Ohne Abschluss Ausschluss
Von Niki Uhlmann
Rund sechs Millionen Lohnabhängige in der BRD haben keinen Berufsabschluss. Hungerlohn, geringfügige Beschäftigung und Unsicherheit durch ständige Befristung betreffen damit deutlich mehr Menschen als bislang angenommen. Die Zahl hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auf Basis amtlicher Statistiken berechnet, wie Jan Krüger, Leiter der Abteilung Bildungspolitik, am Montag gegenüber jW bestätigte. Über die Dunkelziffer könne man nur mutmaßen. Dass die amtliche Statistik keine genaue Analyse gestattet, lässt indes auf ein gewisses beschäftigungspolitisches Interesse an denjenigen schließen, die zu Niedriglöhnen verdammt sind.
»Wenn immer mehr Menschen im Arbeitsleben abgehängt werden«, mahnte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack, zerreiße die Gesellschaft. Umgekehrt trage das »ungenutzte Potential« zum Fachkräftemangel bei, den Zuwanderung allein nicht beheben könne. Notwendig seien eine »Priorität für unser Bildungssystem und mehr Geld«. Wo konkret Handlungsbedarf besteht, zeigt der DGB in seinem »Achtpunkteprogramm für Menschen ohne Berufsabschluss«.
Entscheidend sei demnach der »Übergang zwischen Schule und Beruf«. Zuständig sind dafür bundesweit 366 Jugendberufsagenturen, die »zentrale Anlaufstellen« werden sollen. Ziel müsse »individuelle Hilfestellung« auf dem Bildungsweg sein. Denn obwohl viele Schulabgänger einen Ausbildungsplatz suchen, bleiben etliche Jahr für Jahr unbesetzt. Auf mehr als ein Zehntel unvermittelter Jobs kam 2023 ein ähnlich hoher Anteil an Bewerbern. Darum bekräftigt der DGB nochmals seine Forderung nach einer »Ausbildungsgarantie«.
Vielen Erwachsenen ohne Berufsabschluss sei nicht klar, dass es »einen Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Berufsabschlusses und die Förderung von Umschulungen gibt«. Arbeitsagenturen müssten dies stärker vermitteln, eine »Bildungs(teil)zeit« solle gesetzlich verankert werden. Da Weiterbildung und Erwerbstätigkeit nur schwer vereinbar sind, spricht sich der DGB sogar für Teilqualifikationen aus, bei denen er 2020 noch eine »Optimierung von Niedriglohnsektoren« witterte. Wer sich »aufgrund individueller Lebenslagen oder betrieblicher Umstände nicht auf eine längere Weiterbildung einlassen« könne, heißt es dagegen heute, müsse dennoch »abschlussorientiert« gefördert werden. So soll jede Teilqualifikation für die jeweils nächste berechtigen.
Bleiben jene, die bereits qualifiziert sind, aber mangels anerkannter Kompetenzen trotzdem behandelt und bezahlt werden, als hätten sie keinen Berufsabschluss: Migranten und andere Menschen mit Berufserfahrung, die eine entsprechende Bescheinigung nicht besitzen. Deren Qualifikationen müssten unbürokratisch und ohne »finanzielle Hürden« geprüft und angerechnet werden, fordert der DGB. Eine große Baustelle streift das Programm nur: die Grundbildung. 2018 ermittelte eine Studie der Universität Hamburg, dass rund zwölf Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland funktionale Analphabeten sind. Das Land der Dichter und Denker hat in dieser Hinsicht abgewirtschaftet.
Letztlich ist selbst ein Berufsabschluss kein Garant für einen auskömmlichen Lohn. »Gute Arbeit wird mit einem Berufsabschluss wahrscheinlicher«, sagt der DGB. Eine Garantie ist das nicht. Wenn Banken und Autoindustrie Stellen abbauen, werden selbst Facharbeiter überflüssig. Dagegen scheint im Niedriglohnsektor ungedeckter Bedarf zu herrschen. Zerrissen ist die Klassengesellschaft längst, wäre gegen Hannack einzuwenden.
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Leserbrief von Knut - Michael Haase aus Heringsdorf (18. Februar 2025 um 17:56 Uhr)Wenn sechs Millionen Lohnabhängige keinen Berufsabschluss haben, bleibt nur Hungerlohn, geringe Beschäftigung und Unsicherheit. Allerdings muss die Frage erlaubt sein, wieso Millionen von Menschen ohne Berufsabschluss sind. Warum wird nicht gefragt, wie viele Auszubildende ihre Lehre abbrechen. Hat der DGB darüber keine Statistik? Die Medien haben doch schon längst festgestellt, dass immer mehr Auszubildende ihre Ausbildung für einen Beruf nicht vollenden. Allein dies damit beantworten zu wollen, dass es die falsche Berufswahl war, die zum Abbruch führte, greift zu kurz. Es gibt 366 Jugendberufsberatungen, hochgerechnet auf alle Bundesländer sind das fast 23 Berufsberatungen pro Bundesland. Also haben die Jugendlichen genügend Möglichkeiten, sich im Vorfeld, und ich habe es selbst erleben dürfen, zu informieren. Sind sie dazu willens? Wieso bleiben so viele Ausbildungsstellen unbesetzt, wenn es derart viele Berufsberatungszentren gibt? Erfüllen diese ihre Aufgaben nur unvollständig? Die Berufslehre kommt nicht zu den Schulabgängern. Darum müssen sie sich schon selbst kümmern. Allerdings ist aber ein leidliches Problem anzuführen, dass in unserem Land die Unternehmen sich immer mehr der Verantwortung entziehen, auszubilden, denn dies verursacht Kosten und damit Profitverlust.
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