin, bevor ein zusammenhängendes Waldgebiet auf dem Nordhang des Ettersbergs für die Errichtung des Lagers gefunden wurde. Im Frühsommer 1937 begannen die konkreten Bauplanungen. Und wie bei Baumaßnahmen üblich, gingen die Pläne für das KZ über die Schreibtische des Wasserwirtschaftsamtes, des Bauamtes, der Elektrizitätswerke, des Landrates und weiterer städtischer Gremien und Kreisgremien. Alle diese Behörden waren an der Planung, an der Genehmigung und der baulichen Umsetzung beteiligt, und sie taten ihr Bestes, einen möglichst zügigen Baubeginn zu realisieren. Offensichtlich aber hatte man sich nur unzureichend mit den Bedingungen des Berges vertraut gemacht, so dass manche Pläne (z. B. die Lage der Baracken) wegen der örtlichen Gegebenheiten verändert werden mussten. Augenfällig wurde das in Zusammenhang mit der Goethe-Eiche im Lagerkomplex. Beim Einmessen und Roden des Lagergeländes wurde offenbar, dass ein Baum, der im Selbstverständnis der Weimarer Bevölkerung als Goethe-Eiche galt, sich mitten im Lager befinden würde. Daraufhin wurden zum Erhalt des Baumes – zur »Pflege der Zeugnisse der Deutschen Klassik« – die Pläne für ein an der Stelle geplantes Wirtschaftsgebäude verändert.
Mit Rücksicht auf Goethe
Überhaupt ließ man in Weimar auf die Bewahrung des kulturellen Erbes der Goethezeit nichts kommen. Als in der Stadtgesellschaft bekanntwurde, dass das neue KZ den Namen »K. L. Ettersberg« tragen sollte, regte sich Widerspruch – nicht gegen das Lager selber, sondern gegen seinen Namen. Am 24. Juli 1937 musste Theodor Eicke, Inspekteur der Konzentrationslager, an Heinrich Himmler vermelden, dass die angeordnete Bezeichnung nicht verwendet werden könne, »da die N.S.-Kulturgemeinde in Weimar hiergegen Einspruch erhebt, weil Ettersberg mit dem Leben des Dichters Goethe im Zusammenhang steht. Auch Gauleiter Sauckel hat mich gebeten, dem Lager eine andere Benennung zu geben.« Bereits vier Tage später konnte Lagerkommandant Koch den neuen Namen offiziell verkünden: »K. L. Buchenwald, Post Weimar«. Dieser letzte Zusatz war nicht nur eine geographische Erläuterung, sondern besonders wichtig für alle SS-Angehörigen, die in diesem Lager Dienst taten. Für sie ergab sich daraus, dass ihr Wohngeldzuschuss nach dem höheren Satz der Stadt Weimar und nicht nach dem niedrigen Satz des Dorfes Hottelstedt berechnet wurde.
Nun hatten jedoch Weimarer Druckereien bereits Brief und Geschäftspapiere sowie Häftlingskarteikarten mit dem Namen »K. L. Ettersberg« angefertigt. So kam es, dass die SS die Registrierung österreichischer Juden, die im Frühsommer 1938 nach Buchenwald verschleppt wurden, noch auf Karteiblättern des K. L. Ettersberg vornahm.
Stacheldraht und Steinbruch
Das Häftlingslager erstreckte sich am Nordhang des Ettersbergs auf einem Gelände mit etwa 40 Hektar. Für das Verständnis der Geschichte ist es wichtig zu wissen, dass das Lager in der Form, wie es auf den großen Bildtafeln in der Gedenkstätte zu sehen ist, nie bestanden hat. Es wurde in den Jahren seiner Existenz immer wieder erweitert, teilweise wurden Einrichtungen aufgelöst oder mit anderen Funktionen verbunden.
