Ein Schnitzel, bitte!
Von Patrick HönigDer kongolesische Schriftsteller und Dichter Fiston Mwanza Mujila ist für seine skurrilen Bühnenauftritte bekannt. Er zuckt, moduliert kehlige Laute, lacht hysterisch. Aus der Rolle fiel er auch am 23. Januar auf der »Poetica«, der zehnten Ausgabe des Poesiefestivals in Köln. In Benjamin Höppner, der den deutschen Text vortrug, fand er einen kongenialen Partner. Am Ende klatschte man sich ab, wie nach einer gelungenen Comedy-Battle. Damit hätte es sein Bewenden haben können, wären nicht wenige Tage später die Nachrichten über die Einnahme der Millionenstadt Goma durch die Rebellen der »M 23« über den Bildschirm geflimmert. Was im Saal exzentrisch wirkte, bekommt nun eine tiefere Bedeutung. Man versteht, dass Mwanza Mujila mit Wörtern spielt, als seien sie die Zünder an Granaten. Die großen Themen seines Werkes sind der Fluss, die Minen und die Kneipe. Und die Klammer, die alle drei zusammenhält, nämlich das Streben nach Profit in einer spätkapitalistischen Welt.
Der Kongostrom ist seit jeher vieles für die Menschen, die am Wasser leben und von dem, was das Wasser ihnen bringt: Fisch, Handel und Geschichten. Als sich der belgische König Leopold II. den Kongo unter den Nagel riss und von Kisangani stromabwärts schiffbar zu machen begann, ging es nur noch um Elfenbein und Kautschuk. So sehr hat sich der Kommerzialisierungsgedanke eingeschliffen, dass Mwanza Mujila in einem Gedicht über »ideale Geographie« seine Verwunderung über die Eigenwilligkeit des Gewässers nicht verhehlen kann. Der »Strom Zaire«, wie er ihn nennt, eine Reminiszenz an das untergegangene Herrschaft Mobutus, fließt, wie er will, »Tausende von Kilometern«, aber nicht, um am Ende etwas Nützliches zu tun, sondern um sich »aus dem Fenster ins Meer« zu werfen, ohne, wohlgemerkt, »die Rechnung und die Miete« zu bezahlen – eine solche Unverfrorenheit, dass es den Menschen im Kongo »schwindelt«.
Der Strahlkraft der flüssigen Lebensader des Landes kann sich niemand recht entziehen, und so nennt sich auch der politische Arm der von Ruanda unterstützten Rebellen, die Goma eingenommen haben, »Alliance Fleuve Congo«, die Allianz des Kongostroms. Das klingt gut und macht ganz nebenbei die nationalen Ambitionen der Rebellen deutlich, denn bevor er sich bei Boma in den Atlantik ergießt, macht der Kongo eine elegante Kurve durch das gesamte Kongobecken. Die Rebellen, so hört man aus Goma, haben im Serena, dem ersten Hotel am Platz, eine Pressekonferenz gegeben. Man sei gekommen, um zu bleiben, lassen sie wissen, und man sollte sich darauf einstellen, dass sie es ernst meinen.
Natürlich geht es ums Geld, und die härteste Arbeit verrichten im Kongo die Kleinsten. »Minengesang« handelt von den Kindern, die beim Abbau seltener Erden in ungesicherten Stollen ums Leben kommen, aber, Gott sei Dank, ersetzt werden können, denn die Frauen im gebärfähigen Alter denken voraus: »wenn wir dahinscheiden / werden unsere Mütter / andere Kinder gebären / schöner als wir«, und weil auch die in den Schächten der Mine verschüttet werden, noch mehr Kinder, schließlich »Tausende von Gören«. Schon aus der Tonalität des Gedichts spricht der Schmerz, denn was die Mütter immer wieder aufs Neue in die Welt setzen, sind die »mômes pour la mine«, was sich mit »Knirpse für die Minen« kaum gleichwertig übersetzen lässt. Nicht anders als zu Zeiten der kolonialen Kautschukernte verbirgt sich das Leid der Menschen hinter Zahlen. Wie der Reporter der Zeitung Le Monde aus gut unterrichteten Kreisen erfährt, verlassen jede Woche acht mit Coltan beladene Laster die von der »M 23« besetzte Rubaya-Mine in Nordkivu in Richtung Ruanda, geschätzter Marktwert der Ware: 500.000 US-Dollar. Zugegeben ein Klacks im Vergleich zu den Erlösen, die man mit den Bodenschätzen des Kongo erzielen könnte, Reichtümer, von denen die Schürfer nie etwas abbekommen werden.
