Kribbelt da was?
Von Marc Hieronimus
Wer in die Suchmaschine mal keines der bekannten Komposita auf »-bang« wie Headbang oder Interrobang (das ist ein kombiniertes Frage- und Ausrufezeichen), sondern »먹방«, also »Meokbang« eingibt, findet Videos von essenden Menschen, überwiegend aus Südkorea. Das ist kein Teil der psychologischen Kriegführung gegen den nach Mediendarstellungen immerzu hungernden kommunistischen Norden, sondern ein anerkannter internationaler Trend, der damit zu tun hat, dass Menschen lieber in Gesellschaft als alleine essen. In den sogenannten sozialen Medien posten die Leute ja auch häufig Bilder von ihrem bzw. sich beim Essen. Ja, wenn Tellerfotos ein Land wären, würden sie im Stromverbrauch und Webspace mindestens mit Liechtenstein konkurrieren. Und Katzenvideos mit Brasilien.
Der Erfolg der Meokbang-Videos hängt auch damit zusammen, dass sie zu den sogenannten ASMRs gehören bzw. diese auslösen, nämlich Autonome Sensorische Meridian-Reaktionen, oder in der wikipädischen Formulierung »das Wahrnehmen eines kribbelnden, angenehm empfundenen Gefühls auf der Haut«. Millionen Menschen bekommen »Gänsehaut pur« (das ist die gute Sorte) oder können überhaupt nur noch einschlafen, wenn sie sich einen Kopfhörer aufsetzen und Leuten beim Rascheln, Reiben, Klopfen, Kratzen, Quietschen, Schnaufen, Flüstern oder eben Knuspern, Schmatzen und Fingerlecken zuhören. Die Esspornosternchen vertilgen Rohes, Gekochtes, Frittiertes, sehr häufig aber auch Gefärbtes und mit Glitter und Glitzer Überzogenes, das ihnen nach einer Weile in bunten Schlieren aus der Kauleiste rinnt.
Andere Mitmenschen – früher sagte man »normale«, aber das ist heute nicht mehr so einfach – bekommen schon bei Essgeräuschen am Nachbartisch Plaque und Würgereiz (das ist die schlechte Sorte Gänsehaut) und empfinden ASMR als perversen Grusel. Vielleicht ist es nur ein Zeichen des Untergangs einer Kultur, ein wenig wie die Otternasen und Lerchenzungen, die die Römer bei Monty Python verspeisen. Spätere Generationen werden hoffentlich darüber lachen.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Wie meinem Vater ein Licht aufging
vom 24.02.2025 -
»Wer braucht unanstößige Kunst?«
vom 24.02.2025 -
Nachschlag: Zäune
vom 24.02.2025 -
Vorschlag
vom 24.02.2025 -
Veranstaltungen
vom 24.02.2025 -
Das Prinzip Hoffnungslosigkeit
vom 24.02.2025