Die sichtbarsten Erweiterungen ergaben sich mit dem Bau der Gustloff-Werke auf dem Ettersberg, der Buchenwald-Bahn und der Errichtung des »Kleinen Lagers«. Ursprünglich gab es 35 Baracken aus Holz, 15 zweistöckige Steinblocks, die Anlage des Häftlingskrankenbaus, die Küche, die Wäscherei, die Kantine, das Kammergebäude, Werkstätten der Lagerhandwerker, eine Desinfektion, eine Gärtnerei, verschiedene andere Einrichtungen und dazu ab 1940 ein eigenes Krematorium. Das Ganze war umgeben von einem meterhohen Stacheldraht- und Elektrozaun, jeweils unterbrochen von 23 Wachtürmen. Der Wachturm Nr. 1 thronte auf dem Haupteingang. Vom Lager aus gesehen befanden sich neben dem Eingang rechts der Bunkerbau, das »Gefängnis im KZ«, mit 26 Arrestzellen, links die Blockführerstuben der SS. Vom Haupteingang leicht abfallend erstreckte sich der große Appellplatz, auf dem die Häftlinge zweimal am Tag, morgens und abends, antreten mussten. An das untere Ende des Platzes schlossen sich die Häftlingsbaracken an, die ersten sechs Reihen mit ebenerdigen Holzbaracken, dann drei Reihen mit den zweistöckigen Steinbauten. Östlich davon erhoben sich Wirtschaftsgebäude, Magazine und Lagerwerkstätten der Deutschen Ausrüstungswerke (DAW, ein SS-Unternehmen). Unterhalb der Barackenreihen, in einem gewissen Abstand, befand sich das Revier, der Häftlingskrankenbau, bis Ende 1939 aus zwei Holzbaracken bestehend. Hinter der untersten Reihe des Steinblocks erstreckte sich quer durch das ganze Lager vom Revier im Westen bis zur Gärtnerei und der Kläranlage im Osten in späteren Jahren das Kleine Lager, für die Masse der Häftlinge wohl die furchtbarste Einrichtung.
Außerhalb des Zauns war die SS stationiert. In südlicher Richtung befanden sich die Kommandanturgebäude, die Adjutantur, die Politische Abteilung (Gestapo), das Führerkasino sowie die Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude, Garagen und Kasernen des Kommandantur-Stabes. Weiter in südlicher Richtung lagen, im Laufe der Jahre immer größer werdend, die Gebäude der hier in Garnison liegenden Einheiten der SS. Es handelte sich um Kasernen, Garagen, Reparaturwerkstätten, Waffenmeisterei, Schießstände, SS-Revier, Fernheizwerk, Kantine, Wirtschaftsgebäude, Pferdestall, Hundezwinger und Reithalle.
Bei Buchenwald bleibt stets das Gesamtgebiet zu bedenken, das ausschließlich der SS unterstellt war, jedoch aus mehreren unterschiedlichen Teilen bestand. Innerhalb des Stacheldrahts mit seinen Wachtürmen befand sich das eigentliche Häftlingslager, außerhalb der SS-Bereich mit Kasernen etc. Von Bedeutung für den Alltag der Häftlinge waren die im Umkreis gelegenen Arbeitsstätten der Häftlinge, wie der Steinbruch, die Deutschen Ausrüstungswerke, die Fabriken und das verbliebene Waldgelände. Das insgesamt riesige Gebiet wurde jeden Morgen durch eine schwerbewaffnete Postenkette der SS gesichert, die erst wieder abrückte, wenn beim Abendappell festgestellt wurde, dass kein Gefangener fehlte. Schon ein Schritt durch die Postenkette galt als »Flucht«: Der Gefangene wurde sofort erschossen, der Schütze wurde mit Tabak und Sonderurlaub belohnt.
Für alle Bereiche verfügte die SS über ein klar strukturiertes Befehls- und Hierarchiesystem. An der Spitze des Gesamtkomplexes KZ Buchenwald stand der SS-Kommandant, ihm zur Seite die Adjutantur. Vorgesetzte für das Häftlingslager waren die Schutzhaftlagerführer, anfangs zwei, später immer drei. Die Verbindung zwischen Lagerführung und Häftlingslager, d. h. den SS-Blockführern, stellte der jeweilige Rapportführer dar.
Zum SS-Apparat gehörten noch die Verwaltungs-, die Arbeitsdienst- und die Arbeitseinsatzführer. Unabhängig von der Lagerführung, aber zur Kommandantur gehörig, war die Politische Abteilung, die auf ihre Weise neben der SS-Kommandantur über Leben und Tod der Häftlinge entschied. Beim »Truppenbereich« handelte es sich anfangs um die 3. SS-Totenkopfstandarte »Thüringen«. Später, vor allem nach Kriegsbeginn, befanden sich dort Ausbildungseinheiten der Waffen-SS, die vor ihrem Fronteinsatz »durch die Schule des KZ« gehen sollten.
