Spuren im Mainstream
Von Kai Köhler![11.jpg](/img/450/205403.jpg)
Die Männer rauchen. Alle. Auch tagsüber trinken sie gerne mal einen. Und Frauen, von denen sie was wollen, sprechen sie auf eine ziemlich direkte Art an. Diese freilich sehen sich nicht als Opfer, sondern wissen selbstbewusst zu antworten.
Verraten alte Filme etwas über vergangene Zeiten? Glaubt man den deutschen Produktionen aus den 70er Jahren, die die Retrospektive unter dem Titel »Wild, schräg, blutig« versammelt, dann verlief das Leben vor einem halben Jahrhundert ungezwungener als heute. Nun lassen sich alle drei oben genannten Freiheiten kritisieren, Einschränkungen können begründet sein. Nur wird deutlich, dass das Bild einer immer lockereren Gesellschaft nicht stimmt und dass zumal Männern ein erheblich höheres Maß an Selbstkontrolle abverlangt wird.
Aber wird es deutlich? In der diesjährigen Retrospektive geht es um Genrefilme, und in denen sind die Typen vorgegeben. Der Mörder ist selten ein Weichei. So sagen die einzelnen Filme, von Alltagsdetails abgesehen, nur bedingt etwas aus über die außerfilmische Realität. Wohl aber erlauben die Wandelungen der Genres Rückschlüsse auf gesellschaftliche Entwicklungen.
Der DDR-Beitrag zu dieser Retrospektive ist eher gering. »Orpheus in der Unterwelt« (1973), Horst Bonnets Verfilmung der Offenbach-Operette, steht so quer zum Sektionsthema wie Günter Reischs Satire »Nelken in Aspik« (1976) über einen Werbezeichner, der konsequent schweigt und gerade deswegen Karriere macht. Drei der vier DDR-Filme haben eine Altersfreigabe von null Jahren; nur die paar nackten Brüste im »Orpheus« dürfen erst von Sechsjährigen bewundert werden. In den Westfilmen, um die es nun gehen soll, wird Gesellschaft auf brutalere Weise verhandelt.
Filme altern unterschiedlich gut. Es gibt Billigproduktionen, auch zu ihrer Zeit missachtete, die nun zu den Ikonen ihres Genres gehören. Für »Blutiger Freitag«, eine westdeutsch-italienische Koproduktion, gilt dies nicht. In dieser Geschichte eines Bankraubs mit Geiselnahme chargiert Raimund Harmstorf als gewalttätiger Bandenchef. Viele Dialoge klingen unfreiwillig komisch, das überreichlich spritzende Kunstblut wirkt nicht einmal wie echter Ketchup. Von heute aus beeindruckt allerdings, wie 1972 linke Ideen Spuren im Mainstream hinterließen. Vages Gerede von Enteignung hält als Begründung für den Bankraub her. Eine pseudodokumentarische Umfrage unter Schaulustigen vor der Bank, ob sie die Todesstrafe befürworten, wirkt pseudokritisch.
Freilich: eine politische Richtung ist stark, wenn ihre Gedanken, wie reduziert auch immer, in die Tiefen der Populärkultur einsickern. Erfreulicher ist es allerdings, wenn sie auch ästhetisch bewältigt sind. »Einer von uns beiden« von 1974, ein früher Film Wolfgang Petersens, hat ein Duell zweier Männer zum Zentrum. Ein erfolgloser Schriftsteller erstellt für Geld eine Seminararbeit und entdeckt dabei, dass ein bekannter Soziologe seine Doktorarbeit abgeschrieben hat. Er fordert von dem Wissenschaftler eine lebenslange Rente, der will seinen Feind loswerden. Wie der Kampf sich Stufe um Stufe steigert, ist knapp und mit mehreren überraschenden Wendungen erzählt. Das Setting ist genregerecht und erlaubt zugleich den Blick auf viele Westberliner Milieus, vom Akademikerhaushalt über die Prostitution bis zur SPD-Parteiversammlung. Im Konflikt zwischen dem erfolgreichen Sozialaufsteiger und dem, der das erst werden möchte, gibt es keinen Sympathieträger und auch keinen Sieger. Als der Professor zuletzt erledigt ist, findet er noch den Weg, auch seinen Herausforderer zu erledigen.
Ganz im Gegensatz dazu besticht Rudolf Thomes »Fremde Stadt« von 1972 durch Inkonsequenz. Ein wortkarger Mann trifft in München ein, nimmt ein Zimmer in einem Billighotel, bereitet sich auf irgendwas vor. Erst allmählich wird klar, dass er als Bankangestellter Millionen veruntreut hat. Bald kommen seine Exgeliebte, die Polizei und andere Gauner ins Spiel. Freilich gibt es Solidarität und sogar Kooperation. Zuletzt kann jeder jeden erpressen, und so einigt man sich auf die Teilung der Beute. Es gibt eine Wendung von existentialistischer Leere zum – wenn auch erzwungenen – Miteinander. Der Titel ruft das Genre auf, gerade um seine Regeln zu brechen.
Neues gibt es auch in »Mädchen mit Gewalt« (1970, Regie: Roger Fritz). Da tritt tatsächlich ein Mann auf, der mit Frauen auf Augenhöhe umgeht. Freilich hat er noch keine Chance gegen zwei Kumpane. Sie sind Kollegen, der Chef (Klaus Löwitsch) gleichermaßen gewalttätig und sentimental, der Untergebene (Arthur Brauss) ihm intellektuell überlegen. Schon zwischen diesen beiden ist die Aggression kaum gezügelt. Zudem jagen sie Frauen, die sie zum Sex bewegen oder auch zwingen. Mit einem Trick locken sie ihr aktuelles Opfer (Helga Anders) nächtens an eine Kiesgrube. Mit großer Intensität und wechselnden Konstellationen werden die möglichen Konflikte durchgespielt.
Die zeitgenössische Kritik beklagte ein »zynisch-brutales Produkt« und wähnte ein »brisantes Thema – Gewalt gegen Frauen – völlig instinkt- und gefühllos verspielt«. Doch der Film erweist sich als gut gealtert. Er ist Zeitdokument und analysiert zugleich Männerfiguren, die ihre Aggression schlau begründen und wie von heute sein könnten.
Sektion Retrospektive
– »Einer von uns beiden«, Regie: Wolfgang Petersen, BRD 1974, 105 Min., 14.2., 17.2.
– »Fremde Stadt«, Regie: Rudolf Thome, BRD 1972, 106 Min., 17.2., 19.2., 21.2.
– »Mädchen mit Gewalt«, Regie: Roger Fritz, BRD 1970, 98 Min., 20.2., 21.2., 22.2.
– »Nelken in Aspik«, Regie: Günter Reisch, DDR 1976, 94 Min., 21.2., 22.2.
– »Orpheus in der Unterwelt«, Regie: Horst Bonnet, DDR 1973, 87 Min., 15.2., 20.2., 21.2.
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