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Aus: Ausgabe vom 08.02.2025, Seite 15 / Geschichte
Nordirlandkonflikt

Letzte Hoffnung

Vor 50 Jahren bot der bis dato längste Waffenstillstand der IRA für kurze Zeit die Aussicht auf Frieden
Von Dieter Reinisch
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Manche Waffen schwiegen nicht: Ein junger Demonstrant wird in Belfast von den Briten brutal festgenommen (24.2.1975)

Der Nordirlandkonflikt dauerte über drei Jahrzehnte. Erst 1998 endete er mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens. Für viele Historiker begann er 1968 mit der Niederschlagung der friedlichen Bürgerrechtsbewegung, die sich gegen die staatliche, strukturelle Diskriminierung der katholischen Minderheit gebildet hatte. Doch er schwelte bereits seit der Gründung Nordirlands und der Teilung der irischen Insel Anfang der 1920er Jahre.

1966 wurde das erste Todesopfer des aufkommenden Kriegs gezählt: Die neuentstandene Ulster Volunteer Force (UVF) – probritische, loyalistische Paramilitärs, die vom britischen Soldaten Gusty Spence gegründet wurden – erschoss einen jungen, katholischen Barmann auf dem Weg heim nach seiner Schicht, da er in einem protestantischen Gebiet arbeitete. Die heiße Phase des Kriegs begann zwei Jahre später und kostete fast 4.000 Menschen das Leben. Es war der längste Krieg in der nördlichen Hemisphäre nach 1945 und bis zu den Balkankriegen auch der blutigste.

Der lange Krieg

Dass der Nordirlandkonflikt sich Jahrzehnte hinziehen würde, war zu Beginn der 1970er Jahre von keiner Seite erwartet worden. Erst nachdem die Irisch-Republikanische Armee (IRA) in den 1980ern von Muammar Al-Ghaddafi aufgerüstet worden war, änderte sie ihre Strategie. Da militärisch eine Pattsituation eingetreten war, sprachen Republikaner von da an vom »langen Krieg«.

In den ersten Jahren des Kriegs hatten die IRA und ihr politischer Arm, die Partei Sinn Féin (SF), noch gehofft, die britische Armee rasch in die Enge und damit die Regierung in London an den Verhandlungstisch zu drängen. Dies gelang ihr teilweise. Bis Mitte der 1970er Jahre gab es regelmäßige direkte und indirekte Kontakte zwischen IRA und der britischen Regierung. Die Folge waren mehrere kurzfristige Waffenstillstände. Vor bald 50 Jahren, in der Nacht auf den 10. Februar 1975, begann der längste damalige Waffenstillstand der IRA. Es war die letzte Hoffnung auf ein Ende des Kriegs in Nordirland.

Der Weg dorthin war lang und holprig: Seit dem 10. Dezember des Vorjahres hatte es geheime Kontakte zwischen der britischen Regierung und der IRA gegeben. Dies wurde der Öffentlichkeit aber erst am 1. Januar 2006 offiziell bekannt gemacht, als nach Ablauf der 30-Jahre-Frist die Archivdokumente veröffentlicht wurden.

Als Reaktion auf die Gespräche verkündete die IRA am 22. Dezember 1974 einen Waffenstillstand, den die Organisation am 2. Januar verlängerte. Da es jedoch keine weiteren Fortschritte gab, kündigte die Guerillaorganisation am 16. Januar an, den Waffenstillstand um Mitternacht zu beenden.

Um den Waffenstillstand dauerhaft zu machen, forderte die Bewegung damals als Bedingung die Festlegung eines Datums, bis zu dem die britische Armee aus Nordirland abziehen würde. Danach sollte eine verfassungsgebende Nationalversammlung in ganz Irland gewählt werden, die über eine neue Verfassung und Regierungsform debattieren und diese dann beschließen würde. SF und die IRA wünschten sich eine föderale Republik nach dem Vorbild der Schweiz und Autonomierechte für die unionistische Bevölkerung im Norden. In Ablehnung der planwirtschaftlichen Systeme in Osteuropa sollte sich das neutrale Irland außenpolitisch den sogenannten blockfreien Staaten anschließen. Die republikanische Bewegung bezeichnete dieses Konstrukt als antiimperialistisch und demokratisch-sozialistisch.

Auch die loyalistische Seite war einer derartigen Regelung nicht abgeneigt. Bei Geheimverhandlungen in Feakle (Grafschaft Clare) im Westen der Insel ab dem 10. Dezember 1974 gab die loyalistische Delegation, die durch protestantische Geistliche vertreten war, den Republikanern zwar zu verstehen, dass sie den Fortbestand des Status quo wünschte. Wenn die Beibehaltung der Union zwischen Nordirland und Großbritannien jedoch nicht möglich sei, dann wäre ihre bevorzugte Variante ein unionistischer Autonomiestatus in einem vereinten Irland, wie es die Republikaner vorschlugen.

