»Wir machen jetzt Haustürwahlkampf«
Interview: Gitta DüperthalAktuell finden bundesweit Großdemonstrationen gegen die Abstimmungsmehrheit von Unionsfraktion und FDP mit der AfD im Bundestag statt. Was fordern Protestierende in Hessen?
Die Demos sind auch in Hessen von bürgerlichen Parteien und deren Jugendverbänden organisiert. Sie fordern, dass CDU, FDP und BSW nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Uns von der Linksjugend Hessen geht es dagegen auch darum, dass Parteien wie SPD und Grüne sich nicht immer weiter nach rechts bewegen und eine solche Politik umsetzen.
Die Zustimmung der AfD im Bundestag war offenbar so lange kein Problem, wie sie ein kleiner Beitrag zur übergroßen Mehrheit war, zum Beispiel bei Beschlüssen zur »Kriegstüchtigkeit«. Wieso spricht die Linksjugend Hessen jetzt von einem »Schulterschluss«?
Der Unterschied: Bei bisherigen Abstimmungen gab es eine Mehrheit der bürgerlichen Parteien. So auch beim Versuch, migrantische und andere marginalisierte Gruppen als Sündenböcke darzustellen, statt mit ihrer Politik die sozialen Probleme im Land zu bekämpfen. Nun aber haben CDU und FDP versucht, allein mit Hilfe der AfD ein dieser Logik entsprechendes Gesetz durchzubringen. Es klappte nur nicht, weil es Abweichler in den eigenen Reihen gab. Aus unserer Sicht kann man übrigens nicht von einem »Rechtsruck« sprechen, also nicht von einem kurzfristigen Phänomen in diesem Wahlkampf. Union, FDP, SPD und Grüne befinden sich seit Jahren kontinuierlich in schleichender Entwicklung dahin.
Um ihre Interessen durchzusetzen, scheuten bürgerliche Parteien nicht davor zurück, mit »Faschisten gemeinsame Sache zu machen«, spitzen Sie in ihrer Mitteilung zu. Was meinen Sie damit?
Das Ziel ist, bestehende Macht- und Eigentumsverhältnisse abzusichern, Profite von Konzernen und Großkapital zu schützen: etwa durch Lohndumping, Steuervorteile, indem es keine Vermögenssteuer gibt oder durch Deregulierung. Zugleich werden die sozialen Sicherheitssysteme immer mehr geschröpft. SPD und Grüne hatten schon mit der Agenda 2010 Ängste der Menschen vor sozialem Abstieg angeheizt. Zugleich nahm die staatliche Repression bei Protesten weiter zu. Angst vor angeblich steigender Kriminalität wurde geschürt. Man verschärft also reale soziale Probleme und schiebt die Schuld Migrantinnen und Migranten in die Schuhe.
Was haben Sie denen, die noch mehr Härte gegenüber Asylsuchenden fordern, über moralische Verurteilung hinaus entgegenzusetzen?
Wir wollen keine Kontrollen an Grenzen und dass alle Menschen gut leben können. Das Asylrecht darf nicht ausgehebelt werden. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung in ihren Ländern fliehen, müssen bei uns Sicherheit finden und dürfen nicht in Lager an der Außengrenze verbannt werden.
Wieso schafft es die Linke nicht, im Wahlkampf zu profitieren, wenn die bürgerlichen Parteien nach rechts rücken?
Wir dürfen uns nicht darin erschöpfen, dagegen zu kämpfen, wenn die rechten Gruppierungen mit ihren migrationsfeindlichen Behauptungen die öffentliche Debatte dominieren. Es geht darum, eigene Inhalte zu setzen und Menschen direkt zu erreichen. Deshalb machen wir jetzt Haustürwahlkampf. Wir müssen in unseren Forderungen wieder radikaler werden, uns klarer von SPD und Grünen absetzen. In den Jahren, wo wir uns deutlich vom Kapitalismus abgesetzt hatten, hatten wir bessere Wahlergebnisse. Es bringt nichts, wenn man uns nur als weitere bürgerliche Partei ansieht und nicht als antikapitalistische Initiative.
Wie wollen Sie jene erreichen, die nicht schon links sind?
Wir gehen dahin, wo junge Menschen sind: machen Aktionen vor Schulen, trinken in Zentren zusammen Tee, kommen auf sozialen Plattformen ins Gespräch, bieten Diskussionsveranstaltungen an. Unsere Basisgruppe in Gießen bastelt Freundschaftsarmbänder. Es funktioniert: Umfragewerte der Linken steigen über fünf Prozent. Die Linksjugend Hessen hatte im August 2024 noch 500 Mitglieder, jetzt sind es 628. Bundesweit hat Die Linke die Mitgliederzahl von 70.000 geknackt.
Antonia Marquardt ist aktiv in der Linksjugend Hessen und jugendpolitische Sprecherin im Landesvorstand der Linken
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