Die Seele der Stadt wird ausgelöscht
Von Adri Salido, Lissabon
Portugals Hauptstadt Lissabon hat einen Wandel durchgemacht, der durch ausländische Investitionen, die Zunahme von Kurzzeitvermietungen und den Zuzug von Expats vorangetrieben wurde. Dies hat zwar die Wirtschaft angekurbelt, aber auch die Gentrifizierung beschleunigt, wodurch Einwohner verdrängt und die Identität der Stadt verändert wurden.
Nach der Krise von 2008 lockte Portugal Investitionen durch sogenannte Goldene Visa und Steuervorteile für Ausländer an und zog so neue Einwohner aus Frankreich, Großbritannien und den USA an. Gleichzeitig wurden Wohnungen in Touristenunterkünfte umgewandelt und über die Onlineplattform Airbnb vermietet, was die Wohnungskrise noch verschärfte. Stadtviertel wie Alfama, Mouraria und Graça haben sich drastisch verändert: Familien werden aus ihren Häusern vertrieben, die in Kurzzeitmietwohnungen umgewandelt werden. Sie sind deshalb gezwungen, in Außenbezirke umzuziehen oder die Stadt ganz zu verlassen.
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»Ich lebe seit 13 Jahren in Lissabon, seit 2012, und die Immobilienpreise sind in die Höhe geschossen. 2014 habe ich eine Maisonette für 480 Euro gemietet, was damals schon etwas teuer war, und jetzt ist es fast unmöglich, eine Einzimmerwohnung für 600 Euro zu finden. Ich musste mehrmals umziehen, weil die Vermieter entweder verkaufen oder die Miete drastisch erhöhen wollten. Nachdem ich vier Jahre lang in einer Wohnung gelebt hatte, musste ich kürzlich ausziehen, weil der Eigentümer versuchte, die Miete außerhalb des Vertrags zu erhöhen und mir sogar mit einem Anwalt drohte. Fast alle um mich herum haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Die hohen Lebenshaltungskosten, die niedrigen portugiesischen Löhne und die Immobilienpreise, die denen anderer europäischer Hauptstädte ähneln, machen es schwierig, hierzubleiben. Wie wir oft sagen: ›Die Sonne und das Licht von Lissabon bezahlen die Rechnungen nicht‹, sagt Joana, eine junge Portugiesin.
Durch den Tourismus wurden Arbeitsplätze geschaffen und Unternehmen wiederbelebt, aber auch das Wohnungsangebot verknappt und die Preise in die Höhe getrieben. Ganze Straßenzüge sind heute von Souvenirläden und touristischen Restaurants gesäumt, die traditionelle Geschäfte verdrängen. Heruntergekommene Gebäude wurden zu Luxuswohnungen, Hotels und trendigen Cafés für Besucher und digitale Nomaden umgebaut. Während sich die Infrastruktur verbessert hat, verblasst die historische Identität der Stadt. «Viele traditionelle Geschäfte, zum Beispiel erschwingliche Cafés und Restaurants, sind verschwunden, ebenso alteingesessene Nachtklubs. Andere werden bald schließen. Anders als 2012 scheint es heute unmöglich, in Lissabon Räume für die Eröffnung von Vereinen oder sozialen Treffpunkten zu finden», sagt Joana.
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Dieses Phänomen ist nicht nur in Lissabon zu beobachten – Barcelona, Berlin und Paris stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Steigende Immobilienpreise und die Zunahme von Kurzzeitvermietungen haben die Regierungen dazu veranlasst, Mietpreisbremsen und Airbnb-Beschränkungen einzuführen, deren Wirksamkeit jedoch umstritten ist.
Es gibt jedoch Widerstand. Aktivistengruppen wie «Stop Despejos» und «Habita!» kämpfen für die Rechte der Mieter. Die Regierung hat in stark betroffenen Gebieten Mietobergrenzen und Beschränkungen für Kurzzeitvermietungen eingeführt, aber viele argumentieren, dass diese Maßnahmen unzureichend sind.
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Lissabon steht an einem Scheideweg, an dem der unerbittliche Drang nach Investitionen und Entwicklung die Gefahr birgt, dass die Seele der Stadt ausgelöscht wird. Bei der Umgestaltung der Stadt wurde der Profit über das Wohl der Menschen gestellt, und die Herausforderung besteht nun nicht nur darin zu modernisieren, sondern dies zu tun, ohne die Bewohner zu vertreiben, die die Identität Lissabons über Generationen hinweg geprägt haben. Die Gentrifizierung droht, Lissabon seines historischen Charakters zu berauben und gewachsene Gemeinschaften durch kurzlebige, tourismusorientierte Räume zu ersetzen, die auf Reiche zugeschnitten sind. Damit ist die Stadt für diejenigen, die sie einst ihr Zuhause nannten, nicht mehr wiederzuerkennen.
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