An den Rand gedrängt
Von Dieter ReinischDen Geistes- und Sozialwissenschaften geht es nicht nur in Deutschland schlecht. Förderungen werden gekürzt, Lehrstühle nicht nachbesetzt, teilweise verschwinden ganze Studiengänge sang- und klanglos. Nur ein Forschungszweig hat, so scheint es, Konjunktur: die Befassung mit Krieg und Gewalt. Institute der »War Studies« kennen die Ressourcenknappheit ihrer Nachbarn kaum. Die Terrorismusstudien etwa blühen seit den Anschlägen in New York 2001. Ihre Vertreter verbreiten regelmäßig auch im deutschen Fernsehen vor großem Publikum ihre Einsichten. Meist läuft das auf eine Apologetik der jeweils aktuellen »westlichen« Regierungspolitik hinaus, wissenschaftliche Fundiertheit und kritische Distanz zu den Geldgebern bleiben zumeist auf der Strecke.
Der Bellizismus in der akademischen Landschaft hat jene wissenschaftlichen Stimmen, die nicht vom Krieg, sondern vom Frieden »leben«, fast zum Verschwinden gebracht. Die »Peace Studies« sind eine Randerscheinung, die Publikationsschienen für Friedensforscher überschaubar. Beackert wird das Feld oft von engagierten Einzelkämpfern wie Roger MacGinty in Großbritannien oder Hank Johnston in den USA. Besonders schlecht institutionell verankert und auch theoretisch eher unterdurchschnittlich entwickelt ist die Disziplin im deutschen Sprachraum. Um so erfreulicher ist ein neuer Sammelband der beiden österreichischen Wissenschaftler Maximilian Lakitsch und Josef Mühlbauer zu eben jenem Thema: der kritischen Friedensforschung.
In ihrer Einleitung geben sie einen knappen Überblick über das Forschungsfeld und bauen dabei auf Johann Galtungs Definition auf, wonach Frieden die Abwesenheit struktureller Gewalt ist. Der Sammelband möchte verschiedene Theorien, Ansätze, Methoden und Akteure zu Wort kommen lassen, »um neue Perspektiven in Bezug auf Gewalt, Krieg, Krisen, Patriarchat und Herrschaft und deren Überwindungsmöglichkeiten zu eröffnen«, schreiben die beiden Herausgeber.
Eine theoretische Schärfung oder klarere Definition des Begriffs Friedensforschung streben sie nicht an – vermutlich, um den Band möglichst heterogen zu halten. Das führt aber leider dazu, dass er ein Potpourri bleibt. Ein klarerer Fokus, inhaltliche Schärfe und stärkere redaktionelles Eingreifen in die Beiträge hätten dem Gesamtresultat gutgetan. Dennoch findet sich sehr viel Anregendes und Informatives im Band, so der Beitrag von Roy Casagranda über den US-Imperialismus im Nahen Osten, die drei Beiträge zum Krieg in der Ukraine und Tom Waibels Text über die Zapatistas in Mexiko. Der Sammelband ist unter dem Strich eine wichtige Intervention in die wissenschaftliche Debatte, der das Forschungsfeld nicht nur erweitern, sondern auch praktisch anwendbar machen möchte.
Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil derzeit heftig über die Aufhebung der Zivilklausel gestritten wird. Schulen und Universitäten sollen zu Schauplätzen bellizistischer Indoktrinierung und Rekrutierung werden. Die Forschung wird den Interessen der Rüstungsindustrie untergeordnet. Um so wichtiger ist es in dieser aktuellen Diskussion, antimilitaristischer Wissenschaft und Forschung zum Zweck der Friedensförderung Raum zu bieten. Da ist es erfreulich, dass der Wiener Mandelbaum-Verlag nicht nur den vorliegenden Band herausgebracht hat, sondern auch ein Fortsetzungsband in Arbeit ist, der Ende des Jahres erscheinen soll.
Josef Mühlbauer, Maximilian Lakitsch (Hrsg.): Kritische Friedensforschung: Konzepte, Analysen und Diagnosen. Mandelbaum, Wien 2024, 528 Seiten, 35 Euro
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