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Aus: Ausgabe vom 19.02.2025, Seite 1 / Titel
Repression gegen Palästina-Bewegung

Polizei in der jungen Welt

Repression bei Palästina-Veranstaltung in Räumen der Tageszeitung. UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese spricht
Von Jamal Iqrith
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Martialisch und mit großem Aufgebot. Polizei vor dem Verlagsgebäude der jungen Welt, Dienstag 18. Februar 2025

Bereitschaftspolizisten in den Büros einer überregionalen Tageszeitung. Schwer vorstellbar, möchte man meinen. Diese martialische Kulisse bot sich am Dienstag Teilnehmern der Veranstaltung zum Krieg im Gazastreifen in der Maigalerie der jungen Welt. Die Polizisten waren gegen den Willen der jW-Geschäftsführung in den Veranstaltungsraum in der Berliner Torstraße eingedrungen – der »Gefahrenabwehr« wegen.

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Francesca Albanese trifft auf der Veranstaltung ein

Grund für die Repression war eine geladene Rednerin mit besonderer Prominenz: Die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, sollte zu »rechtlichen Perspektiven auf den Völkermord in Gaza« sprechen. Erst kürzlich hatten nach politischem Druck und Antisemitismusanschuldigungen sowohl die Ludwig-Maximilians-Universität München als auch die Freie Universität Berlin Veranstaltungen mit der italienischen Juristin abgesagt. Sie sei froh, hier zu sprechen, sagte die UN-Diplomatin gegenüber jW. Die Kontroverse, die ihre Einladung hervorgerufen habe, sei jedoch »zutiefst schockierend«. Sie sei besorgt zu sehen, in welche Richtung sich Deutschland entwickele. »Das werde ich nie vergessen«, erklärte Albanese.

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Polizei passt auf

In ihrer Rede sprach Albanese die historische Verantwortung Deutschlands für das internationale Recht an, da von deutschem Boden bereits mehrere Völkermorde ausgegangen seien. Die »Unterdrückung der Palästinenser« durch den »israelischen Siedlerkolonialismus« und den »Genozid in Gaza« nannte sie »eines der drängendsten Probleme unserer Zeit«. Darüber hinaus kritisierte die Juristin das repressive Klima in Deutschland. Nicht Politiker und Journalisten entschieden darüber, was ein Völkermord sei. »Warum kann man hier darüber nicht sprechen«, warf sie fragend in den Raum.

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Albanese spricht

Die Veranstaltung mit dem Titel »Reclaiming the Discourse: Palestine, Justice and the Power of Truth« hatte ursprünglich im »Kühlhaus« in Berlin-Kreuzberg stattfinden sollen. Am Dienstag morgen sagten die Vermieter nach behördlichem Druck aber die Räume ab. An die Wände dort hatte jemand auf englisch die Sätze »Albanese, du bist eine Antisemitin« und »UNRWA unterstützt Terror« (UN-Palästina-Hilfswerk) gesprüht. Daraufhin erklärte sich der Verlag 8. Mai bereit, Räume zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der kurzfristigen Verlegung konnten jedoch deutlich weniger Menschen teilnehmen als ursprünglich geplant.

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Organisiert hatten die Veranstaltung die Initiativen »Eye for Palestine«, »Gaza Komitee« und »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«. Neben Albanese war u. a. die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International geladen. Auch die palästinensische Journalistin Hebh Jamal, der britisch-israelische Architekt Eyal Weizmann von der Rechercheplattform »Forensic Architecture« sowie der Musiker Michael Barenboim sollten sprechen. Wieland Hoban, Vorsitzender der Organisation »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«, machte zu Beginn die Tragweite des Vorgangs klar: »Wir sind in Deutschland. Eine Veranstaltung wie diese zu organisieren ist – leider – ein Akt des Widerstands.« Außerdem wurden Dokumentationen gezeigt. Der Violinist Barenboim spielte Mozart und traditionelle palästinensische Musik mit dem »Nasmé Ensemble«.

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Das Vorgehen der Polizei erinnerte an den Palästina-Kongress im April 2024, der von Bereitschaftspolizisten gestürmt und im Anschluss verboten worden war. Die Veranstalter befinden sich aktuell im Rechtstreit darüber, ob das damalige polizeiliche Vorgehen rechtmäßig war. Wie beim Palästina-Kongress erklärten die Behörden die Veranstaltung auch am Dienstag kurzerhand zu einer »Versammlung in geschlossenen Räumen«. Das ermöglicht deutlich erweiterte Befugnisse, wie Zutritt zu Räumen gegen den Willen des Hausrechtsinhabers.