Grausamer Aufbau
Am 15. Juli 1937 traf auf dem circa neun Kilometer von Weimar entfernten Ettersberg, der damals noch unberührtes Waldgelände war, das erste Vorkommando ein. Es bestand aus 149 Häftlingen, unter ihnen 52 politische aus dem KZ Sachsenhausen. Am 20. und 27. Juli folgten Häftlinge aus dem KZ Sachsenburg, das aufgelöst wurde. Am 31. Juli und im August trafen Transporte aus dem KZ Lichtenburg ein. Am 19. August folgte die letzte Gruppe der verbliebenen Häftlinge aus dem KZ Sachsenburg.
Die Gesamtzahl der 1937 eingelieferten Häftlinge betrug 2.912 Mann, von denen am 1. Januar 1938 bereits 49 ums Leben gekommen waren. In ihren eindrucksvollen Erinnerungsberichten schildern die Überlebenden den Aufbau von 1937 bis 1939 als Zeit besonderer Grausamkeiten. In täglich 14- bis 16stündiger schwerster körperlicher Arbeit, unter ständiger Lebensgefahr durch knüppelschwingende, tretende und schießende SS-Leute, entstanden aus einem frei gewachsenen Wald in kaum zwei Jahren das Lager selbst und die dazugehörigen SS-Unterkünfte, Verwaltungsgebäude und Villen für die höheren SS-Offiziere.
Trotz der Eile und der endlosen Arbeitszeit wurden dabei kaum technische Hilfsmittel verwendet. Mit der Picke wurden die Steine gebrochen und auf den Schultern in immer wiederholten Märschen, oft im Laufschritt an die Stelle getragen, an der sie benötigt wurden. Eineinhalb Jahre lang musste jeder Häftling nach Arbeitsschluss einen Felsbrocken mit ins Lager tragen. Im Sommer 1937 hatten alle Insassen jeden Sonntag »zur Freizeit« Steine zu schleppen, vom Steinbruch zum Lager, vom Steinbruch zu den Wachtürmen, vom Steinbruch zu den SS-Kasernen. Und wehe, wenn ein Stein den aufsichtführenden SS-Leuten zu klein erschien. Dann setzte es Prügel oder »Sport«, d. h. Exerzieren bis zum Umfallen für den Häftling oder für die ganze Kolonne, bei der er arbeitete.
Zum Ausschachten des Untergrundes für die zahllosen Gebäude, zum Planieren des Geländes zwischen den Gebäuden wurden keine Bagger verwendet. Man musste das Erdreich ohne technische Mittel ausheben und zum großen Teil mit Hilfe von Tragen abtransportieren. Bei diesen Tragen handelt es sich um viereckige, oben offene Holzkästen, an denen zwei Stangen so befestigt waren, dass die Kästen von zwei Häftlingen gefasst werden konnten. Für Strafkolonnen wurden Kästen in besonders großem Format hergestellt. Überlebende berichteten, man habe versucht, sich die schwere Last dadurch zu erleichtern, dass man Stricke oder Drähte an den Stangen befestigte, die über Schultern und Nacken gelegt werden sollten, um die Last mit dem ganzen Körper zu tragen, wenn die Hände die Stange nicht mehr halten konnten und die Arme förmlich aus den Gelenken zu reißen drohten. Aber das wurde unter Androhung strenger Strafen verboten. SS-Leute bis hinauf zum Lagerführer sorgten dafür, dass bei längeren Transportwegen die Tragen unterwegs nicht so oft abgesetzt wurden.