Eine letzte Austragungsstätte gesellschaftlicher Konflikte ist für Mwanza Mujila die Kneipe, immer voll, die Musik laut, die Gespräche wirr. In »Waltz for Lumumba« wird dem ersten kongolesischen Premierminister allerhand Nachtleben zugeschrieben: Er »tanzt Salsa«, »spielt Saxophon«, »liebt Reggae«, »trinkt sein Bier« und »lacht wie noch nie«. Wenn man sich angesichts der Zustände im Kongo zum Lachen nicht zwingen kann, wird man seine Qual wohl hinausschreien müssen, wie die Schwarze Sängerin Abbey Lincoln im Januar 1964 während eines Jazz-Konzerts im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek zum Titel »Freedom Now«, während Max Roach mit seinen Stöcken wild auf das Schlagzeug eindrischt, weiße Zähne, düsterer Blick. So zeigt es Johan Grimonprez’ jüngst für einen Oscar nominierter Essayfilm »Soundtrack to a Coup d’État«. Auch im Gedicht ist Lumumba überall: »im Fernsehen / im Radio / in Uíge / in Moskau«. Immer in Bewegung: »Lumumba überquert den Fluss / Lumumba fährt Metro / Lumumba im Busch.«
Vielleicht hilft es zu wissen, dass die Region Uíge die Herzkammer des historischen Königreichs Kongo war, das sich, als es koloniale Grenzen noch nicht gab, von Angola bis in den Kongo erstreckte. Der Busch wiederum, la brousse, ist der Rückzugsraum der Partisanen, die im Namen Lumumbas für eine bessere Welt zur Waffe griffen; gleichzeitig ist es auch ein phonetischer Anklang an die inzwischen abgerissene Maison Brouwez, den letzten Aufenthaltsort Lumumbas, bevor er von einem von belgischen Offizieren befehligten Kommando hingerichtet wurde, in einem Waldstück vor den Toren Lubumbashis. Ein Skandal, gegen den Lincoln in einem Akt zivilen Ungehorsams mit anderen schwarzen Frauen in der UN-Generalversammlung lautstark protestierte.
Auch im Gespräch, das Mwanza Mujila mit Uljana Wolf in Köln führt, kreist man um Fragen des Gefangenseins und der Befreiung. Fraglos ist Graz, die Stadt, in der Mwanza Mujila heute lebt, Exil, wenn auch ein selbstgewähltes. Manchmal, sagt der Dichter, wenn ihm alles zuviel werde, gehe er ins Wirtshaus und bestelle ein Schnitzel und ein Bier. Nichts Veganes, schon klar, denn eine Versöhnung mit dem Leben gelingt nur, wenn man sich einen Platz am richtigen Ende der Nahrungskette gesichert hat. Und weil der Produktionsprozess nie stillstehen darf, muss wenigstens die Leber arbeiten. Über die königliche Dekadenz eines Ludwig XIV. ist im Gedicht »Die Freude« dagegen in vier Zeilen alles gesagt: »in seiner Kneipe / thront mein Großvater an der Theke / freudestrahlend / wie die Sonne«.
Fiston Mwanza Mujila: Kasala für meinen Kaku/Kasala pour mon Kaku. Französisch mit deutscher Übersetzung von Elisabeth Müller und einem Interview mit Antoine Wauters. Ritter-Verlag, Klagenfurt/Graz/Wien 2022, 176 Seiten, 23 Euro
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