»Buy Europe«
Von Dominic Iten
Das neue Motto an der Wall Street laute »Buy Europe«, schreibt das Handelsblatt. Während vieler Jahre waren europäische Aktien im Vergleich zu US-amerikanischen Anlagen nur wenig rentabel. Hatte der US-Index S & P 500 in der vergangenen Dekade sein europäisches Pendant Stoxx Europe 600 Jahr für Jahr um jeweils acht Prozentpunkte übertroffen, zeichnet sich nun eine Wende ab. Insbesondere US-amerikanisches Kapital scheint Europa als lukrative Anlage wiederzuentdecken.
Das Handelsblatt identifiziert für diese Neubewertung der Aktienmärkte eine Reihe von Gründen: Wachsende Zweifel am KI-Boom in den USA; günstige Einstiegschancen in Europa aufgrund niedriger Bewertungen; eine allgemeine, durch Trumps protektionistische Handelspolitik ausgelöste Verunsicherung; Zinssenkungen in der Euro-Zone und die wachsende Hoffnung auf ein Ende des Ukraine-Krieges.
Man möchte hinzufügen, dass die Investoren in Europa oftmals Unternehmensstrukturen vorfinden, die mehr Potential für Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen bieten. Gegenüber US-amerikanischen Unternehmen sind die europäischen vergleichsweise traditionell strukturiert und weniger stark auf die Interessen der Aktionäre ausgerichtet. Entsprechend besteht für neue Investoren mehr Spielraum zur strategischen Neuausrichtung, die Ausgliederung von Geschäftsbereichen, für Rationalisierung von Prozessen, Stellenabbau etc. Eine Studie des Beratungsunternehmens Alvarez & Marsal (A&M) bestätigt die Verknüpfung von verstärkter Investitionstätigkeit und dem Wandel von Unternehmensstrukturen.
Gewarnt wird darin vor dem Erstarken »aktivistischer Investoren« in Europa. Bei 141 europäischen Unternehmen bestehe ein erhöhtes Risiko, im laufenden und kommenden Jahr in den Fokus aktivistischer Kampagnen zu geraten. Zu den wichtigsten Zielen zählen Deutschland und die Schweiz: »Mit 17 wahrscheinlichen Zielen wird für die Schweiz der stärkste Anstieg des Aktionärsaktivismus erwartet«, schreibt A&M und geht in Deutschland von insgesamt 33 potentiellen Zielen aus. Im Visier der US-amerikanischen Investoren stehen vor allem Industrie-, Konsumgüter- und Technologieunternehmen, die im Zuge der Investitionen zu operativen und strategischen Veränderungen gezwungen werden könnten – natürlich immer mit Blick auf steigende Profite. Wenig überraschend zeigt die Studie, dass gegenüber dem Profitmotiv Stakeholder-Kokolores wie eine »verantwortungsvolle Unternehmensführung« oder die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Belange an Gewicht verlieren.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. Februar 2025 um 22:13 Uhr)Profit, Profit über alles. Ach, waren das noch Zeiten, als die Wirtschaft der Gesellschaft diente! Unternehmen produzierten Waren, die Menschen tatsächlich brauchten, und Arbeiter konnten von ihrem Lohn leben. Nostalgische Verklärung? Vielleicht. Doch es war eine Zeit, in der Arbeit noch einen realen Zweck hatte. Und heute? Heute gehört die Wirtschaft privaten Interessen – befreit von der lästigen Bürde des Gemeinwohls. Willkommen im Zeitalter der enthemmten Kapitalverwertung! Die Börse ist längst nicht mehr das Nebenprodukt wirtschaftlichen Handelns, sondern sein einziges Ziel. Unternehmen existieren nicht, um Produkte oder Dienstleistungen anzubieten, sondern um Aktionärsträume zu erfüllen. Nun richtet die Wall Street ihr gieriges Auge auf Europa. »Buy Europe!« – so lautet das neue Kampfmotto der Investorenlegionen. Europäische Firmen waren bislang zu ineffizient, zu traditionell, zu wenig auf den Aktienkurs fixiert. Ein unhaltbarer Zustand, der nun endlich korrigiert wird! Die Hohepriester der Finanzwelt wissen: Gewinnmaximierung gelingt nur durch radikale »Rationalisierung« – selbstverständlich nicht bei den Boni des Managements. Deutschland und die Schweiz stehen besonders im Fokus. Offenbar gibt es hier noch genug zu zerschlagen. Doch keine Sorge: Am Ende dieser kreativen Zerstörung stehen steigende Kurse, glückliche Hedgefonds-Manager – und natürlich der heilige Profit.
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Schuss ins Knie
vom 20.02.2025