Durch Dreck und Schlamm
Nur an den Baustellen, an denen größere Erdmassen bewegt werden mussten, wurden Kipploren und in seltenen Ausnahmefällen – und immer nur für wenige Wochen – Zugmaschinen für die Loren verwendet. Die Regel war, dass die Loren von den Häftlingen selbst geschoben werden mussten, Berge hinauf durch Dreck und Schlamm, der oben in die Schuhe hineinlief. Bei glühender Hitze im Sommer und eisiger Kälte im Winter, während die Hände an den kalten Eisenteilen anklebten. Eine geologische Besonderheit erschwerte die Arbeiten in diesen Anfangsjahren noch zusätzlich. Auf dem Ettersberg gibt es keinen Sandboden, sondern mit vielen großen Steinen durchsetzten Muschelkalk. Willy Schmidt, der als Häftling des KZ Lichtenburg die Aufbauphase miterlebte, erinnerte sich besonders an den Schlamm. Dieser klebte an den Händen und am Werkzeug. Er verbreitete sich von da über die Hosenbeine und Jacken; beim Tragen der Steine über die Schultern, Mützen, dann über die Schuhe an die Hosenbeine, in die Socken.
Die Sachen mussten nach der Arbeit ausgebürstet werden, falls sie sich bei Regenwetter überhaupt trocknen ließen. Wenn sie am nächsten Morgen an der Arbeitsstelle ankamen, waren die Häftlinge schon wieder bis an die Knie verspritzt und verdreckt. Auch die massenhaft gefällten Bäume wurden nicht abgefahren, sondern mussten auf Schultern weggeschleppt werden. Es gab Kolonnen von 20 bis 40 Mann, die einen riesigen Eichen- oder Buchenstamm mühsam zurücktrugen. Die Brocken aus dem Steinbruch wurden bis zum Jahre 1944 in Loren den steilen Hang hinaufgeschoben. 20 bis 30 Mann zogen unter Aufbietung aller Kraft im Gleichschritt die Lore aus dem Steinbruch in die Höhe.
Zu den Härten der Haft gehörte auch die Länge des Arbeitstages. Die Arbeitszeit reichte im Sommer von fünf Uhr morgens bis acht bzw. neun Uhr abends. Am Bau der Wasserleitung wurde sogar regelmäßig bis zehn oder gar elf Uhr nachts gearbeitet. In besonders dringenden Fällen ging die Arbeit bis zwei und drei Uhr morgens, wie Überlebende bestätigten.
Die Aufnahmeprozedur im KZ Buchenwald war vergleichbar mit denen in anderen Lagern. Das erste, was die SS den Häftlingen nehmen wollte, war ihre Identität. Sie mussten sämtliche persönlichen Gegenstände abgeben, die in der »Effektenkammer« gelagert wurden. Dort wurden die Kleidungsstücke und Taschen durchsucht, um Wertgegenstände, Geldscheine oder andere Dinge zu finden. Anstelle der persönlichen Gegenstände erhielten die Gefangenen Häftlingskleidung. Zuerst waren es ausrangierte Uniformstücke. Später wurde diese Kleidung abgelöst durch die blau-graue oder blau-weiße Kluft, die für viele Nachgeborene das Bild der KZ-Häftlinge prägt. Diese bestand aus einem Zellstoffmaterial, das weder im Winter noch im Sommer den Witterungsverhältnissen auf dem Ettersberg angemessen war. Auf der Häftlingskarteikarte wurde vermerkt, welche Kleidungsstücke ausgehändigt wurden. Ein Hemd, Unterhose, ein Paar Socken, eine Hose, eine Jacke, eine Mütze und ein Paar Schuhe. Der Zustand dieser Dinge war unterschiedlich, ob gebraucht oder neu, ob zu klein oder zu groß, ob feste Schuhe oder Holzschuhe. Festes Schuhwerk zu tragen, war ein Privileg.
Dann wurden die Namen der Häftlinge durch Nummern ersetzt und alle Körperhaare geschoren, angeblich aus Gründen der Hygiene. Dem einzelnen Häftling sollte nichts Persönliches bleiben.