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Im Gespräch mit den Veranstaltern hatten die Beamten zuvor erklärt, die Einsatzschwelle sei bei der Veranstaltung »niedrig«. »Im Sinne der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit« müsse die UN-Sonderberichterstatterin auftreten können, damit sich Zuschauer selbst ein Bild machen können, erklärte Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer des die jW herausgebenden Verlags 8. Mai.

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UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese spricht, junge Welt verteidigt Meinungsfreiheit, Polizei schränkt sie ein.

Zur Presseerklärung: https://www.jungewelt.de/presseerklaerung/297

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas B. aus Berlin (19. Februar 2025 um 10:58 Uhr)
    Liebe Genoss*innen des Verlags 8. Mai und der jw-Redaktion, ich bin wirklich und aufrichtig stolz auf Euch, auf Euer politisches Rückgrat und Eure klare internationalistische Haltung. Bitte lasst Euch nicht runterkriegen und bleibt aufrecht! Wer angesichts solcher repressiver staatlicher Zugriffe, der wieder zunehmenden Berufsverbotspraxis – jetzt schon gegen Klimaschützer*innen! –, der öffentlich betriebenen Vorbereitung der Aufstandsbekämpfung im Rahmen der »Notstandsverfassung« und der Rückkehr der »Baseballschlägerjahre« (rechte Gewalttaten auf Höchstniveau! 2024: mehr als 34.000 Beleidigungen, Drohungen und Gewaltdelikte von rechts laut Polizeilicher Kriminalstatistik; davon (Stand November) 1.136 Gewaltdelikte) immer noch nicht begreift, was in diesem Land gerade Phase ist und sich auf Demos »gegen rechts« mit Militarist*innen, Kriegstreiber*innen und radikal national autoritären Charakteren der selbst ernannten »demokratischen Parteien der Mitte« bis hin zum Redner B. Pistorius (Hannover) wohlig warm einreiht, um die viel beschworene FDGO zu »verteidigen«, die/der möge bitte ab ins braune Eck krauchen und fürderhin für immer schweigen! Für »Staatsräson« als absolutistische obrigkeitsstaatliches Prinzip ist die Erhaltung der Macht, die Einheit und das Überleben des Staates ein Wert an sich und rechtfertigt letztlich den Einsatz aller Mittel, unabhängig von Moral oder Gesetz. Scholz, Baerbock, Habeck, Pistorius und Co., die die Sicherheit Israels zur »Staatsräson« erklären, verbinden dies konsequent mit Repression und der Einschränkung sogenannter demokratischer Rechte und Freiheiten sowie der Lieferung von Waffen an Israel – trotz aller dokumentierten Kriegsverbrechen. Im Kriegszustand wird so der Klassencharakter der bürgerlichen Demokratie und ihre Beliebigkeit zunehmend und offensichtlich beschleunigt. Diese repressionsstaatliche Eskalation ist der Nährboden des völkisch national-autoritären Durchmarschs der letzten Monate. No pasaran! Pasaremos!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (19. Februar 2025 um 08:41 Uhr)
    Es ist absehbar, dass es Deutschland noch schrecklich auf die Füße fallen wird, wie vorbehaltlos es sich hinter eine verbrecherische Politik gestellt hat. Der Nahe Osten ist eine für die künftigen Entwicklungen in der Welt viel zu wichtige Region, als dass die heutige völlig einseitige Parteinahme sich eines gar nicht so fernen Tages nicht schmerzlich rächen dürfte. Nichts gelernt aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Und noch immer verblüfft, dass man in Riad nicht mal am Katzentisch platznehmen darf. Politik ist auch die Kunst, in die Zukunft zu denken. Deutschland aber klebt wortwörtlich an seiner Vergangenheit. Man behauptet hier, gerade wegen ihr Verantwortung tragen zu müssen. Und versteht nicht, dass diese Verantwortung nicht darin bestehen kann, alte Verbrechen in neuem Kleide fortleben zu lassen, nur weil sie jetzt anderen gelten.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Philippe D. aus Trier (19. Februar 2025 um 08:00 Uhr)
