Gewerkschaftsvorsitzender in Haft
Von Mahir Sahin und Oktay Demirel
Die wachsende Unzufriedenheit in der türkischen Bevölkerung über die geringen Lohnerhöhungen und steigenden Lebenshaltungskosten führt weiterhin zu Protesten. Die von Präsident Erdoğan zum Jahresbeginn versprochenen deutlichen Erhöhungen erwiesen sich als unzureichend: Der Mindestlohn stieg um lediglich 30 Prozent, die Renten im öffentlichen Dienst wurden um 11,54 Prozent und die Renten der Arbeiter um 15,75 Prozent angehoben. Gleichzeitig wurden jedoch die Steuern drastisch erhöht. Experten zufolge stieg die Mehrwertsteuer im Vergleich zum Vorjahr um 81 Prozent und die Sonderverbrauchssteuer um 51 Prozent. Viele Rentner und Niedriglohnarbeiter kämpfen daher ums Überleben.
Die Unzufriedenheit entlud sich auch in Gaziantep, einem wichtigen Industriezentrum im Südosten der Türkei. Inzwischen streiken dort Arbeiter aus 20 Fabriken für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Der durchschnittliche Monatslohn vieler Textilarbeiter liegt bei lediglich 12.000 Lira und damit weit unter der Armutsgrenze. Die Gewerkschaft Birtek-Sen organisiert den Streik, doch die Regierung reagiert mit harter Hand.
Am 14. Februar sollte eine zentrale Kundgebung stattfinden, die jedoch vom Gouverneur der Provinz Gaziantep verboten wurde. Zudem verhängte die Behörde ein 15tägiges Versammlungsverbot. Die Polizei räumte die Streikzelte, und der Vorsitzende der Gewerkschaft Birtek-Sen, Mehmet Türkmen, wurde vor seiner Wohnung festgenommen. Nach landesweiten Protesten kam er zunächst wieder frei. Türkmen kritisierte die staatlichen Maßnahmen scharf: »Wenn Arbeiter wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen sterben, wird kein einziger Unternehmer belangt. Doch wenn die Arbeiter aufstehen, werden sie sofort kriminalisiert.« Trotz des Verbots zeigte er sich entschlossen: »Die Arbeiter von Başpınar werden vereint bleiben und weiterkämpfen.«
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Am 17. Februar wurde Mehmet Türkmen ohne vorherige Vernehmung direkt mit einem Haftantrag vor Gericht gestellt und inhaftiert. Der Vorwurf: »Verletzung der Arbeitsfreiheit« und »Anstiftung zu einer Straftat«. Zahlreiche Arbeiter, Vertreter politischer Parteien und Gewerkschaften versammelten sich daraufhin zu Protesten. In mehreren Städten fanden spontane Solidaritätskundgebungen statt. In einer Presseerklärung verurteilte der Generalsekretär von Birtek-Sen, Mikail Kılıçalp, die Verhaftung scharf: »Die Regierung will, dass Gewerkschaften schweigen und sich den Bossen unterwerfen. Doch wir werden nicht aufgeben. Diese Verhaftung ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse.« Iskender Bayhan, Abgeordneter der Partei der Arbeit (EMEP), kritisierte das Demonstrationsverbot im Parlament und sagte: »Die Arbeiter werden sich diesem Verbot widersetzen, und wir stehen fest an ihrer Seite.« Auch aus Deutschland kam Unterstützung. Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) erklärte: »Die staatliche Unterdrückung der Streikenden muss sofort beendet werden. Das Streikrecht darf nicht angegriffen werden.«
Arbeiter aus verschiedenen Fabriken bestätigten ihre Entschlossenheit, den Streik fortzusetzen. Osman Yılmaz, streikender Arbeiter bei Kaplanser, sprach auf einer Soli-Kundgebung: »Einen Mehmet Türkmen mögen sie wegsperren, aber 1.000 neue werden folgen. Wir stehen zusammen.« Sevgi Yılmaz, Generalsekretärin der Gewerkschaft KESK, rief dazu auf, den Widerstand auszuweiten: »Es gibt keine Rettung für einzelne – entweder alle gemeinsam oder niemand!«
Trotz aller Repressionen bleibt die Stimmung kämpferisch. Die Arbeiter von Gaziantep setzen ihren Streik fort, und die Forderung nach menschenwürdigen Arbeitsbedingungen bleibt bestehen. Die kommenden Tage werden zeigen, wie sich die Situation weiterentwickelt.
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