Transatlantische Kernschmelze
Von Karim Natour![4.jpg](/img/450/205467.jpg)
Das transatlantische Lager in Deutschland ist in hellem Aufruhr. Nachdem US-Präsident Donald Trump im Anschluss an ein Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin angekündigt hat, den Ukraine-Krieg durch »unverzügliche« Verhandlungen mit Moskau beenden zu wollen, herrscht in der deutschen Hauptstadt Hysterie. Laut Trump ist ein NATO-Beitritt Kiews vom Tisch. Eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014 schloss seine Administration ebenso aus wie eine Beteiligung von US-Truppen an einer Mission zur Friedenssicherung in der Ukraine.
An den Verhandlungen, die voraussichtlich in Saudi-Arabien stattfinden sollen, wird die EU laut einer Sprecherin Trumps nicht beteiligt sein. Das empört. Der SPD-Chef Lars Klingbeil nannte den Friedensvorschlag am Donnerstag einen »faulen Deal«. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärte er, »eine Lösung über die Köpfe der Ukraine und Europas hinweg« sei »keine Lösung«. Die EU müsse »noch deutlich mehr Verantwortung übernehmen«. Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verlangte am Rande eines NATO-Verteidigungsministertreffens in Brüssel, die EU müsse an Verhandlungen beteiligt sein und »nicht am Katzentisch sitzen«. Die Zugeständnisse an Moskau seien »bedauerlich«. Eine mögliche NATO-Mitgliedschaft sowie etwaige Gebietsverluste hätten erst am Verhandlungstisch besprochen werden sollen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte vor einem »Diktatfrieden« zulasten der Ukraine. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter beklagte die »fehlende deutsche Haltung« und ein »Abnicken irrer US-amerikanischer Machtpolitik«, was »faktisch einen Angriffskrieg« belohne. Den Deal, der den blutigsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg beenden soll, nannte er auf der Onlineplattform X ein »Desaster für ganz Europa« und »erst recht für die Menschen in der Ukraine«.
In Berlin steht man vor einem Scherbenhaufen. Jahrelang hatten deutsche Spitzenpolitiker einmütig mit der Biden-Administration behauptet, Moskau sei nicht zu Friedensgesprächen bereit. Angebote wurden gar abgelehnt. Die Ukraine müsse – durch mehr Waffenlieferungen – erst in eine »gute Verhandlungsposition« gebracht werden, bevor Diplomatie eine Option sei. Auch war die Rede davon, Russland durch Sanktionen zu »ruinieren« und zu »besiegen«. Jetzt verhandelt Washington direkt mit Moskau. Das zeigt: Der auf Kosten der Ukrainer geführte Stellvertreterkrieg hätte längst beendet werden können – durch diplomatische Bemühungen. Statt dessen wurden Waffen im Wert von Dutzenden Milliarden an Kiew geliefert, auch als niemand mehr ernsthaft glaubte, dass der Konflikt militärisch zu gewinnen sei. Zwischen Oktober 2021 und Dezember 2024 allein hat die Bundesregierung Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 14,8 Milliarden Euro für den Verbündeten erteilt.
Vor diesem Hintergrund bemühte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch um Schadensbegrenzung. Zum Auftakt von Ukraine-Gesprächen mit mehreren EU-Amtskollegen erklärte sie in Paris: »Wir haben als Europäer immer deutlich gemacht, dass der Verhandlungstisch bereitsteht.« Am Donnerstag schrieb ihr Ministerium bei X: »Die Ukraine will Frieden, wir Europäer wollen Frieden, die Amerikaner wollen Frieden. Wenn Putin jetzt endlich zur Einsicht käme und seinen Krieg gegen die Ukraine beendet, dann wäre das ein längst überfälliger Schritt.« Die für ihre Nähe zur Rüstungsindustrie bekannte EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) weigerte sich, den Traum vom großen Krieg schon aufzugeben. Bei X erklärte sie, es liege jetzt »an uns«, dafür »zu sorgen, dass die Ukraine aus einer Position der Stärke« verhandeln könne. Dazu gehöre »auch und endlich die Lieferung von ›Taurus‹ und die Erlaubnis, militärische Ziele auf russischem Boden zur Selbstverteidigung anzugreifen«. Das Vorgehen Trumps nannte sie eine »Demütigung Europas«. Lob kam indessen vom BSW. Parteichefin Sahra Wagenknecht sagte gegenüber dpa, es sei gut, Verhandlungen aufzunehmen, »um das Sterben und die Zerstörung in der Ukraine zu beenden«. Jahrelang seien »diejenigen, die für Friedensverhandlungen anstelle endloser Waffenlieferungen eingetreten« seien, als »Naivlinge oder Putin-Freunde diffamiert« worden. Nun beweise der US-Präsident, dass die Aufnahme von Verhandlungen nicht an der fehlenden Bereitschaft des Kreml gescheitert sei. Auch die AfD-Parteichefin Alice Weidel lobte die Initiative. »So geht das! USA und Russland verhandeln. Die führungslose EU hat es über drei Jahre nicht geschafft, irgend etwas auf den Weg zu bringen«, schrieb sie bei X.
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