Stellenabbau in Kiew
Von Reinhard Lauterbach
US-Präsident Donald Trump hat Wolodimir Selenskij indirekt aufgefordert, seinen Posten zu räumen. Bei Zustimmungswerten von vier Prozent für den ukrainischen Präsidenten müsse man sich fragen, ob die Ukrainer eigentlich von diesem Mann vertreten werden wollten. Trump nannte keine Quellen für seine Zahlen. Er warf Selenskijs Regierung außerdem vor, für den Ausbruch und die Dauer des Krieges mitverantwortlich zu sein. Sie habe drei Jahre Zeit gehabt, einen Deal mit Russland auszuhandeln, und solle sich jetzt nicht beschweren.
In Kiew wies Selenskij Trumps Äußerungen scharf zurück. Ihn während des Krieges abzusetzen, werde nicht funktionieren. Der ukrainische Staatschef warf seinem US-amerikanischen Amtskollegen außerdem vor, russischer Desinformation aufgesessen zu sein. Tatsächlich liegen die von Trump genannten Zahlen noch deutlich unter denen, die zuletzt aus der Ukraine gemeldet worden waren. Ihnen zufolge liegen die Zustimmungswerte für Selenskij bei etwa 20 Prozent.
Derweil berichtet der britische Daily Telegraph über angebliche Einzelheiten des Trumpschen Vorschlags für ein Rohstoffabkommen mit Kiew. Es sichere Washington faktisch ein Vorkaufsrecht auf sämtliche mineralischen Produkte der Ukraine auf unabsehbare Zeit zu, außerdem das Eigentum an den Häfen, Airports und anderer Infrastruktur. Sollte die Ukraine gegen den Willen der USA ihre Ressourcen mit anderen Ländern teilen, müsse sie den USA Schadenersatz zahlen. Die Zeitung nennt das Abkommen »neokolonial« und »schlimmer, als es der Vertrag von Versailles für Deutschland gewesen« sei. Kiew verlangt Nachbesserungen an dem Vertragsentwurf, der in der ukrainischen Öffentlichkeit auf breite Ablehnung gestoßen ist.
Unterdessen hat die EU-Spitze nach dpa-Informationen die Kosten des nächsten Hilfspakets für die Ukraine berechnet und die Mitgliedsländer darüber informiert. Demnach seien kurzfristig 3,5 Milliarden Euro erforderlich, um die Produktion von 1,5 Millionen Artilleriegranaten an Kiew zu ermöglichen. Weitere 500 Millionen seien für Luftverteidigungssysteme nötig, mit zwei Milliarden werde die Ausrüstung und Ausbildung von zwei ukrainischen Brigaden in der EU zu Buche schlagen. Die Gesamtkosten werden auf sechs Milliarden Euro beziffert, von denen die BRD nach dem geltenden Verteilungsschlüssel etwa ein Viertel zu übernehmen hätte. Am kommenden Montag soll ein Sondertreffen der EU-Außenminister über den Plan beraten. Brüssel beschloss außerdem ein neues Sanktionspaket gegen Russland, das unter anderem ein Importverbot für russisches Aluminium sowie eine Sperre des Exports von Spielkonsolen nach Russland umfasst. Außerdem wurden 73 weitere Schiffe, die der russischen »Schattenflotte« zugerechnet werden, auf die Sanktionsliste gesetzt. Sie dürfen damit keine EU-Häfen mehr anlaufen oder EU-Gewässer durchfahren.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) äußerte sich erneut irritiert über die US-Verhandlungsstrategie gegenüber Russland. Im Deutschlandfunk sagte er am Mittwoch morgen, »Europa« müsse »aufhören, dem Pacemaker (Schrittmacher, jW) in Washington zu überlassen, wie wir zu reagieren haben«. Pistorius beklagte fehlende Einmütigkeit innerhalb der EU. Es müsse aufhören, dass jeden Tag ein anderer Politiker der Union seine Meinung zum Thema Ukraine sage. »Europa« brauche jetzt Geschlossenheit.
