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Aus: Ausgabe vom 21.02.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

In 86 Jahren ist’s geschafft

Die sportliche Basis und parlamentarische Schwächen
Von Andreas Müller
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Wenn die Piste nur prominent genug ist, geht es voran: Modernisierung der Rennschlittenbahn Oberhof 2020

Im Jahr 2111 könnte das Land Thüringen den Renovierungsrückstand bei seinen Sportstätten endlich aufgeholt haben. Rund 1,3 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsbedarf, fand der Landessportbund des Freistaates jüngst heraus. Im aktuellen Jahreshaushalt der Landesregierung sind für diesen Zweck 15 Millionen Euro eingestellt. Mit etwas mehr als dem 86fachen davon wäre, rein mathematisch, der Schaden im Jahr 2111 behoben. Was absurd klingt, ist in der Sportlandschaft allerorts gesellschaftliche Realität – und nicht nur in bezug auf die Infrastruktur des Sports, wie die gerade von Experten geschätzten 140 Milliarden Euro zeigen, die allein von Hochschulen und Universitäten für die Instandsetzung ihrer überalterten Bausubstanz benötigt werden. Bei Straßen, Schienen, Brücken und anderen technischen Bauwerken sieht es ähnlich desaströs aus. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) verweist auf einen sogenannten Investitionsstau von mehr als 31 Milliarden Euro. Wie konnte es zu solchen Versäumnissen kommen? Dabei gehören dem DOSB aktuell fast 28,8 Millionen in rund 86.000 Sportvereinen an – so viele Menschen wie noch nie zuvor in der »größten Bürgerbewegung« dieses Landes.

»Es geht nicht nur um Milliarden für die Sanierung«, erklärt André Hahn von den Linken, einer der profiliertesten Sportpolitiker im aktuellen Bundestag, gegenüber jW. »Zum Beispiel gibt es Bäder mit freien Wasserflächen, die von Kindern und Jugendlichen nicht genutzt werden können, weil sie um diese Uhrzeit in der Schule sind. Wir brauchen zugleich Lösungsansätze, um die vorhandenen und funktionierenden Sportanlagen möglichst optimal zu nutzen.« Zur Behebung der Mängel hatte die Linke im vorigen Sommer den Antrag eingebracht, der Bund solle 15 Jahre lang Länder und Kommunen jährlich mit einer Milliarde Euro unterstützen, um die gewaltigen Defizite bei den Sportstätten langfristig und kontinuierlich abzubauen. Das Ansinnen fiel krachend durch, auch wegen der Stimmen von CDU/CSU.

Und siehe: Vor der Bundestagswahl am 23. Februar kam die Union nun mit folgendem Ansinnen um die Ecke: »Wir ordnen die politischen Strukturen des Sports neu, siedeln die Sportpolitik im Bundeskanzleramt an und ernennen einen Staatsminister für Sport und Ehrenamt. Für die kommende Wahlperiode stellen wir sicher, dass die Sportmilliarde zur Verfügung steht.« Wer’s glaubt. Erst dagegen votieren, nun dieselbe Idee vorm Wahlvolk als eigene ausgeben. Besser wäre gewesen, parteiübergreifend dafür zu stimmen, als die sinnvolle Lösung schon auf dem Tisch lag. Für einen Parlamentarismus, der einem guten Vorschlag aus Prinzip keine Chance lässt, liefert der Blick auf die Sportstättenmisere ein handfestes Beispiel. Fast 29 Millionen Mitglieder des Dachverbandes und Abermillionen nichtorganisierte Hobby- und Freizeitsportler werden hingehalten und seit Jahren mit Kleingeld abgespeist. Ihre Interessen wurden von denen, die politisch das Sagen hatten, kontinuierlich und vorsätzlich ignoriert. Von Parteien wohlgemerkt, die mit ihrer Mitgliedschaft gegenüber dem DOSB wie Winzlinge dastehen.

Wobei die Parteien den Sport nicht priorisieren müssen, weil die Vereine so mitgliederstark sind. Es ist komplexer. Es muss darum gehen, die langanhaltende Benachteiligung des Breitensports und die – gern rhetorisch überspielte – Ignoranz gegenüber den existentiellen Voraussetzungen des »kleinen Sports« endlich zu überwinden. Doch dürfte auch diese Wahl daran nichts ändern. Den Bewerbern gelten der Sportbetrieb und seine Grundlagen weiterhin als Nebensache. Die SPD will »Ländern, Kommunen und Vereinen bei der Sanierung von Sportstätten helfen«. Wie denn? Die Grünen planen den »Ausbau des Bundesprogramms zur Sanierung von Sportstätten und Schwimmbädern«. Solch ein Spezialprogramm gibt’s nicht mehr. Es wurde von der »Ampel« beerdigt.

Das Ehrenamt als die wichtigste Säule des Vereinswesens wird in den Wahlprogrammen immerhin thematisiert. Die Union will die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale von derzeit 840 Euro im Jahr »spürbar erhöhen« und, wie die Grünen, das Ehrenamt steuerlich entlasten. Weniger Bürokratie und weniger rechtliche Hürden für Vereine wollen CDU/CSU und FDP, die Grünen zusammen mit Ländern und Kommunen eine Engagementkarte einführen, mit der etwa Schwimmbäder und der öffentliche Nahverkehr günstiger genutzt werden können.

Bestenfalls in Ansätzen scheinen die Wahlkämpfer also zu begreifen, was der Sport für jedermann mit seinen aktuell etwa acht Millionen Ehrenamtlichen zum »inneren Frieden« beiträgt, also zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, der Integration, Gesunderhaltung (und damit zur Entlastung der Krankenkassen) sowie zur Erlangung sozialer Kompetenzen von Kindesbeinen an. Anscheinend gehen die Parteiführungen irrtümlich davon aus, dass all diese Menschen weiter stillhalten und sich mit Versprechungen abspeisen lassen.

Man stelle sich vor, es gehörte hierzulande zur politischen Kultur, dass Organisationen wie der DOSB eine Wahlempfehlung abgeben. Wie würden die Parteien wohl um den Sport buhlen? Kein Bewerber, der sich am Sonntag zur Wahl stellt, würde am neuen, im Dezember 2024 verabschiedeten DOSB-Forderungskatalog vorbeikommen. »Es braucht intakte Sportstätten, mehr ehrenamtliche Trainerinnen und Trainer, Übungsleiterinnen und Übungsleiter, verlässliche Rahmenbedingungen für den Leistungssport und Kinder und Jugendliche, denen Spaß an Bewegung vermittelt wird«, nennt DOSB-Präsident Thomas Weikert die drängendsten Aufgaben, die nach der Wahl zu erledigen sind. »Es ist an der Politik, diese Dinge gemeinsam mit dem Sport anzugehen.«

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