    Verachtenswerte Vorgehensweise der Polizei und Duckmäuserei von den Inhabenden des Kühlhauses. Herrn Koschmider ist hoher Respekt zu zollen für die Entscheidung, die Räume der jW zur Verfügung zu stellen. Die Repressionen sind Machtgebaren der Herrschenden, die ihre teilweilige Hilflosigkeit offenbart. Die marxistischen Kräfte stehen an der Seite der Palästina-Solidarität!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Peter S. aus Berlin (19. Februar 2025 um 00:11 Uhr)
    Das ist meine Zeitung!!!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (18. Februar 2025 um 23:54 Uhr)
    Lieber Verlag, liebe Redaktion, ich bewundere einmal mehr den Mut meiner Zeitung und meiner Genossenschaft (bin selbst Genossenschafter), sich dem Mainstream gerade im Bezug auf die palästinensische Frage in den Weg zu stellen. Es ist nicht nur das »In den Weg stellen« – ihr entlarvt damit auch die Heuchelei der staatstragenden Medien und des bundesdeutschen Staates an sich. Solange der Davidstern gezeigt wird und nicht die Kuffya ist alles in Ordnung. Aber wehe dem, der diese Art Meinungsfreiheit kritisiert oder gar den berühmten Satz über das freie Palästina ruft. Aber den Gazastreifen als eine »Riviera des Nahen Ostens« (oder das Mar-a-Lago des Mittelmeers) ausrufen, ist ja wohl okay. Oder will Trump nur vermeiden, dass es Menschen gibt, die die Toten unter den Trümmern von Gaza zählen – die Toten, die derzeit in noch keiner Statistik auftauchen, aber durch westliche Waffenlieferungen verschuldet wurden? Die Meinungsfreiheit ist nur so lange gesichert in Deutschland, wie es die Meinung der Herrschenden ist. »Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.« (Rosa Luxemburg) – dieser Satz soll den Regierungen der Zukunft in Deutschland wieder ins Stammbuch gemeißelt werden. Denn nur dann kann man auch nur ansatzweise von Demokratie (der Herrschaft des Volkes) sprechen.
  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (18. Februar 2025 um 20:29 Uhr)
    Sehr coole, solidarische Aktion der jW, so kurzfristig einen Veranstaltungsraum zur Verfügung zu stellen und das ganze Drumherum zu organisieren! Da sich die Verhältnisse hier sicherlich nicht so bald positiv ändern werden, könnte das eine generelle Strategie sein, für künftige, ähnliche Veranstaltungen immer eine Alternative in der Hinterhand zu haben. In Abwandlung eines mittelalterlichen, arabischen Sprichworts: »Wer die Wahrheit spricht, sollte immer einen Fuß in einer Backup Event Location haben.« Beeindruckend auch der Mut der Vortragenden, Diskutierenden und Teilnehmenden, direkt unter der kriminellen Bedrohung der kapitalistischen, die bei passenden Gelegenheiten selbst proklamierten Grundrechte missachtenden Staatsmacht die Veranstaltung durchzuziehen, die Wahrheit in die Öffentlichkeit zu tragen, die ekelhaft manipulative, massenmörderische Systempropaganda zu entlarven, zu »sagen, was ist«. (Ein gutes Zeichen in diesem Zusammenhang erschien mir die Mimik und Körpersprache der Cops, die im Livestream oft in der linken oberen Ecke am Eingang des Saales zu sehen waren, die sich im Laufe der Zeit offenbar immer mehr darüber klar wurden, dass sie auf der falschen Seite, auf der Seite des Unrechts stehen. Von daher hat die intendierte Repression und Bedrohung zumindest in Teilen wahrscheinlich das Gegenteil bewirkt und wichtige Aufklärung auch in die Bubble der Reihen der Staatsgewalt getragen.) Wäre schön, wenn solch wertvollen Inhalte wie dieser Livestream auch dauerhaft und einfach zugänglich zur Verfügung stehen würden. Am besten jeweils in mehreren Kopien auf verschiedenen Plattformen und Kanälen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. Februar 2025 um 20:22 Uhr)
    So weit ist es also schon. Mir bleibt die Spucke weg. Ihr dokumentiert den Vorgang und die Reden doch detailliert?

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