Hinweis: In einer ersten Fassung des Pistorius-Zitates wurde versehentlich Peacemaker statt Pacemaker geschrieben. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (20. Februar 2025 um 15:32 Uhr)Deutschland ist nicht nur das dümmste aller westlichen Länder; es lügt sich auch permanent selber in die eigene Tasche, weigert sich fanatisch, Realitäten anzuerkennen und lässt sich nun schon seit Jahren von diesen Bandera-Faschisten gegen seine eigenen Interessen vorführen und missbrauchen. Dabei werden die wirklich dicken Rechnungen für die deutsche Bevölkerung erst noch kommen.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (20. Februar 2025 um 08:25 Uhr)»[Pistorius] äußerte sich erneut irritiert über die US-Verhandlungsstrategie gegenüber Russland.« – Was ist daran irritierend? Dieses und anderes ist Ergebnis von Trumps Prinzip: »America first«. Somit ist für ihn alles, was außerhalb »America« spielt, nachrangig! Und da er mächtige Männer wie Putin schätzt, macht er sich einfach dessen Meinung zu eigen. Gegendarstellungen einzuholen, hält er wohl für überflüssig. Den Rest erfindet er, u. a. Stichwort: Zustimmungswerte. – In »Deals« kennt er sich zwar aus, aber, da Russland und Ukraine bestimmt nicht auf Augenhöhe verhandeln würden, könnten die Ukrainer bestenfalls die sofortige Kapitulation erreichen. – Warum fragt eigentlich niemand nach den Bodenschätzen, die von Rechts wegen der Ukraine gehören? Dass Trump sie für die USA reklamiert, kann Putin wohl kaum gefallen. Werden sich dann Trump und Putin um etwas streiten, was ihnen beiden nicht gehört?
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. Februar 2025 um 21:38 Uhr)Nicht nur Trump, sondern vor allem Putin hat ein langfristiges Interesse an einem tragfähigen Frieden in Osteuropa. Doch dieser erfordert klare Rahmenbedingungen. Während Trump höchstens bis 2029 im Amt bleibt, dürfte Putin noch deutlich länger an der Macht sein. Die eigentliche Unsicherheit liegt daher nicht in Trumps politischem Kurs, sondern in der ungelösten Frage: Wer unterschreibt für die Ukraine bei einem möglichen Friedensabkommen? Und vor allem – wer könnte Europa in diesem Prozess überhaupt vertreten? Ein weiteres zentrales Problem ist die finanzielle Lage der Ukraine. Präsident Selenskij hat per Dekret sämtliche Tilgungen des Landes ausgesetzt, um den Staatsbetrieb aufrechtzuerhalten – eine Maßnahme, die die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine nur noch vertieft. Die Realität ist: Das Land wird noch Jahrzehnte nicht in der Lage sein, seine Schulden zurückzuzahlen. Gleichzeitig sind die ukrainischen Rohstoffe, sei es fruchtbarer Schwarzerdeboden oder seltene Erden, längst in den Händen einflussreicher Oligarchen oder ausländischer Investoren. Genau aus diesem Grund konnte Selenskij das von Trump geforderte Ultimatum zu seltenen Erden nicht unterzeichnen – der ukrainische Staat verfügt schlicht nicht mehr über diese Ressourcen. Die Rolle der EU in diesem Konflikt verdient kaum ernsthafte Beachtung. Ein weiteres Milliardenpaket für Waffenlieferungen und die Ausbildung ukrainischer Soldaten zeigt, dass Brüssel weiterhin auf Eskalation statt Diplomatie setzt. Ein substantieller Friedensplan? Fehlanzeige. Die Kritik von Verteidigungsminister Boris Pistorius an der amerikanischen Verhandlungsstrategie mag berechtigt sein, doch sie bleibt wirkungslos, solange die EU keine eigene, handlungsfähige Position entwickelt. Letztlich zeigt der gesamte Artikel einmal mehr, dass er kaum eine tiefgründige Analyse bietet – geschweige denn eine Platzierung auf der Titelseite einer Zeitung verdient, die sich als linkes Medium versteht.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (20. Februar 2025 um 21:48 Uhr)Niemand im »Werte«-Westen, weder in der Politik noch in den Medien, ist interessiert an einer »tiefgründige(n) Analyse«, bei welcher ja dann klar zutage treten würde, wer von ihnen diesen ebenso unnötigen wie unsinnigen Flächenbrand in der Ukraine über Jahre gezielt herbeigeführt hat.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. Februar 2025 um 20:02 Uhr)Die »Quellen für seine Zahlen«? Ganz einfach, er glaubt – wie ich – nur zwanzig Prozent. Und zwanzig Prozent von zwanzig Prozent sind unglaubliche vier Prozent. Trump wird mir allmählich sympathisch.
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