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Aus: Ausgabe vom 04.02.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
H5N1

Profit vor Sicherheit

USA: Vogelgrippe gefährdet Wahlkampfversprechen und Weltgesundheit
Von Michael Kohler
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Hühnerfabrik in Henderson, Maryland (USA)

Pandemiegefahr durch Vogelgrippe? Trump verhängt Nachrichtensperre.« Diese bemerkenswerte Überschrift wählte vergangene Woche das Onlinebranchenblatt Agrarheute für seinen Leitartikel. Im April 2024 war die Welt erschrocken, weil sich im US-Bundesstaat Texas erstmals ein Mensch bei einer Kuh mit der Vogelgrippe H5N1 infiziert hatte. Bekämpft wurde sie dort bis heute nur unzureichend oder überhaupt nicht. Der Virologe Alexander Kekulé kritisierte: »Die Amerikaner tun viel zu wenig, um die Ausbreitung einzudämmen. Profit geht hier offenbar vor Sicherheit.«

Bekannt ist zur Zeit, dass die Vogelgrippe in 774 Milchkuhherden nachgewiesen wurde und dass in 16 Bundesstaaten 845 Milchviehherden (die auch Ziegen, Schafe und Büffel einschließen) betroffen sind. Wie groß die Herden und wie viele Tiere tatsächlich infiziert sind, ist nicht bekannt. Tausende Kühe starben jedoch. Knapp 70 Menschen, zumeist Arbeiter, haben sich inzwischen bei kranken Kühen infiziert. Anfang Januar starb der erste Mensch an den Folgen der Vogelgrippe, zwei Jugendliche konnten nur knapp gerettet werden.

Die in Fachkreisen um sich greifende Beunruhigung über die Ausbreitung des Virus teilte öffentlich im Juni 2024 auch Virologe Christian Drosten. So etwas habe es noch nie gegeben, man beobachte möglicherweise gerade eine Pandemie in ihrem Entstehungsstadium. Kekulé wies im Dezember darauf hin, dass das Virus sich bislang nur schwer über die Luft verbreiten könne. Dazu müsse es »sein Genmaterial mit einem anderen Influenzavirus vermischen, das bereits menschliche Infektionen über die Atemwege verursacht«.

Diese Vermischung wird bei infizierten Säugetieren befürchtet, die mit H5N1 infiziert sind und sich zusätzlich mit einem menschlichen Grippevirus anstecken. Die Tiere werden dann als sogenannte Mischgefäße bezeichnet. Die gegenwärtig dominierende H5N1-Klade 2.3.3.4b infizierte nicht nur Kühe, sondern auch viele andere Säugetierarten wie Robben, See-Elefanten, Hunde, Katzen, Tiger, Löwen und Nerze. Für Kekulé sind die bekannten Übertragungen »nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs«. Nach jetziger Kenntnis ist es wenig wahrscheinlich, dass Kühe zu Mischgefäßen werden, bei Pelztieren und mehr noch bei Schweinen ist die Gefahr jedoch wesentlich größer. Dies war schon einmal der Fall bei der Schweinegrippepandemie 2009/10. Sie konnte zwar relativ rasch eingedämmt werden, kostete aber dennoch mehrere hunderttausend Menschen das Leben. Übrigens: Das vermutlich am besten geeignete Mischgefäß für ein pandemiepotentes Virus ist der Homo sapiens.

Im blinden Fleck der Leitmedien liegen die Ursachen und Auslöser der Geschehnisse bei den Kühen: Die USA erlebten vor der Infektion der Kühe und dem Übertritt auf Menschen den bisher größten Ausbruch der Vogelgrippe bei Geflügel, der auch zur Stunde noch anhält. Agrarheute spricht von historischen Dimensionen. 2024 wurden in den USA unfassbare 100 Millionen Hühner und Puten »gekeult«. Allein im November und Dezember wurden 17 Millionen Legehennen getötet. Seit 2022 sind in den USA 145 Millionen »Stück Geflügel« an der Vogelgrippe gestorben oder wurden notgeschlachtet.

Um solche gewaltigen Massen von Lebewesen zu töten, bedarf es bekanntlich einer rationellen Technologie. In den USA wird immer noch der heftig kritisierte »Ventilation Shutdown« angewendet. Die Luftzufuhr zu den Hallen wird verschlossen, statt dessen wird so lange CO2 oder erhitzte Luft hineingepumpt, bis alle Tiere tot sind. Nach einer Untersuchung der North-Carolina-Universität fügt diese Methode den Vögeln »extremes Leid« zu, es dauert bis zu dreieinhalb Stunden, bis sie nach Hitzschlag, Organversagen oder durch Ersticken verenden. Filmaufnahmen zeigen, dass sie während der ganzen Zeit heftig keuchen, sich winden, sich verzweifelt gegen Mauern werfen, um zu entkommen, bevor sie zusammenbrechen und sterben.

Eine Folge der grausamen massenhaften Tötung war der Anstieg des Eierpreises, der sich innerhalb eines Jahres verdoppelte. Mancherorts blieben die Supermarktregale gleich ganz leer, weil getötete Legehennen nun mal keine Eier mehr legen. Das nun setzt Trump – der fallende Lebenshaltungskosten immer wieder versprochen hatte – erheblich unter Druck.

Durch die nach dem WHO-Austritt für alle Behörden des Gesundheitsministeriums verhängte Nachrichtensperre gibt es keine Berichte mehr über die weitere Ausbreitung der Vogelgrippe oder anderer gefährlicher Erreger – weder an die eigene Bevölkerung noch an die WHO. Nach WHO-Angaben wurden seit 2003 weltweit mehr als 2.600 humane Erkrankungen an der Vogelgrippe nachgewiesen – mit einer Todesrate von über 40 Prozent. Nun stellt das Land mit der stärksten und unkontrollierten Ausbreitung der Vogelgrippe bei Tieren wie bei Menschen jede Informationsvergabe und Kooperation ein. Dies ist nicht mehr und nicht weniger als ein frontaler Angriff auf die Weltgesundheit.

Keineswegs unter Druck geraten in den USA indes die Aktionäre des Fleischkapitals. Die Preise explodieren durch vermindertes Angebot, die Nachfrage bleibt stabil, also steigen die Aktienkurse. Es ist grotesk: Gerade diejenigen profitieren von der Superseuche, ohne deren gigantische Tierfabriken die Vogelgrippe niemals ihre erschreckenden Dimensionen hätte entwickeln können. Cal-Maine Foods etwa hält 44 Millionen Legehennen und ist mit einem Jahresumsatz von über drei Milliarden US-Dollar der größte Eierproduzent der USA. Er erreichte im letzten Quartal 2024 einen Umsatz, der um über 200 Millionen US-Dollar über der Prognose lag. Was die alte Einsicht bestätigt: Wo Blut fließt, da fließt auch Geld.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. Februar 2025 um 10:49 Uhr)
    Meine dringende Seh-Empfehlung: »Corona: Was weiß die Wissenschaft?« vom in der jW nicht so gehypten Harald Lesch, 24.3.2020 (!), verfügbar bis 17.3.2025, https://www.zdf.de/wissen/leschs-kosmos/corona-was-sagt-die-wissenschaft-102.html oder https://rodlzdf-a.akamaihd.net/dach/3sat/20/04/200402_leschs_kosmos_wissen_in_3sat/3/200402_leschs_kosmos_wissen_in_3sat_2328k_p35v13.mp4 . Etwa ab Minute 28 wird auf die »spanische« Grippe eingegangen, die eigentlich die amerikanische ist. Nebenbei kommt wesentliches zu »lock down« historisch-faktisch zur Sprache.

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