Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 24.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Erhellend

Wie meinem Vater ein Licht aufging

Von Pierre Deason-Tomory
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»Da hing ein Schild, stand drauf: Offenes Licht verboten! Habe ich mich gefragt: Was ist offenes Licht?«

Als ich eines Tages mit meinem großen Bruder vom Kinderhort nach Hause kam, lagen Teile unseres Hausrats auf dem Gehsteig. Wir wohnten, es war Mitte der siebziger Jahre, am Hummelsteiner Weg in der Nürnberger Südstadt hinter dem Hauptbahnhof in einem unsanierten alten Mietshaus. Der Dachstuhl hatte gebrannt, und Nandor, mein Ziehvater, geistesgegenwärtig die Katze, seine Notenbücher und anderes Wichtiges nach unten geschafft. Auf dem Gehsteig türmte sich auch verbranntes Zeug vom Dachboden, darunter mein Kettcar, verformt und zusammengeschmolzen, ich war untröstlich. Hat aber niemanden interessiert, meine Eltern hatten andere Sorgen, erfuhr ich von ihnen viele Jahre später.

Da erzählte mir Mutter, Polizisten wären damals gekommen und hätten Nandor regelrecht verhört, wollten wissen, ob er auf dem Dachboden gewesen sei vor dem Brand. Er bestritt alles. Als Ungar mit österreichischem Pass musste er jedes Jahr zur Ausländerbehörde, um seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern zu lassen, der fahrlässigen Brandstiftung überführt, wäre er ausgewiesen worden.

Aber so weit kam es nicht, sie konnten Nandor nichts nachweisen, den ebenso verdächtigten Türken in der Wohnung über uns auch nicht, er und diese durften also bleiben. Wir zogen erst 1978 weg, als der Herr Tomory vom neuen Intendanten der Nürnberger Oper gefeuert und vom Landestheater Salzburg engagiert worden war. Leider wohnten wir nicht in Mozartkugelhausen, sondern 20 Kilometer flussabwärts auf der deutschen Seite der Salzach, in der uralten, wunderschönen, aber winzigen Stadt Laufen, direkt hinter der Grenze. Mutter wollte nicht in Salzburg leben, weil Ausland, und musste lernen, dass wir auch im bundesdeutschen Südostbayern als Fremde betrachtet und entsprechend behandelt wurden. Nicht nur der ungarische Vater, auch die Mutter mit ihrer Berliner Schnauze.

Als die beiden schon alt waren und wieder in Nürnberg wohnten und ich bei ihnen in der Stube saß, erzählte Mutter vom oben erwähnten Verhör durch die Polizei. Ich fragte Nandor: »Und? Warst du auf dem Dachboden?« Die Mutter antwortete für ihn: »Natürlich wara ditt!« Und er fügte hinzu: »Musste ich irgend etwas holen. Bin ich nach oben und habe eine Kerze mitgenommen. War sehr dunkel auf dem Boden. Vielleicht hat die Kerze etwas angezündet, vielleicht nicht. (Pause) Da hing ein Schild, stand drauf: Offenes Licht verboten! Habe ich mich gefragt: Was ist offenes Licht? Jetzt weiß ich es.«

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