Brüchige Abmachung

Die Gespräche gingen daher weiter, und am 9. Februar gab die IRA bekannt, den Waffenstillstand ab dem darauffolgenden Tag um 18 Uhr Ortszeit fortzusetzen. Gleich am ersten Tag wurden allerdings zwei katholische Zivilisten in Pomeroy (Grafschaft Tyrone) und ein katholischer Zivilist in Belfast von loyalistischen Paramilitärs erschossen. Auch in den darauffolgenden Monaten blieb der Waffenstillstand brüchig, dennoch hielt er formell bis zum 23. Januar 1976.

Dem Waffenstillstand soll eine Einigung zwischen IRA und britischer Regierung vorangegangen sein. Sowohl die Regierung in London als auch ihre Vertretung in Belfast leugneten dies in der Öffentlichkeit. SF und IRA behaupteten jedoch, dass ein Zwölfpunkteplan angenommen wurde. Einige Elemente dieses angeblichen Abkommens wurden später bekannt, etwa die Einrichtung von sogenannten Einsatzzentren, in denen SF-Mitarbeiter arbeiteten und die als Schnittstellen zwischen der republikanischen, gegenhegemonialen Kontrolle in den katholischen Gegenden und der britischen Regierung fungierten. Außerdem sollten die britischen Sicherheitskräfte in irisch-nationalistischen Gebieten drastisch reduziert werden.

Der britische Staatssekretär für Nordirland, Merlyn Rees, zeigte sich noch am 14. Juli zufrieden über den Zustand des Waffenstillstands. Doch nur drei Tage später starben vier Soldaten durch eine IRA-Mine. Ab August nahmen die bewaffneten Auseinandersetzungen zu. Am 10. November detonierte die IRA in Derry selbst eine Bombe im dortigen Einsatzzentrum – die Organisation in Derry war gegen den Waffenstillstand.

Im Dezember 1975 und Januar 1976 gab es wieder fast täglich bewaffnete Auseinandersetzungen. Allein am 22. Januar starben zwei britische Soldaten, ein katholischer und ein protestantischer Zivilist in Belfast. In Derry erschoss die IRA einen britischen Reservisten und in Tyrone einen Informanten in ihren Reihen. Einen Tag später verkündete sie das Ende des Waffenstillstands.

Zwar bestand der Kontakt zwischen britischer Regierung und IRA noch einige Wochen, doch es dauerte mehr als zwölf Jahre, bis sich im deutschen Duisburg 1988 Vertreter nordirischer Parteien zu abermaligen Geheimverhandlungen trafen und das lange Ende eines langen Kriegs einläuteten.

Erklärung des Waffenstillstands

Die IRA hat heute Abend eine unbefristete Verlängerung ihres Waffenstillstands in Nordirland und Großbritannien angekündigt. In einer zwei Sätze umfassenden Erklärung aus Dublin hieß es, dass die »Feindseligkeiten gegen die Streitkräfte der Krone« morgen um 18 Uhr eingestellt würden. Diese Entscheidung sei »im Lichte der Diskussionen getroffen worden, die zwischen Vertretern der republikanischen Bewegung und britischen Beamten über eine wirksame Vereinbarung stattgefunden haben, die sicherstellen soll, dass der Waffenstillstand nicht gebrochen wird«, hieß es in der IRA-Erklärung.

Die Ankündigung erfolgte, als Nordirland kurz davorstand, in eine weitere, besonders blutige Phase einzutreten. Südlich der Grenze sah sich die Regierung in Dublin mit einem anhaltenden Hungerstreik der IRA-Gefangenen im Gefängnis von Portlaoise konfrontiert.

Eine Menschenmenge von 2.000 Menschen demonstrierte vor dem Gefängnis, wo der Mann, der als der schwächste Hungerstreikende gilt, Patrick Ward, und sechs andere nun seit 38 Tagen fasten. Wards Familie sagte heute, er sei dem Tode nahe gewesen.

Der letzte Waffenstillstand, der am 22. Dezember in Kraft getreten war, brach nach 25 Tagen zusammen. Er war die erste längere Ruhepause von dem seit Sommer 1969 andauernden Sektenkrieg und Terrorismus in Nordirland, einem Kampf, der über 1.100 Menschen das Leben gekostet und Tausende verletzt hat.

Der jüngste Waffenstillstand zu Weihnachten wurde von der IRA beendet, da die Briten nicht angemessen auf die Forderungen nach der Freilassung internierter Terrorverdächtiger und dem Abzug der 14.500 britischen Soldaten aus Nordirland reagiert hätten.

New York Times, 9. Februar 1975

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