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Aus: Ausgabe vom 24.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Metal

Das Prinzip Hoffnungslosigkeit

Die letzte Schlacht ist verloren: Gute Zeiten für das Black-Metal-Album »The World Without Us« von Bonjour Tristesse
Von Friedemann Lietz
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Wach auf, Hummer, du sitzt im Kochtopf

Als vergangenen Oktober »The World Without Us« von Bonjour Tristesse erscheint, wirkt es wie der Soundtrack zum Herbst. Das Jahr geht seinem Ende entgegen, die Natur bereitet sich auf Kälte und Dunkelheit vor. Schlagzeug und Bass prügeln jede Illusion von Behaglichkeit hinfort, zerfetzen rasend die letzten Kalenderblätter. Wenn bunte Blätter von den Bäumen segeln, ist Niedergang vorstellbar als malerisch-romantisch.

Jetzt ist Winter. Die zahlreichen Rezensionen sind allesamt positiv. Mitte Januar kürt metal.de das Album im Bereich Black Metal sogar zum besten des Jahres 2024.

Dabei ist dieses Werk noch viel besser, als diese Auszeichnung ausdrücken kann. Weil es standhält und gegenüber dem gesellschaftlichen Horror weder harmlos noch verharmlosend wirkt.

Das Eine-Person-Projekt kennt keine Zurückhaltung: Das rastlose Getöse der Rhythmusinstrumente verhindert Besinnung. Das oft hochmelodische Gitarrenspiel sucht, in fernste Sphären zu entfliehen. Die schrecklich langgezogenen Seufzer der bedrängten Kreatur, verwehtes Schluchzen, verzweifelte Schreie wie Schnitte im Klanggewebe: Ein Verweilen ist ausgeschlossen. »There is no place for me, no hope, no home« – so heißt es dann auch im titelgebenden Song, der wie ein zeitloser Klassiker des Genres klingt (weil er nämlich einer ist).

Das passt so grauenhaft in diese Tage, da die Staatsmächte Deportationen und Internierungen als Rettung anpreisen, um der nach Blut gierenden Meute zu gefallen, die so erst richtig scharf gemacht wird. Migration gilt als Ursache statt als Folge der Schrecken, die der Klassenkrieg von oben über die Menschen bringt. Die Länder schließen ihre Grenzen. Hirngespinste wie die Brandmauer wiederum erweisen sich poröser als Sandstein, derweil Kalifornien verbrennt. Im Spätkapitalismus ist wirklich alles elend ironisch. Bleiben will man da nicht, weg kann man auch nicht so einfach: »Always running – going nowhere.«

Nun handelt es sich bei der Vergeblichkeit allen Strebens und der Sterblichkeit allen Lebens um Themen, die extremer Metal mit größter Selbstverständlichkeit behandelt. Auch musikalisch wird auf dem vierten Album von Bonjour Tristesse auf Innovationsquatsch verzichtet. Wozu das Genre noch vorantreiben, wenn’s keine Zukunft gibt? Das Aufeinandertreffen mit diesem Superlativ von hoffnungslos erleichtern Kenntnisse der Konventionen aber kaum. Dabei ist die Vorstellung einer Welt nach dem Anthropozän durchaus reizvoll. Die Natur erholt sich, was ziemlich schön ist, auch wenn dann niemand Memes dazu machen kann. Und ist nicht bereits die gegenwärtige Welt eine ohne uns, weil sie geformt ist nach den Interessen der Ausbeuter und der Gewaltapparate, ohne die Bedürfnisse der Massen zu berücksichtigen? Die Welt ohne die Menschheit im Gesamten wäre so gesehen eine Nuance gerechter, denn dann hätte es die Parallelgesellschaft derer, die reicher und mächtiger sind als die Götter des Olymp, auch erwischt. Optimistischere Ideen sind nach Anhören der Aufnahmen buchstäblich nicht denkbar.

Das ist also hervorragender Black Metal. Ob es sich nun eher um Depressive Black Metal oder um Post Black Metal handelt – wen kümmert’s? Atmosphärisch dichter, schwerer und erstickender und gleichzeitig schmerzerfüllter, noch getriebener kann Musik kaum klingen.

Die besondere Qualität besteht in der immer wieder unsanft vollzogenen Konfrontation mit der Realität. Da wurde keine fantastische Dystopie inszeniert, aus der entkommt, wer die Platte zu Ende gehört hat. Der letzte Track »The Great Cata­strophe« endet im Grunde gar nicht. Der Bezug auf Walter Benjamin ist hier ganz offen und ausdrücklich und im Kontext der Themen Flucht und Aussichtslosigkeit geradezu niederschmetternd passend. Auch die übrigen Texte spiegeln bedrückend wider, was ist, nicht zuletzt wegen der u. a. bei Fredy Perlman und Michail Bakunin gefundenen Motive. Der direkte Vorgänger »Against Leviathan!« teilte die antimoderne Stoßrichtung, doch die Unmöglichkeit von Erlösung war da eher erahnt als gewusst. Die fünf neuen Songs sind voller Wut, doch gar nicht mehr kämpferisch. Die letzte Schlacht ist verloren.

Menschliches Handeln findet zwar lange schon statt im Rahmen von Ausbeutung und Herrschaft über die Menschen und die Natur. Die Reproduktion von Staat und Kapital vernichtet die Lebensgrundlage sämtlicher Lebewesen, wobei die mehr gesicherte als drohende Unbewohnbarkeit des Planeten angesichts der wahrscheinlicher werdenden Fortsetzung der Politik mit nuklearen Mitteln (und umgekehrt) eh nicht mehr zu jucken scheint. Die Zerstörung der Vernunft und die Faschisierung des freien Westens bedrohen das Lebendige immer ungehemmter. Man stirbt nur einmal. Aber man stirbt.

Dafür bietet Bonjour Tristesse nun keine Lösung an. Es ist ja auch Black Metal. Die Zuneigung zur Natur und zu theoretischen Ansätzen, menschliches Leben in Einklang mit dieser zu bringen, ist zwar recht deutlich.

In erster Linie aber handelt es sich bei »The World Without Us« um eine ergreifende Hörbarmachung des Gefühls von Ausweglosigkeit: »There will be no tomorrow. No future. No dawn for men.« Der sprichwörtliche Hummer im Topf, der den Kochvorgang nicht bemerkt, weil die Wassertemperatur nur langsam steigt, wird befähigt, seine Lage zu realisieren, und schreit aufgeklärt um sein Leben.

Fortschrittlich in einem wortwörtlichen Sinn ist dieses Album nicht. Das bevorstehende Aussterben der Spezies Mensch wird trotz ihrer Verantwortung nicht bejubelt. Das ist nicht die tausendste comichafte Vertonung misanthroper Phobosophie für bierselige Einfaltspinsel, das ist viel finsterer, viel ernster: eine Totenmesse für die Opfer der Zivilisation, gerade noch rechtzeitig abgehalten in der finalen Phase, bevor auch Trauerfeiern unmöglich sein werden.

Bonjour Tristesse: »The World Without Us« (Supreme Chaos)

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