Reale Bedrohung
Von Luc Śkaille
Bis zu 30 vermummte Neonazis haben am Sonntag nachmittag gegen 17.30 Uhr den »Kulturverein immigrierter türkischer Arbeiter« (ACTIT) im 10. Arrondissement von Paris angegriffen. Es gab mehrere Verletzte – eine Person musste mit Stichwunden im Krankenhaus behandelt werden. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Montag, dass Ermittlungen wegen versuchten Mordes eingeleitet wurden. Sechs Angreifer wurden bereits gefasst.
Am 16. Februar hatte die europaweit aktive sozialistische Jugendorganisation Young Struggle eine Filmvorführung von Costa-Gavras’ Klassiker »Z« im migrantischen Kulturtreff in der Rue d’Hauteville organisiert. Laut einem anwesenden 25jährigen Studenten aus Deutschland lief auf der Leinwand gerade die Szene eines Angriffs der Faschisten auf die Kommunisten, als es Schreie im Hof gab. Auf einmal war die rechte Bedrohung real. Der 30jährige CGT-Gewerkschafter Paul wurde während der Attacke im Innenhof zu Boden gestoßen und mit Schlägen, Tritten und einer Stichwaffe traktiert.
Während des Angriffs wurden ein Keltenkreuz und ein Logo des »KOB Veille« verklebt. Die Symbole legen eine Verbindung zu der im Juni 2024 verbotenen Neonaziorganisation Groupe Union Défense (GUD) und rechten Hooligans des Fußballklubs Paris Saint-Germain nahe. Der für rassistische Gewalt berüchtigte und mittlerweile aufgelöste »Kop of Boulogne« sorgte in den 1990er Jahren für Schlagzeilen im Umfeld des Stadions Parc des Princes. Die studentisch geprägte GUD entstand bereits in der Zeit nach 1968 und gilt als Kaderschmiede zahlreicher prominenter Faschisten in Frankreich. Jährlich marschiert die Neonaziorganisation als »Comité du 9 Mai« durch Paris, um eines Verstorbenen aus ihren Reihen zu gedenken.
Im »Klein-Kurdistan« genannten Viertel nahe dem Pariser Ostbahnhof befinden sich zahlreiche türkische und kurdische Einrichtungen. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Gewalttaten gegen die kurdische Community. Vor gerade einmal zwei Jahren, am 23. Dezember 2022, erschoss ein Faschist Emine Kara, Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl nahe dem Kulturzentrum »Ahmet Kaya« in der Rue d’Enghien. Die vom türkischen Geheimdienst befohlene Hinrichtung von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im kurdischen Informationszentrum am 9. Januar 2013 erfolgte nur wenige hundert Meter von dort. Das am Sonntag angegriffene ACTIT liegt genau zwischen diesen beiden Institutionen.
Nach dem Angriff solidarisierten sich linke Parteien und Gewerkschaften mit Young Struggle – am Montag gab es eine Demonstration. Doch das ohrenbetäubende Schweigen weiter Teile der politischen Klasse begünstigt auch in Frankreich eine Normalisierung solcher Übergriffe. Zwar gibt es immer wieder Anläufe, auch Neonazistrukturen etwa mit Verbotsverfahren zu schaden, wie zuletzt im Fall der Organisation GUD. Doch der Überfall vom Sonntag zeigt ein Fortbestehen rechtsradikaler Strukturen – mit oder ohne Verbot. Der kurzzeitig in ärztlicher Behandlung befindliche Postbote Paul hatte Glück. Er »habe keine Angst«, bekräftigte das Young-Struggle-Mitglied. »Unseren politischen Kampf werden sie nicht aufhalten.«
Faschistische Angriffe nehmen in einer Zeit zu, in der Staatschef Emmanuel Macron vielen als Steigbügelhalter des Rassemblement National von Marine Le Pen gilt. Der Kampf müsse »auf allen Ebenen« geführt werden, bekräftigte der France-insoumise-Abgeordnete Raphaël Arnault vor Ort. Eine Aktivistin der Pariser Antifagruppe »Sans Culottes« sagte gegenüber junge Welt, der Vorfall sei »bezeichnend für die aktuelle Zeitenwende«. Es ginge mittlerweile um den Kampf »im Alltag, in den Institutionen, auf der Straße und vor den Gerichten«.
Für letzteres besteht schon bald die Gelegenheit. Am 12. März wird in Paris über die Ausweisung des von der ungarischen Staatsanwaltschaft gesuchten antifaschistischen Gefangenen Gino entschieden, zu dessen Unterstützerkreis unter anderem Young Struggle gehört. Auch an dieser Entscheidung wird sich die politische Tendenz Frankreichs messen lassen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (18. Februar 2025 um 22:29 Uhr)Wie konnte diese Attacke der Faschisten überhaupt in dieser Intensität stattfinden? Vor dem ACTIT und dem kurdischen Kulturzentrum, beide im 10. Bezirk, sitzen rund um die Uhr die französischen Bullen in 1 bis 2 Autos. Eigentlich zum »Schutz«, aber wahrscheinlich auch, um zu beobachten, wer da ein und ausgeht. Young Struggle, eine internationalistische und sozialistische Jugendorganisation, die mit der kurdischen Gemeinschaft verbunden ist, entstand vor ca. 5 Jahren in Paris. Ursprünglich in Deutschland gegründet, gibt es sie auch in Österreich, der Schweiz und in GB.
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