Ulrich Schneider: Buchenwald – Ein Konzentrationslager. Basiswissen Politik/Geschichte/Ökonomie, Köln (Papyrossa) 2025, 130 Seiten
Ulrich Schneider ist Historiker und Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR). Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 9. Juli 2024 über Beate Klarsfeld
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Leserbrief von ogarogar aus Ulan - Ude (5. Februar 2025 um 22:53 Uhr)»Zugleich ging es um eine Normierung der faschistischen ›Volksgemeinschaft‹. Dazu wurden ›volksschädliche Elemente‹, wie es in der Nazidiktion hieß, interniert, um sie aus der ›Volksgemeinschaft‹ auszuschließen.« Vor allem wurden doppelte Standards (!) in der Rechtssprechung eingesetzt. Für die einen Menschen existierte noch eine traditionelle Rechtssprechung. Sie konnten vor Gericht in Berufung gehen usw. Wer jedoch als Volksschädling definiert war, für den galten solche Regelungen nicht, die für alle übrigen Menschen noch eingehalten wurden. Mord stand ja auch im »Dritten Reich« offiziell unter Strafe. Für die Übrigen gab es dann KZ, die Gestapokeller, Nürnberger Rassegesetze oder die Euthanasie. Solche doppelten Standards als normal und alltäglich zu betrachten, daran mussten die Deutschen bereits in Friedenszeiten ab 1933 erst allmählich gewöhnt werden. Das war ein Training für den Krieg, der dann auch die Massenvernichtung der Juden mit sich brachte. Doppelte Standards gab es dann, wie sich die Wehrmacht in Paris aufführte oder in Kiew, wie sie Kriegsgefangene der UdSSR behandelte oder abgeschossene britische und US-Piloten. Soweit sind wir im Augenblick zwar noch nicht. Aber der Bundesbürger ist bereits trainiert anzuerkennen, dass nun einmal doppelte Standards zur Norm werden, was Staaten oder Privatpersonen gestattet oder nicht gestattet ist. Sogar die heilige Kuh des Kapitalismus, das Recht auf Eigentum für Privatpersonen, darf eingeschränkt werden, wenn der Besitzer Russe ist. Er darf sanktioniert werden, auch wenn er kein Verbrechen begangen hat. Damals durfte das Eigentum von Juden, KZ-Insassen allgemein von »Volksschädlingen« geraubt werden, das Eigentum der übrigen Bürger in Deutschland nicht. Und diese ansonsten sehr die Ordnung schätzenden Bürger akzeptierten zu großen Teilen diese doppelten Standards.
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Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger aus Bremen (4. Februar 2025 um 14:07 Uhr)»Kommunisten, ihr mutiger Widerstand.« Bei der Neuverfilmung von »Nackt unter Wölfen« handelte es sich ausschließlich um den Versuch, den kommunistischen Widerstand der Buchenwaldhäftlinge zu relativieren. Der Kommunist und Romanautor Bruno Apitz war von 1934 bis 1937 Häftling im Zuchthaus Waldheim und anschließend bis 1945 im Konzentrationslager Buchenwald. Schauspieler, die Häftlinge in Buchenwald waren, wirkten bei der einzigartigen Romanverfilmung von 1963 in der DDR mit. Im August 1944 landeten Dr. Harry Zweig und sein dreijähriger Sohn Stefan Jerzy Zweig im Viehwaggon auf dem Ettersberg bei Weimar. Jerzy wurde vom illegalen Internationalen Lagerkomitee versteckt und gerettet. Das Internationale Lagerkomitee bestand aus elf Kommunistischen Parteien, es waren ausschließlich Kommunisten und Sozialisten vertreten. Aus Deutschland die KPD-Mitglieder Walter Bartel, Harry Kuhn und Ernst Busse. Willi Bleicher, KPO Mitglied und nach der Befreiung vom Nazifaschismus herausragender IG Metall Führer in Stuttgart, hat sich unter Ausnutzung seiner Funktion als Roter Kapo der Effektenkammer in erster Linie durch die Rettung des dreijährigen Jerzy einen unsterblichen Namen gemacht. Die Kommunistische Partei Deutschlands stand von Anfang an im Zentrum des Buchenwalder Widerstandes. Mehrere tausend Kommunisten wurden in Buchenwald für längere oder kürzere Zeit dort gequält. Um die 700 KPD-Mitglieder gehörten zur Lagerbelegschaft im KZ Buchenwald; diese Zahl blieb ungeachtet aller Todesfälle, Entlassungen und Neueinlieferungen konstant. Abschließend der Sozialdemokrat Benedikt Kautsky, Sohn von Karl Kautzky: »Es handelte sich fast ausschließlich um Kommunisten, die in Buchenwald in vorbildlicher internationaler Solidarität allen Antifaschisten ohne Unterschied der Partei, Nation oder Konfession ihre Hilfe zuteil werden ließen.« (Quelle: »Wer die Hoffnung verliert, hat alles verloren«, Ulrich Peters)
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