Was ist der Mensch?
Von Frank Schwarzberg
Es ist 2018. Die inzwischen 40jährige kanadische Musikerin Tamara Lindeman, besser bekannt als The Weather Station, engagiert sich bei Fridays for Future, organisiert Gesprächsreihen über die Klimakrise, liest Artikel über Ölmulti Exxon, wo man schon 1982 wusste, wie die Klimaerwärmung 2019 ausfallen würde, und viel Geld in die Hand nahm, um Zweifel zu streuen. Songideen entstehen.
2021. The Weather Stations Album »Ignorance« erscheint. Lindeman singt von scheiternden Beziehungen, von Verlust, um ihren persönlichen Climate Grief, ihren Klimaschmerz, zu artikulieren. Im Verlauf des zehn Stücke langen Albums wird deutlich, wie sehr es Lindeman um Umweltzerstörung geht – legal, für und mit Geld, positiv sanktioniert durch Gesetze, Banken, Politik und Wirtschaft. Es ist dieses Jahr 2021, in dem der deutsche Schriftsteller Frank Schulz weite Teile seines Romans »Amor gegen Goliath« ansiedelt. Corona, Liebe, Lust, nicht zuletzt die Klimakrise bewegen das Personal. Eine der Romanfiguren ist Aktivistin wie Lindeman. »Ignorance« wird The Weather Stations größter Erfolg. Das Album ist komplex, ambitioniert, es klingt phantastisch.
2022 bis 2024. »Es fühlte sich an, als ob sich diese Tür, die sich vor 2020 geöffnet hatte, wieder schloss«, wird Lindeman in einem großen Uncut-Feature zitiert. »Das Leben schlug wieder zu, und niemand hatte mehr Platz für das Thema. (…) Ich bekam das Gefühl, dass ich meinen Job nicht gut genug gemacht hatte. Es war frustrierend zu erleben, wie ich die Gelegenheit, etwas zu sagen, genutzt hatte, es rezipiert wurde und das Thema dann einfach über Nacht im Nirwana verschwand.« So ging und geht es nicht nur ihr. Dissoziation im Spotlight. Burnout.
2025. »Humanhood« nennen The Weather Station ihr siebentes Album. Ein altes, aber nicht veraltetes Wort, eigentlich die anthropologische Frage: Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Im Titeltrack deutet Tamara Lindeman ihre (vorerst) überwundenen dunklen Phasen an: »… thinking dark thoughts lately, thinking – I should admit to somebody – feeling cut off lately – thinking – was I a person?« Einprägsame Refrains gibt es auf dem Album nicht, es ist ein in Gesang übertragenes Sprechen, eine Art innerer Monolog. Dazu passt Lindemans gehauchte, beinahe flüchtige Art zu singen. Manchmal werden Motive wiederholt, Humanhood wird als Kleidungsstück betrachtet, das man nicht ablegen kann: »I went carrying this humanhood, trying to make good of it« wird zu »Clumsily carrying this humanhood, not carefully, carrying a body that’s tired from carrying a mind« wird zu »Carrying this humanhood – it looked like a burden, like a lack of decision, too entangled a vision, too mangled a living – sacred though, precious oh –«. Ein Lied wie eine Shakespearesche Tragikomödie. Von ihnen gibt es acht auf dieser Platte, außerdem vier fluide improvisatorische Instrumentalminiaturen und den Telefonanruf einer Freundin, eine Reflexion der unwiderruflichen Zerstörung der Natur. »Irreversible Damage« heißt das Stück, zu dem die Band in sanften Wellenbewegungen spielt.
Überhaupt diese Band: Maximal songdienlichen Jazz spielen sie, angenehm zurückhaltend. Bassist Ben Whiteley, Drummer Kieran Adams und Perkussionist Philippe Melanson sorgen für den Pulsschlag der Musik, es klingt, zumal mit Ben Boyes Pianoeinsätzen, weich und trocken zugleich. Die Unterfütterung der Songs erinnert an Joan As Police Womans Liebe zum Rhythmus. Multiinstrumentalistin Karen Ng umkreist das Ganze an Saxophon, Flöte und Klarinette.
Lindeman und ihrer Band gelingt es, Themen wie Umweltkatastrophen, Depressionen, Beziehungen zueinander in Beziehung zu setzen, einen musikalischen Ausdruck dafür zu finden, was es heißt, im Chaos ein Mensch zu sein, zu bleiben. Nähen, »Sewing«, heißt das letzte Stück auf dem Album. In die Steppdecke des Lebens ist und wird alles eingewoben, Fehler und Versäumnisse eingeschlossen. Vielleicht passt nicht alles zusammen, und doch wärmt und bedeckt sie dich.
Und dann, endlich, bekommt die Erzählerin Hunger auf etwas, beißt gierig rein, hat wieder Lust, den Himmel zu fotografieren. »Noch rollt der Stein!« Mit diesen Worten endet der Roman von Frank Schulz. Bei The Weather Station ist das Noch ein Wieder.
The Weather Station: »Humanhood« (Fat Possum)
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