Stinkendes Eigenlob
Von Dieter Reinisch
Die Labour-Regierung jubelt endlich mal: In dieser Woche wurde verkündet, dass eines ihrer zentralen Wahlversprechen eingelöst wurde – sieben Monate vor der selbst gesteckten Frist. Neue vom National Health Service (NHS) England veröffentlichte Zahlen zeigen, dass der Gesundheitsdienst zwischen Juli und November 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast 2,2 Millionen mehr Termine für Wahlbehandlungen vergeben hat. Labour hatte im Wahlkampf ausgegeben, die enorm langen Wartelisten für Behandlungen im ersten Jahr drastisch kürzen zu wollen und zwei Millionen neue Termine zu ermöglichen.
Die Zahlen überraschen: Bei Amtsantritt im Juli standen in England 7,62 Millionen Menschen auf den NHS-Wartelisten. Nach einem leichten Anstieg über den Sommer begannen sie ab September etwas zu sinken. Laut den letzten Zahlen, die NHS England im November veröffentlichte, warteten immer noch 7,54 Millionen Patienten auf Behandlungen. Realiter wurden die Wartelisten seit dem Regierungsantritt von Labour also gerade einmal um ein einziges Prozent verkürzt.
Dennoch ist der Jubel Balsam auf den Wunden der Regierung. Denn in den Umfragen ist sie seit ihrem Amtsantritt enorm abgerutscht. In der aktuellen Umfrage von »More in Common«, die zwischen dem 14. und 18. Februar durchgeführt wurde, liegt Labour mit 25 Prozent einen Punkt hinter der rechtspopulistischen Reform UK. Die Konservativen kommen auf 23 Prozent. Nach diesen Zahlen würde Labour im Vergleich zur Wahl im vergangenen Juli 249 Sitze verlieren und nur 162 halten. Die Konservativen kämen auf 145 Sitze. Reform UK dagegen käme auf 187, derzeit hat die Partei lediglich fünf Sitze im britischen Unterhaus.
Grund für die schlechten Umfragewerte ist, dass Premierminister Keir Starmer im ersten halben Jahr an der Macht die wichtigsten sozialen Fragen nicht wie versprochen beantworten konnte. Pläne, die Wohnungsnot zu lindern, stecken fest. Am Mittwoch zeigte die amtliche Statistik zudem, dass die Inflation wieder über das erwartete Niveau hinaus steigt. Viele Ökonomen hatten für Januar 2,8 Prozent vorausgesagt. Tatsächlich waren es rund drei. Das dürfte »für viele ein böses Erwachen gewesen sein«, kommentiert Labour-List. Ihre wichtigste Mission bestehe weiterhin darin, »mehr Geld in die Taschen (der Menschen) zu bekommen«, reagierte demnach Finanzministerin Rachel Reeves auf die gestiegene Inflation. Sollte die Inflation jedoch weiter über dem Zweiprozentziel der Bank of England verharren, drohe auch diesem Versprechen endgültig das Aus, meint Labour-List. Denn Labours Maßnahmen zur Erhöhung der Reallöhne hätten nur Erfolg, wenn letztere nicht durch Preiserhöhungen zunichte gemacht würden.
Den NHS betreffend zeigt sich bei genauerer Analyse, wieso die Wartelisten nicht signifikant kürzer geworden sind, Labour aber trotzdem behaupten kann, »zwei Millionen mehr Behandlungen als im Vorjahr« ermöglicht zu haben. 2023 hatten flächendeckende Streiks der Ärzte das britische Gesundheitssystem lahmgelegt. Die Anzahl verfügbarer Termine war erheblich gesunken. Zwischen Juli und November 2024 fanden 31,3 Millionen Operationen, Untersuchungen und Tests statt, verglichen mit 29,1 Millionen im gleichen Zeitraum 2023, berichtete die BBC am Montag. Weiterhin würden demnach nur 73 Prozent der Patienten innerhalb von vier Stunden behandelt. Versprochen habe die Regierung aber, dies 95 Prozent aller Bedürftigen zu ermöglichen. Augenwischerei wird es nicht richten.
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