Drehbuchreife Talentsuche
Von Sabine Kebir
Ende 1948 wurde im sowjetisch besetzten Teil Wiens der Filmklassiker »Der dritte Mann« gedreht. Er enthält Bezüge zur Realgeschichte eines der wichtigsten Spionageringe des 20. Jahrhunderts. Drehbuchautor Graham Greene traf sich in Wien mit dem Journalisten Peter Smolka, von dem bekannt war, dass er während seiner als Emigrant ausgeführten Tätigkeit im britischen Informationsministerium für die Sowjetunion spioniert hatte. Eine für den Film entscheidende Inspiration übernahm Greene aus Aufzeichnungen, die ihm Smolka leihweise gegen ein Entgelt überließ: Ein wesentlicher Ort der Handlung sind die Wiener Abwasserkanäle, die Smolka als Waffenversteck und Zufluchtsort aus der Zeit der Februarkämpfe 1934 bekannt waren. Seine Notizen enttarnten jedoch nicht einen Mann, den er seit dieser Zeit gut kannte: Kim Philby, ein Brite aus gutem Hause, der 1948 noch wichtige Funktionen im Geheimdienst innehatte und seit 1934 für Moskau spionierte. Er wurde erst 1963 enttarnt und konnte sich rechtzeitig in die Sowjetunion absetzen.
Bücher über die ertragreiche Spionagetätigkeit Philbys und vier seiner ehemaligen Studienfreunde gibt es einige. Dass es die »Cambridge Five« ohne Verbindung zu einem »Wiener Spionagezirkel« so nicht gegeben hätte, ist indes nur wenig bekannt. Diese Verbindung herausgearbeitet zu haben ist das Verdienst des Buchs von Thomas Riegler.
Auf der Suche nach marxistischer Bildung war Philby 1933 eher zufällig nach Wien geraten und verliebte sich in seine junge, bereits geschiedene Vermieterin Alice (»Litzi«) Friedmann, die eine resolute Aktivistin der KPÖ war. Litzi soll 1934 Waffen in die Abwasserkanäle gebracht haben. Um sie nach der Niederschlagung des Aufstands dem Zugriff der Polizei zu entziehen, heirateten sie und flohen per Motorrad nach England. Den Kontakt Philbys zum sowjetischen Geheimdienst hatte Litzis Freundin Edith Suschitzky in Wien hergestellt. Sie war damals mit Arnold Deutsch liiert, über den Riegler schreibt, er sei der »beste Agentenführer aller Zeiten« gewesen. Suschitzky, die später auch einen Engländer heiratete, war die wichtigste »Talentsucherin« des österreichisch-britischen Spionagerings. Als Edith Tudor Hart wurde sie auch eine herausragende Vertreterin der Sozialfotografie.
Als britischer Journalist im Spanienkrieg vermittelte Philby Nachrichten nach Moskau. Getarnt in einem großbürgerlichen Leben, fungierte Litzi in Paris als Relais. Da Philby in London glaubhaft machte, dass seine Sympathie für die kommunistische Bewegung Vergangenheit war, wurde er beim Geheimdienst MI 6 eingestellt. Er war Chef der britischen Spionageabwehr in Spanien, arbeitete dann in der mit der Arbeit gegen die Sowjetunion befassten Abteilung und als Verbindungsoffizier zur CIA, wodurch er auch an Informationen über das amerikanische Atomprogramm kam. Ein 1952 gegen ihn aufkommender Verdacht ließ sich nicht beweisen; er wurde danach aber »sicherheitshalber« in den Nahen Osten geschickt.
Der ebenfalls von Tudor Hart rekrutierte Chemiker Engelbert Broda war ab 1941 im Cavendish-Laboratorium an Forschungen zur britischen Atombombe beteiligt und konnte der Sowjetunion wichtige Kenntnisse vermitteln. Broda entging der Enttarnung und starb als angesehener Wissenschaftler in Österreich. Dass nicht er, sondern der deutsche Emigrant Klaus Fuchs zur Teilnahme an der Entwicklung der Atombombe in die USA geschickt wurde, hing laut Riegler aber wohl doch mit Zweifeln an Brodas Loyalität zusammen.
Eine offene Frage ist, warum die britischen Sicherheitsdienste trotz auftauchender Verdachtsmomente weder gegen ihre Staatsbürger noch die Emigranten vorgingen. Denkt man an den aktuellen Fall Assange, dann liegt der Schluss nahe, dass es im damaligen England höhere »rechtsstaatliche« Schranken gab als heute. Fuchs, der für einige Jahre in US-Haft saß, arbeitete später als Wissenschaftler in der DDR. Als verheiratete Honigmann lebte Litzi ab 1946 in Ostberlin und war als Synchronregisseurin tätig. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in Wien. Dass Wien ein idealer Wirkungsort für Spionage war und ist, erklärt Riegler mit der geographischen Lage, aber auch mit einer gewissen Duldung durch die Behörden aus der Hoffnung heraus, dass Österreich gerade wegen der Präsenz zahlreicher Geheimdienste in »Ruhe« gelassen werde.
Thomas Riegler: Der Wiener Spionagezirkel. Kim Philby, österreichische Emigranten und der sowjetische Geheimdienst. Promedia, Wien 2024, 232 Seiten, 25 Euro
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- picture-alliance/akg-images05.08.2023
Auftrag: Antikommunismus
- Photo12/Photosvintages/imago12.04.2023
Unter falscher Flagge
- picture alliance / arkivi29.09.2018
Erpresst und ausgeliefert
Regio:
Mehr aus: Politisches Buch
-
An den Rand gedrängt
vom 03.02.2025 -
Neu erschienen
vom 03.02.2025